Heinz-Joachim Simon

Die Tränen des Kardinals


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Augenweide, sie zornig zu sehen. Ihr Haar trug sie wieder länger. Es fiel ihr schwarz wie ein Wasserfall bis auf die Taille. Sie hatte ein schmales Gesicht, eine klassische Nase wie bei guten griechischen Statuen und die entzückendsten Grübchen auf den Wangen. Zweifellos war sie eine der schönsten Frauen Roms – und das will etwas heißen, denn Rom hatte eine Menge Töchter von der Klasse der Cardinale oder Loren.

      „Ich hau dann mal ab und trinke drüben im Canova einen Caffè freddo!“, sagte Marcello. Ich fand es nicht sehr kameradschaftlich. Nun würde sich Maja nicht mehr zurückhalten.

      „Ich bin ja auch nicht bei dir in Trastevere aufgetaucht! Du bist hier! Ich habe in Rom einen interessanten Auftrag zu erledigen.“

      „Meine Eltern sind schwer beleidigt, dass du dich nicht bei ihnen sehen lässt.“

      „Ja, was denn nun? Dann wäre ich ja mit dir zusammengestoßen. Erst klagst du, dass ich in Rom auftauche und dann beschwerst du dich, dass ich nicht deine Eltern besuche. Verstehe einer deine Logik!“

      Sie stutzte. Ihre Miene entspannte sich. Sie beäugte mich, als wäre sie ein Greifvogel und ich eine Maus. Warum fühlte ich mich ihr im Streit immer unterlegen?

      „In Rom wirkst du lockerer als in Hamburg“, sagte sie mit verträumter Stimme. Ich atmete auf. Den ersten Sturm hatte ich überstanden.

      „Das kommt dir nur so vor“, erwiderte ich sanft. „Hier ist das Licht heller. Die Luft ist samtig und es regnet auch keine Bindfäden“, fuhr ich lammfromm fort und versuchte einfühlsam ihrer Stimmung Rechnung zu tragen.

      „Ist dein neuer Auftrag so gefährlich wie der letzte?“

      „Keine Ahnung! Ich stehe ganz am Anfang.“

      „Deine Aufträge sind immer gefährlich!“, sagte sie nun wieder eine Spur schärfer.

      „Manchmal. Aber das wusstest du von Anfang an.“

      „Immer warst du weg!“, quengelte sie. „Immer hast du nur deine Gedanken bei deinen Fällen gehabt. Ich existierte gar nicht für dich. Und wenn du mal nicht als Detektiv gearbeitet hast, kümmertest du dich um dein Sportstudio oder zogst mit deinen Sportfreunden herum.“

      Der Hauch von versöhnlicher Stimmung war wieder dahin.

      „Das haben wir schon oft genug besprochen.“

      „Hast du eine Neue?“

      Ihre Augen waren nur noch einen Spalt breit offen.

      „Eine Neue? Ich habe mich noch nicht von dir erholt“, platzte ich heraus. Ich hätte mir selbst in den Hintern treten können.

      „Du bist kein Mann, der ohne Frauen sein kann“, sagte sie mit lauerndem Blick. Sie saß auf Marcellos Schreibtisch und wippte mit ihren Beinen. „Ach, Serge, du hättest mich nie in das kalte, nasse Hamburg verschleppen dürfen.“

      Was sollte das nun wieder? Hamburg war eine der schönsten Städte Deutschlands. An das Wetter konnte man sich gewöhnen.

      „Du bist freiwillig mitgekommen!“

      „Weil ich dich so geliebt habe.“

      Was nichts anderes hieß, als dass dies nicht mehr der Fall war?

      „Du hattest versprochen, dass du wenigstens die Hälfte des Jahres in Rom arbeiten würdest.“

      Wir hatten uns dies alles schon tausendmal an den Kopf geworfen.

      „Es war nicht abzusehen, dass sich Marcello so schnell einarbeiten würde. Und solche Jahrhundertfälle wie die Aufklärung des Papsttodes hat man nicht jedes Jahr.“

      „Rasieren könntest du dich auch mal wieder! Wir sind hier in einem zivilisierten Land. Du siehst aus wie ein Bandito.“

      „Ich soll dich von Iphigenie grüßen. Sie meint auch, ich verwildere langsam“, erwiderte ich lachend.

      „Hast du mit ihr etwas angefangen?“

      Sie bekam einen verbissenen Zug um den Mund, den ich gar nicht mochte.

      „Rede keinen Unsinn! Sie ist deine Freundin.“

      „Ich traue dir alles zu. Sie mag dich. Ich weiß es. Würde sie es sonst mit einem so chaotischen Chef wie dir aushalten?“

      „Du redest Unsinn! Hast du sonst noch etwas an mir auszusetzen? Dann raus damit! Ich habe eine wichtige Verabredung mit Kommissar Montebello.“

      „Du hast dich nicht verändert!“, klagte sie mit bitterem Ton. „Ich habe gehofft, dass du begreifen würdest, wie ernst es mir mit der Trennung ist, wenn du deinen abscheulichen Beruf nicht aufgibst.“

      Es klang nun gar nicht mehr versöhnlich.

      „Soll ich Pizzabäcker werden? Du musst mich schon so nehmen, wie ich bin. Du kannst aus mir keinen Hauskater machen.“

      „Du bist ein Narr, Serge Christiansen!“, erwiderte sie, sprang vom Schreibtisch und stürmte aus dem Büro. Sie ließ mich mit der Frage zurück, ob mir nur die Option blieb, mich kastrieren zu lassen. Ich stöhnte, stand auf und ging ans Fenster. Sie bestieg gerade ihre Vespa. Mit wehenden Haaren fuhr sie davon. Ich muss ihr sagen, dass sie sich einen Helm aufsetzen soll, dachte ich besorgt.

      Ich ging hinunter und über die Straße und setzte mich zu Marcello, der vor dem Café Canova saß.

      „Ist schlecht gelaufen, was?“

      „Keine Ahnung, was ihr Auftritt sollte. Verbessert hat er die Situation nicht. Wir haben uns nur das an den Kopf geworfen, was wir schon tausendmal durchgehechelt haben.“

      „Du hast es vermasselt.“

      „Was vermasselt?“

      „Sie wollte, dass du ihr einen Grund gibst, euren Streit zu beenden. Einen kleinen winzigen Grund, der sie hoffen lässt.“

      „Sie wollte die Kapitulation. Wenn ich ihr nachgeben würde, wärst du deinen Partner los.“

      „Idiot!“

      „Verstehe die Frauen, wer will!“

      „Sie hätte sich mit einem kleinen Finger begnügt.“

      „Ah ja? Und was soll das heißen?“

      „Zum Beispiel Rom zu deinem Hauptsitz zu erklären und hier eine schöne Wohnung einzurichten. Und wenn du dann noch für ein Kind gesorgt hättest, hätte sie sich mit vielem abgefunden. Italienische Frauen lassen ihre Familie nicht im Stich.“

      „Sie muss immer recht behalten.“

      „Mach dich mit dem Gedanken vertraut, dass du nicht der einzige Mann bist, der für sie interessant sein könnte.“

      „Was soll das denn heißen?“

      „Ist das so schwer zu kapieren?“

      „Ach, lass mich in Ruhe!“

      „Hau ab!“, sagte er lächelnd. „Warum zerbreche ich mir für dich den Kopf, du Barbar?“

      Ich trollte mich. Heute war so ein Tag, an dem alle unzufrieden mit mir waren. Am Eingang des Alfredo stieß ich mit Montebello zusammen. Er hatte sich nicht verändert und sah immer noch wie ein alter Seehund aus. Ein sehr großer Seehund mit einem Stalinbart. Wir umarmten uns und klopften uns den Rücken.

      „Alter Bandito!“, murmelte er gerührt.

      Wir gingen ins Lokal. Das Alfredo bestand aus einem großen Saal, eigentlich so gemütlich wie eine Werkskantine, wenn man ein paar Fresken an der Stirnwand übersah, die wohl in den dreißiger Jahren Mussolini und seinen Gangstern gefallen hatten. Aber die fielen ohnehin nicht weiter auf, weil alle Wände mit Fotos von illustren Gästen bepflastert waren. Es gab wohl keine Berühmtheit, die hier nicht schon die Fettuccine gegessen hatte. Selbst Kennedy und Jackie O. fehlten nicht.

      Wir setzten uns, ohne eine Einweisung abzuwarten, in eine Ecke, von wo wir den Saal gut übersehen konnten. Carlo eilte mit der Speisekarte