Heinz-Joachim Simon

Die Tränen des Kardinals


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„Ganz schnell! Wir haben ohnehin genug Sorgen. Der Heilige Vater hält uns auf Trab. Er ist eine Naturgewalt und räumt kräftig mit den alten Zöpfen auf.“

      Er bekam dabei einen verbissenen Gesichtsausdruck. Chefs, die viel Arbeit verursachen, werden vielleicht geachtet, aber nicht unbedingt geliebt. Nun, es war sein Acker und ging mich nichts an.

      „Man hat Sie noch nicht mit einer Forderung konfrontiert?“, insistierte ich.

      „Forderung? Was für eine Forderung?“

      „Man könnte ja sagen, wenn Sie nicht dies oder das tun, übergeben wir das Dokument der Presse. So was in der Art.“

      „Nein. Nichts dergleichen. Bisher jedenfalls nicht.“

      Wischnewski nickte bestätigend.

      „Wir würden auch nicht darauf eingehen, sondern behaupten, dass es eine Fälschung ist. Eine Intrige der Kommunisten.“

      „Und wenn sie die Beglaubigung eines Historikers vorlegten, dass das Dokument echt ist?“

      „Werden wir einen Historiker finden, der das Gegenteil behauptet. Aber zugegeben, es wäre eine höchst ärgerliche Geschichte, die wir zurzeit nicht gebrauchen können.“

      Mein Blick fiel auf ein Bild hinter dem Schreibtisch. Es zeigte einen Mann, der Geld zählte. Domus bemerkte meine Verwunderung und schmunzelte.

      „Ein Bild des flämischen Malers Quentin Massys aus dem Jahr 1514. Es ist sehr symbolträchtig. Die Waage verdeutlicht die Gerechtigkeit. Der Spiegel steht für die Zerbrechlichkeit des Lebens. Ein ähnliches Bild hängt im Louvre. Doch beachten Sie die Inschrift auf dem Rahmen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Matthäus 22, Vers 21. Die Worte Jesu!“, fügte er andächtig hinzu. „Bischof Kaczinski vom IOR, besser bekannt als Vatikanbank, hat es mir beim Amtsantritt in mein Büro hängen lassen. Für das, was sich der Heilige Vater vorgenommen hat, braucht er viel Geld. Sehr viel Geld. Ein Danaergeschenk!“, fügte er mit sardonischem Lächeln hinzu.

      Dass sich auch im Vatikan alles ums liebe Geld drehte, war keine Erkenntnis mit hohem Neuigkeitswert. Das Problem gab es bereits beim Bau des Petersdoms. Aber für einen so hohen Würdenträger, immerhin der zweite Mann nach dem Papst, war es doch ein erstaunliches Eingeständnis. Ich zuckte mit den Achseln.

      „Falls eine Forderung eintrifft, so bitte ich Sie, mich umgehend zu informieren.“

      „Das wird Kardinal Wischnewski übernehmen, der mich wiederum auf dem Laufenden hält. Nun, Mann aus Hamburg, dann zeigen Sie mal Ihre hanseatischen Tugenden! Wussten Sie, dass Danzig auch eine Hansestadt war?“

      Ich wusste es, unterließ es aber, ihn darüber aufzuklären. Er lächelte ironisch und nickte Wischnewski zu. Wir waren damit entlassen.

      Wischnewski war über den Verlauf der Audienz, so konnte man unser Gespräch vielleicht bezeichnen, sehr zufrieden.

      „Das neue Pontifikat ist noch in der Einarbeitungsphase“, erklärte er. „Seine Eminenz hat wahnsinnig viel um die Ohren. Außerdem gibt es eine große Diskussion über die Ausrichtung des Pontifikats Johannes Pauls II. Die Traditionalisten kämpfen gegen die Modernisten. Vereinfacht gesagt: Wie politisch darf ein Papst sein?“ Er biss sich auf die Lippen. Wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe, zu viel gesagt zu haben.

      Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hinunter ins Archiv, das unter der Bank IOR lag, dem Institut für gute Werke. Wir mussten einige Sicherheitsschleusen passieren. Der Kardinal hatte die entsprechende Codekarte dafür. Wir kamen in einen Saal, der so groß wie zwei Fußballfelder war und Hunderte von Regalreihen enthielt. Von einem Schreibtisch erhob sich ein Mann, der einen weißen Kittel trug, der ihn wie ein Arzt aussehen ließ. Er hatte ein durchschnittliches Gesicht, das leicht zu vergessen war. Seine Glatze wurde von einem schüchternen weißen Haarkranz umrahmt. Er hatte träumerische Augen, die durch dicke Augengläser vergrößert wurden. Der Kardinal stellte uns vor.

      „Wie ich Ihnen bereits sagte, Herr Casardi ist schon eine Ewigkeit bei uns. Er diente bereits unter vier Päpsten.“

      Ich bat mir zu zeigen, wo das Dokument archiviert gewesen war. Casardi ging mit uns zu einer Regalreihe, die viele Schubladen aufwies und zog ein Fach heraus. Er zeigte mir ein Dokument.

      „Das ist der Lateranvertrag. Das Zusatzdokument lag dahinter.“

      „Wie sind Sie darauf gekommen, dass etwas fehlt? Sie haben sicher Zehntausende von wichtigen Dokumenten!“

      „Das ist richtig. Bischof Kaczinski wollte wissen, wie viel der Staat Italien damals für den Gebietsverlust von 1870 gezahlt hat und ob alle Zahlungen erfolgt sind. Dabei bemerkte ich, dass der Zusatzvertrag fehlt. Ich habe es sofort Seiner Eminenz gemeldet.“

      „Das ist richtig“, bestätigte Wischnewski.

      „Wie viele Leute arbeiten hier?“

      „Zwölf Männer. Alle seit Jahren.“

      „Sie sind Geistliche?“

      „Teils, teils.“

      „Kommen auch Besucher oder andere Fremde hier hinein?“

      „Nein. Wissenschaftlern wird in einem Sicherheitszimmer das Dokument ausgehändigt, das sie interessiert. Hier ins Archiv kommen sie nicht. Oberste Vorschrift: Kein Dokument darf das Archiv verlassen.“

      „Und doch ist es passiert?“

      „Wir stehen vor einem Rätsel.“

      „Einmal ist immer das erste Mal, sagte der Fuchs, als er in den Hühnerstall einbrach.“

      Dem Kardinal war mein Spruch sichtlich peinlich.

      „Wer hat die Sicherheitsanlage installiert?“

      „Da müsste ich nachschauen. Es ist das Beste vom Besten. Wir sind mit Lasern gesichert. Ich weiß aber, dass es ein deutsches Unternehmen war. Und die sind auf dem Sektor Sicherheit wirklich gut.“

      „Wann war das?“

      „Vor fünf Jahren. Ich lasse Ihnen die Anschrift und den Namen des Sicherheitsingenieurs zugehen.“

      Ich gab ihm meine Visitenkarte mit der römischen Adresse.

      „Hier kommt niemand unbefugt herein!“, setzte er trotzig hinzu.

      „Ich weiß. Ich muss nur alles ausschließen. Irgendwo muss ein Schwachpunkt sein, sonst wäre der Zusatzvertrag ja noch im Archiv.“

      Er grummelte etwas.

      „Das wäre es erst mal“, beruhigte ich ihn. „Ich brauche noch die Namen aller Mitarbeiter und deren Personalakten“, sagte ich zum Kardinal. Er nickte.

      „Für meine Leute lege ich die Hände ins Feuer!“, protestierte Casardi.

      „Ich glaube Ihnen gern, dass Sie ehrliche Mitarbeiter haben. Aber ich muss das überprüfen.“

      „Wär’s das?“, fragte Wischnewski ungeduldig.

      „Nicht ganz. Ich möchte jetzt mit Bischof Kaczinski sprechen.“

      „So unangemeldet wird das kaum gehen. Ich werde mit seinem Sekretariat einen Termin vereinbaren.“

      „Ach, schaun wir mal rein. Wir haben es doch eilig und wollen möglichst schnell zu einem Ergebnis kommen.“

      Casardi staunte, dass sich der Kardinal fügte.

      Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hoch in die Bank. Sein Sekretariat war von einer Nonne besetzt. Sie war sogar ansehnlich. Der Kardinal trug unsere Bitte vor. Sie sah uns an, als hätten wir verlangt, ein Bild von Martin Luther aufzuhängen.

      „Man kann Bischof Kaczinski doch nicht ohne Terminabsprache …!“

      „Nun hören Sie mal gut zu, Schwester! Soll ich dem Heiligen Vater berichten, dass dieses Sekretariat meine Arbeit behindert?“, mischte ich mich ein.

      Sie war diesen Ton nicht gewöhnt. Meine Drohung wirkte,