hast du, Sandra?“, hakte sie nach. „Hat dir die Geschichte nicht gefallen?“
Sandra befühlte ängstlich ihren Hals. Sie war ein hübsches Mädchen, groß und schlank, mit hohen Wangenknochen und schönen braunen Augen, die von ihrer dunklen Haut noch betont wurden. Wie immer trug sie die Sportjacke der Shadyside Highschool, die in den Farben Rotbraun und Grau gehalten war.
„Ob sie mir gefallen hat?“ Ungläubig riss Sandra die Augen auf. „Ich fand sie schrecklich! Warum nimmst du unsere Namen für deine Geschichten?“
Tanja hatte Sam dasselbe gefragt, als er ihr die Geschichte vor ein paar Stunden gezeigt hatte. Sie hatte eine Hausarbeit in Erdkunde fertig machen müssen, und deshalb hatte er angeboten, die Gruselgeschichte für sie zu schreiben.
Jetzt gab Tanja Sams Antwort an Sandra weiter. „So ist es doch viel gruseliger, findest du nicht auch?“
„Na ja, lass zumindest meinen Namen das nächste Mal bitte weg“, warnte Sandra sie. „Ich mag es nicht, wenn man mir die Kehle durchschneidet – noch nicht mal in einer blöden Geschichte.“
„Blöde Geschichte?“, stieß Tanja geschockt aus. Sie fühlte sich, als hätte man ihr gerade ein Messer ins Herz gestoßen.
Sandra sah sie genervt an. „Du weißt, was ich meine“, murmelte sie. „Ich will nicht mehr in den Geschichten vorkommen, okay?“
„Ich finde es voll cool, echte Namen zu verwenden“, warf Maura ein. „Dadurch wird es doch viel realistischer. Man kann sich richtig gut vorstellen, wie der Person die Kehle durchgeschnitten wird.“
„Aber ich will es mir gar nicht vorstellen!“, jammerte Sandra und griff sich erneut an den Hals.
Alle lachten.
Tanja sah Maura überrascht an. Maura war ein dickes rothaariges Mädchen mit großen grünen Augen und vielen Sommersprossen auf ihrem runden, einfachen Gesicht. Tanja war mehr als erstaunt, dass Maura sie verteidigt hatte. Denn seit Maura und Sam sich getrennt hatten und nun Tanja mit Sam zusammen war, hatte Maura ansonsten kein gutes Haar an ihr gelassen.
Sie fragte sich, ob Maura die Trennung von Sam endlich überwunden hatte. „Vielleicht können wir jetzt wieder Freunde sein“, dachte Tanja hoffnungsvoll. „Vielleicht können wir aufhören, uns anzugiften.“
Doch dann sah sie, dass Maura Sam anlächelte. „Sollte ich dir womöglich auch ein Kompliment für die Geschichte machen?“, fragte Maura ihn listig.
Sam tat so, als hätte er keine Ahnung, was Maura damit meinte.
Aber Tanja spürte, dass sie rot wurde. „Hey! Was willst du damit sagen?“
Maura zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand langsam durch ihr kurzes, glänzendes Haar. „Das einzig Vorteilhafte an ihr“, dachte Tanja gehässig.
Tanjas Haar war noch viel hübscher – lang, blond und seidig, die vollkommene Ergänzung zu ihren klaren blauen Augen. Sie wusste, wie gut sie aussah. Und es gab außerdem immer genügend Jungen, die sie daran erinnerten.
„Ach, tu bloß nicht so unschuldig, Tanja“, sagte Maura. „Willst du etwa behaupten, Sam würde dir nicht bei deinen Geschichten helfen – so, wie er dir in Mathe hilft?“
„Er hat mir nicht geholfen“, protestierte Tanja. „Ich habe diese Geschichte selber geschrieben. Jedes einzelne Wort! Sag es ihr, Sam.“
Sam saß neben Maura auf der roten Couch. Er war groß und schlank, hatte dunkles, lockiges Haar und hübsche Gesichtszüge. Verlegen schlug er die Beine übereinander. „Äh, was immer du sagst“, steuerte er bei.
„Eine große Hilfe“, dachte Tanja verbittert. Sie fragte sich, ob er ihr Geheimnis Maura womöglich verraten hatte. Manche Jungs waren so seltsam und blieben ihrer Exfreundin noch ewig treu.
Manchmal wunderte Tanja sich, warum sie eigentlich mit Sam zusammen war. Er redete kaum noch mit ihr und küsste sie so gut wie nie. Ein toller Freund.
„Er macht bloß noch meine Hausaufgaben. Nächste Woche schreibe ich die Geschichte wieder selber“, schwor sie sich.
Sie lächelte Maura an. „Okay, Maura, was hältst du davon, wenn meine nächste Story von dir handelt? Natürlich wirst du das Opfer sein.“
„Solange du dafür sorgst, dass ich durch Schokolade sterbe!“, witzelte Maura.
Alle außer Sandra lachten. Sie kletterte aus ihrem Sessel und reckte träge ihre langen Arme in die Höhe. „Jetzt drehst du total durch, Tanja, oder?“, sagte sie.
„Sandra, was hast du für ein Problem?“, gab Tanja zurück.
„Andere Leute haben auch Gefühle“, beschwerte sich Sandra. „Daran solltest du dich erinnern, wenn du eine neue Geschichte schreibst.“
Tanja sah sich im Zimmer um. Alle beobachteten sie und warteten auf ihre Antwort. Sie versuchte, die angespannte Atmosphäre mit einem Scherz aufzulockern.
„Und was stimmt mit mir sonst alles nicht?“, fragte sie. „Wir können ja eine Liste meiner Fehler von A bis Z machen.“
„Dafür reicht meine Zeit nicht“, witzelte Sandra. „Ich muss um elf zu Hause sein!“
Maura brach in lautes Gelächter aus. Und auch die anderen grinsten.
Tanja spürte, wie gereizt sie wurde. Sie konnte es nicht leiden, ausgelacht zu werden.
Aber Sandra war jetzt nicht mehr zu bremsen. „Warte mal“, sagte sie und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Warum beginnen wir nicht mit A. Arrogant fängt mit A an, nicht wahr?“
„Hey, du kannst ja buchstabieren!“, erwiderte Tanja sarkastisch.
„Mir fällt auch was mit B ein“, fuhr Maura kichernd fort.
Tanja wartete darauf, dass jemand etwas zu ihrer Verteidigung sagte, doch alle blieben stumm. Sogar Sam. „Toller Freund“, dachte sie unglücklich.
„Angeberisch fängt auch mit A an“, sagte Sandra in die Pause und grinste höhnisch.
Tanja holte tief Luft. Sandra war immer sarkastisch. Sie spielte gerne die Coole. Aber dieses Mal ging sie zu weit.
„Ich muss sie dazu bringen aufzuhören, bevor ich platze“, dachte Tanja. „Aber was kann ich tun?“
Dann fiel ihr das Messer in ihrer Jeanstasche ein! Sie hatte es ganz vergessen.
„Das wird Sandra dazu bringen, mich in Ruhe zu lassen.“
Ruhig und gelassen ging Tanja durchs Zimmer, bis sie vor Sandra stand. Sie steckte die Hand in die Tasche und holte das Klappmesser heraus.
Als die Klinge aufsprang, riss Sandra erschrocken den Mund auf. Schützend hob sie beide Hände.
„Wie wär’s mit einer Entschuldigung?“, fragte Tanja und zielte mit dem Messer auf ihre Brust. „Ich glaube, die fängt mit E an.“
Tanja wartete Sandras Antwort nicht ab.
Sie hob das Messer hoch und stieß es Sandra in die Brust. Sie zielte auf ihr Herz.
Sie zielte genau richtig.
3
Sandra keuchte und riss ungläubig die Augen auf.
Ihre Arme schossen nach vorne. Dann wich sie zurück und hielt sich die Hände vor die Brust.
Tanja hörte die erschrockenen Schreie der anderen hinter sich.
Sie hielt das Messer hoch und zeigte ihnen die blitzende silberne Klinge. Dann fing sie an zu lachen. „April, April!“, rief sie spöttisch.
Fassungslos schaute Sandra auf ihren Pullover herab. Kein Blut.
„Hey“, stieß sie eher erstaunt als wütend aus.
Lachend