Heinz-Joachim Simon

Die Tränen des Kardinals


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Das heißt, Marcello klopfte. Ich stand neben der Tür. Es tat uns jedoch niemand auf. Gegenüber seiner Wohnung wurde die Tür aufgerissen. Eine Frau in den Vierzigern trat heraus. Typ Anna Magnani. Die Empörung war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

      „Was wollt ihr von Domenico? Wollt ihr ihm wieder Ärger bereiten?“

      „Nein. Wir wollen ihn nur sprechen. Warum wieder Ärger?“

      „Heute Nacht gab es drüben einen fürchterlichen Lärm. Man stritt wohl miteinander. Dann gab es einen Knall und einen erbärmlichen Schrei. Ich habe die Gendarmerie angerufen, aber die ist bis jetzt nicht gekommen. Seid ihr beiden nicht von der Polizei?“

      Wir enthielten uns der Antwort. Marcello zog die Klinke herunter.

      „Die Tür ist offen“, sagte er verblüfft und stieß sie weit auf. Wir gingen hinein. Die Nachbarin folgte uns. Domenico war nicht da. Ein chaotisches Durcheinander. Stühle waren umgeworfen. Schubladen aufgerissen. Der Kleiderschrank war durchwühlt worden. Die Anzüge lagen auf dem Boden. Teure Anzüge von Kiton und Brioni.

      „Der Junge scheint bei Kasse zu sein.“

      Wir durchsuchten die Wohnung. Es hätte ja sein können, dass wir das Dokument fanden, nach dem hier offensichtlich gesucht worden war. Sein Bankkonto war sehr aufschlussreich. Er hätte gut und gern auch im D’Inghilterra, einem der besten Hotels der Stadt, übernachten können. Das Konto wies einige Millionen Lire aus.

      „Wenn es nicht eine Rauschgiftsache ist, könnte es unser Mann sein“, schloss Marcello.

      „Koscher ist der Junge nicht! Nimm du dir mal seinen Vater vor. Ich fahre in den Vatikan und fühle Casardi den Puls.“

      Die Magnani war sehr plötzlich verschwunden. Dafür kam die Polizei, der sie wohl ein Schauermärchen erzählt hatte. Ich verwies die Gendarmen wieder an Montebello. Er löste auch dieses Problem.

      „Du legst dich ja mächtig ins Zeug“, lobte er mich, nachdem der Polizist den Hörer an mich weitergegeben hatte.

      „Ja. Vielleicht haben wir etwas Konkretes.“ Ich erzählte ihm von dem dicken Bankkonto. Danach rief ich Kardinal Wischnewski an. Ich berichtete von unserem Verdacht.

      „Gut. Ich erwarte Sie an der Pforte Angelo.“

      Der Kardinal war zur Stelle und führte mich ins Archiv. Casardi sah etwas verbiestert drein. Einen Freund sah er nicht in mir. Ich erklärte ihm den Grund des Besuches.

      „Überlegen Sie! War der junge Mann mal im Archiv?“

      Er lief rot an. Er tat nun so, als müsse er heftig überlegen.

      „Ja. Einmal“, druckste er schließlich.

      „Das ist doch strengstens verboten!“, japste der Kardinal. „Das hat Konsequenzen!“

      „Er war doch so interessiert an meiner Arbeit. Er wollte sich bei uns bewerben. Er hat alle Anlagen für diesen Beruf. Neben Geschichte hat er auch in Philosophie mit Summa cum laude abgeschlossen. Ich habe ihm nur sein mögliches Arbeitsumfeld gezeigt.“

      „Haben Sie ihn mal allein gelassen?“

      Er schwieg. Schließlich quetschte er ein „Nein“ heraus. Das „Nein“ dehnte sich wie ein Strumpfband.

      „Aber ich musste mal auf die Toilette.“

      Ich warf dem Kardinal einen bezeichnenden Blick zu. Es verdichtete sich immer mehr, dass Domenico etwas mit dem Verschwinden des Zusatzvertrags zu tun haben konnte.

      „Sie werden sofort Ihre Sachen packen! Sie sind fristlos entlassen!“, donnerte der Kardinal.

      „Nein!“, schritt ich ein. „Er hat zwar gegen die Regeln verstoßen. Aber ich bin mir sicher, dass er es nie wieder tun wird.“

      „Aber er hat das wichtigste Gebot missachtet“, ächzte der Kardinal.

      „Wie heißt es doch? Wer ohne Sünde ist, … Muss ich einen Kardinal daran erinnern? Ich will nicht, dass draußen bekannt wird, dass wir eine Spur haben.“

      „Gut. Sie haben recht. Christus hätte ihm verziehen und da darf ich … Sie haben mich vor einem großen Fehler bewahrt“, gab er zu. „Was nun?“, fragte er.

      „Wir bleiben ihm jetzt auf den Fersen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn haben.“

      „Sie sind tüchtig“, sagte er zum Abschied.

      Für einen Kardinal war er eigentlich ganz in Ordnung.

      Ich fuhr ins Büro zurück.

      „Sag mal, was hast du denn mit Maja angestellt?“, fragte Marcello. „Ich hatte sie eben am Apparat. Sie ist total durch den Wind. Heult wie ein Schlosshund. Ein richtiger Nervenzusammenbruch.“

      „Ich habe sie gestern mit Paolo Menotti in Harry’s Bar getroffen.“

      „Ach, Menotti! Den kennt sie noch von der Schule. Eine Kindergeschichte. Er war zwar schon immer wie der Teufel hinter ihr her, aber von ihrer Seite ist es bestimmt nichts Ernstes. Ich kenne meine Schwester. Sie lässt sich nicht auf leichtsinnige Geschichten ein.“

      Wenn das stimmte, hatte ich alles gründlich an die Wand gefahren. Das Gewissen schlug mir wie die Glocken der Michaeliskirche.

      „Euer privater Krieg geht mir aber so was auf die Eier! Hört endlich auf damit und vertragt euch oder lasst euch scheiden.“

      „Wir sind nicht verheiratet.“

      „Deswegen dürfte es eigentlich ganz einfach sein, einen Schlussstrich zu ziehen.“

      Das war es aber nicht. Trotz der bösen Worte, die nun zwischen uns lagen, liebte ich sie. Und da war auch immer der Gedanke, dass es bei ihr genauso sein konnte.

      „Doch nun zum Wesentlichen!“, forderte Marcello energisch auf. „Der Vater von Domenico ist ein ehrlicher Mann. Er hat mir sein Herz ausgeschüttet. Er ist über die Entwicklung seines Sprösslings ganz verzweifelt. Domenico hat eine Freundin, die in einer Bar auf der Via Veneto arbeitet.“

      „Dann sollten wir uns heute Abend dorthin aufmachen.“

      „Die Bar heißt Bella Ciao, nach dem alten Partisanenlied. Frag mich nicht warum.“

      Also waren wir auch am Abend wieder auf der Via Veneto. Das Bella Ciao lag gegenüber Harry’s Bar. Domenicos Freundin hieß Erika, eine Deutsche. Als sie zu uns an den Tisch kam, bestellten wir zwei Johnny Walker und baten sie, sich zu uns zu setzen.

      „Das ist nicht mein Job“, sagte sie ablehnend.

      Marcello legte einige Hundertlirescheine auf das Tablett, als sie unsere Getränke brachte. „Es dauert nicht lange“, fügte er hinzu.

      Sie setzte sich zögernd. „Nur einen Augenblick“, schränkte sie ein.

      „Wir suchen deinen Freund.“

      „Domenico? Warum?“

      „Wir wollen ihm einen Job anbieten“, sagte ich auf Deutsch.

      „Sie sind Deutscher?“

      „Ja. Aus Hamburg.“

      „Ich bin in Bremen geboren.“

      „Landsleute sollten sich helfen. Wo ist Domenico?“

      „Ich weiß es nicht. Wir waren gestern verabredet. Aber er ist nicht gekommen. Ich mache mir Sorgen.“

      „Wo wart ihr gestern verabredet?“, fragte Marcello.

      „Na hier, im Bella Ciao. Ich habe sogar noch eine Stunde gewartet, nachdem meine Schicht zu Ende war. Dass er mich versetzt, passt so gar nicht zu ihm. Er liebt mich sehr.“

      „Denk mal nach, wo er sein könnte.“ Ich legte noch einige Lirescheine dazu.

      Sie schluckte und steckte das Geld schnell in ihre Schürze.

      „Ist