Heinz-Joachim Simon

Die Tränen des Kardinals


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rührte er die Pasta in einer großen Silberschüssel.

      „Signore Christiansen, Sie sind mal wieder in der Stadt? Was für eine Freude!“, begrüßte er mich.

      Montebello und er umarmten sich. Ich bekam einen kräftigen Handschlag. Irgendwann würde er mich einer höheren Klasse für würdig empfinden und mich mit brüderlichen Küssen beehren. Mit seinem Frack sah er aus wie ein Pinguin, aber ein sehr von sich überzeugter Pinguin.

      „Das Übliche?“, fragte er. „Wir haben einen frischen Seewolf hereinbekommen. Kann ich unbedingt empfehlen.“ Er zückte seinen Notizblock. „Also, dann nehmen wir einen Meeresfrüchtesalat, danach natürlich die Fettuccine Alfredo und dann den Seewolf. Zum Schluss Tiramisu?“

      „In Ordnung!“, stimmte Montebello zu. „Aber das Tiramisu kannst du streichen. Ein caffè und ein Ramazzotti am Schluss reichen uns.“

      Ich nickte zustimmend.

      „Sehr wohl“, erklärte auch er sein Einverständnis.

      Carlo war kaum zu dem großen Pult zurückgekehrt, wo er die Fettuccine vorbereitete, als Montebello meine Hand tätschelte.

      „Nun sag schon! Was führt dich nach Rom? Du bist kaum in Rom angekommen und willst mich sprechen? Dir brennt doch die Jacke! Was hast du auf dem Herzen? Es hat mit dem Vatikan zu tun, nicht wahr?“

      Mir fiel die Kinnlade herunter.

      „Was? Woher weißt du das?“

      „Ich verdöse meine Zeit nicht am Schreibtisch. Rom ist ein Dorf. Im Vatikan hat man sich an deine Fähigkeiten erinnert, stimmt’s? Ein verschwundenes Dokument bereitet ihnen eine Menge Sorgen.“

      Ich musste kräftig schlucken.

      „Es bleibt in Rom wohl nichts geheim?“

      „Mir bleibt nichts geheim.“

      Carlo brachte die Antipasti und eine Karaffe Rotwein.

      „Ein guter Wein aus San Gimignano. Ihr beide mögt, wenn ich mich recht erinnere, am liebsten Chianti.“ Er hatte recht.

      Das Lokal, das ziemlich leer gewesen war, füllte sich nun. Nach Gesprächsfetzen zu urteilen, waren die meisten Amerikaner.

      „Was weißt du über die Geschichte?“, fragte ich Montebello. Er wartete, bis Carlo wieder verschwunden war.

      „Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Nur, dass irgendein Teil vom Lateranvertrag fehlt, was den Vatikan in ein schlechtes Licht rücken könnte. Im Vatikan summt es wie in einem Bienenstock. Ich weiß allerdings nicht, was an dem fehlenden Dokument so aufregend ist.“

      „Es ist tatsächlich ein brisantes Papier.“

      „Du darfst nichts sagen?“

      „Nein. Nur so viel. Die Sache ist so brisant, dass mich sogar der Kardinalstaatssekretär empfangen hat.“

      „Wow!“, entfuhr es ihm. „Es geht um irgendwelche Kungeleien mit den Faschisten, stimmt’s?“

      Ich sagte nichts dazu. Er wusste nun, dass er auf dem richtigen Pfad war.

      „Sachen, die aus der Faschistenzeit auftauchen, sind immer brisant“, sagte er nachdenklich.

      „Man könnte den Vatikan damit erpressen!“

      „Hm. Vielleicht hat es damit zu tun … Ein ganzes Rudel von der Cantona-Familie ist in der Stadt. Ich lasse sie vorsorglich beschatten. Sie treiben sich meistens auf der Via Veneto herum. Verdächtige Aktivitäten habe ich aber bisher nicht bemerkt.“

      „Sieh an, meine alten Freunde von der sizilianischen Mafia!“

      „Ja. Aber da wäre noch etwas. Es brodelt im Topf! Von der politischen Polizei habe ich erfahren, dass der KGB mit Mannschaftsstärke in Rom ist. Irgendetwas geht vor. Denn die CIA hat ihre Mannschaft auch verstärkt. Die werden wohl beide den Papst beobachten. Es passt den Sowjets gar nicht, dass ein Pole Papst geworden ist. Die Wahl Wojtyłas hat sie in helle Aufregung versetzt. Die Amis sehen es als Chance, die Russen als Gefahr. Beide liegen auf der Lauer, was der Papst tun wird. Aber dein Problem kann natürlich auch jemand verursacht haben, den wir überhaupt nicht auf dem Schirm haben.“

      „Das Papier ist ein paar Millionen wert!“

      „Hunderte von Millionen, wenn es so brisant ist, wie du angedeutet hast. Dir bleibt gar nichts anderes übrig, als dich um die Quelle zu kümmern. Wie konnte das Papier aus dem Archiv entwendet werden?“

      „Ja. Damit haben wir schon angefangen. Wir untersuchen gerade die Viten von Casardis Mitarbeitern. Bisher hat sich nichts ergeben.“

      „Ich werde auch ein paar von meinen Kommissaren darauf ansetzen.“

      „Grazie. Je mehr wir aussortieren können, desto besser.“

      Montebello sah jäh hoch. Sein Schnurrbart schien sich zu kräuseln. Seine Augen bekamen einen stählernen Glanz.

      „Wenn man vom Teufel spricht!“

      „Ha!“, entfuhr es auch mir.

      Mit tiefen Bücklingen wurden zwei Männer vom Saal-Majordomus begrüßt. Ich kannte die beiden von meinem Besuch in Palermo, als ich den Tod Johannes Pauls I. untersuchte.

      „Du hast recht. Die Cantonas sind in Kampfstärke in Rom. Wie heißen die beiden noch?“

      „Bonanini und Bacocelli, Leutnants der Cantona-Familie.“

      Es waren gut aussehende, schmalhüftige Männer in schwarzen Anzügen. Ihre Hemden waren blütenweiß. Ihre Schuhe glänzten, als wären sie gerade gewichst worden. Sie machten Mienen, als gehöre ihnen das Alfredo.

      „Es sind Killer. Leider kann ich ihnen das nicht beweisen.“

      Die beiden sahen zu uns herüber und steckten die Köpfe zusammen. Der Saal-Majordomus wies ihnen einen guten Platz am Ausgang zu. Sie setzten sich mit dem Rücken zur Wand. Mafia-Vorsichtsregel: Setz dich stets so, dass keiner deinen Rücken sieht! Die Wild-Bill-Hickok-Regel.

      Bacocelli stand wieder auf und setzte sich zu uns in Bewegung. Er riss sich die Sonnenbrille von den Augen und schob sie ins Haar. Ich hätte wetten können, dass es sich um eine Ray Ban handelte. Er stützte sich auf unserem Tisch mit den Händen ab.

      „Wer sitzt denn hier so vertraut zusammen?“, fragte er höhnisch. „Unser Maigret und der Barbar aus Hamburg. Seit gestern wieder im Land, stimmt’s? Regnet wohl zu viel in deiner Stadt hinter dem Limes?“

      „Euer Betriebsausflug nach Rom ist nicht unentdeckt geblieben. Gleich in Mannschaftsstärke anzurücken, musste doch auffallen. Ist es euch in Palermo zu langweilig geworden? Spuck aus, was du zu sagen hast! Und dann verpiss dich!“, knurrte Montebello.

      „Warum so krakeelig, Commissario? Lassen Sie mir doch die Freude, einen lieben alten Bekannten in Rom willkommen zu heißen.“

      Es stimmte. Wir kannten uns gut. Hatte ich doch den Cantonas tüchtig in die Suppe gespuckt. Auf ihrer Liste von den Leuten, die sie ganz und gar nicht mochten, stand ich sicher ganz weit oben. Spencer hob seinen wuscheligen Kopf, rappelte sich auf und ließ einen Knurrlaut hören. Bacocelli sah irritiert auf meinen Hund.

      „So ein Vieh sollte einen Maulkorb tragen!“

      „Er trägt keinen, weil er dich sonst nicht beißen kann“, sagte ich ungerührt. Spencer verstärkte sein Knurren und brachte tatsächlich so etwas wie ein Zähnefletschen zustande. Er merkte, wenn ich jemanden nicht mochte. Montebello strich sich über seinen Schnurrbart.

      „Bacocelli, Bacocelli! Irgendwann machst du einen Fehler und dann …“ Er ließ offen, was er mit ihm machen würde.

      „Träum weiter, Alter! Das versuchst du doch schon eine ganze Weile und stehst immer noch mit leeren Händen da.“ Bacocelli grinste dreckig.

      „Platz, Spencer!“, beruhigte ich meinen Hund. „Er mag dich nicht, Bacocelli!“, erklärte