„Ich finde das überhaupt nicht witzig, Leute!“, rief Cindy. „Was soll der Quatsch? Was zum Teufel habt ihr mit mir vor?“
„Schön stillhalten, damit ich dir nicht aus Versehen wehtue“, sagte Donna und verknotete das schwarze Tuch an Cindys Hinterkopf. „Wir erklären dir später alles.“
Dann trat sie einen Schritt zurück und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Geschafft! So weit, so gut. Bis jetzt lief alles nach Plan.
„Okay, Patrick, sie kann jetzt nichts mehr sehen …“, setzte Donna an und wandte sich zu ihm um.
Vor Schreck blieb ihr der Rest des Satzes im Halse stecken.
Sie schnappte entsetzt nach Luft. Was ging hier vor? Das gehörte doch nicht zu ihrem Plan!
Warum hatte Patrick eine Pistole in der Hand? Die war doch nicht etwa echt?
„Hey!“, stieß sie mit erstickter Stimme hervor. Der silberne Lauf glitzerte, als Patrick die Waffe auf Cindy richtete.
„Schön stillhalten, damit ich dir nicht aus Versehen wehtue“, machte er Donnas Stimme nach. Dann presste er der verängstigten Cindy mit einem fiesen Grinsen die Pistole in die Seite.
Ihr schriller Schrei hallte durch das stille Haus.
3
„Neiiiiin!“, heulte Donna auf. „Patrick, nimm die Waffe weg!“
Hatte er den Verstand verloren?
Hannah stürzte sich mit einem Hechtsprung auf Patrick und packte seinen Arm. „Spinnst du? Leg die sofort weg!“, schrie sie ihn an.
Patrick lachte. „Mach dich locker!“
Er steckte die Pistole in die Innentasche seiner schwarzen Lederjacke. „Siehst du? Schon verschwunden.“
„Du hast nichts davon gesagt, dass du eine Waffe mitbringen würdest!“, rief Donna mit zitternder Stimme.
„Was ist denn schon dabei? Ich dachte, das würde unsere Entführung noch ein bisschen realistischer machen“, verteidigte sich Patrick. „Du kannst gern nachschauen. Sie ist natürlich nicht geladen.“
„Was läuft hier eigentlich?“, wollte Cindy wütend wissen und versuchte, das Tuch von ihren Augen zu lösen. Doch Gil und Jackson packten sie schnell wieder an den Armen. „Woher hast du eine Waffe?“, fragte sie in Patricks Richtung. „Und was macht ihr alle hier bei uns im Haus?“
„Wir kidnappen dich“, erklärte Donna.
„Ihr kidnappt mich? Warum?“
„Weil wir dich zu der heißesten Geburtstagsfete des Jahres verschleppen wollen. Party bis morgen Früh!“
„Echt? Das ist ja super!“, quietschte Cindy aufgeregt. „Wo denn?“
„Lass dich überraschen. Das wirst du schon noch früh genug sehen“, sagte Donna, nahm, einer plötzlichen Eingebung folgend, noch Cindys Umhängetasche mit, die neben ihrem Schreibtisch stand, und folgte Gil und Jackson, die mit Cindy bereits das Zimmer verlassen hatten. Sie führten Cindy vorsichtig die Treppe hinunter. „Deswegen haben wir dir schließlich die Augen verbunden“, meinte Hannah mit einem Kichern. „Damit du nicht weißt, wohin wir dich bringen.“
„Ihr habt mich echt zu Tode erschreckt“, sagte Cindy und schüttelte den Kopf. „Im Ernst.“
„Das hatten wir auch vor!“ Donna lachte.
„Kann ich die Augenbinde jetzt nicht abmachen?“, fragte Cindy, als sich alle in den Minivan gequetscht hatten. Sie streckte die Hand aus, um sie sich vom Kopf zu ziehen.
„Kommt nicht infrage“, winkte Donna ab. „Die bleibt, wo sie ist, bis wir sie dir abnehmen.“
„Aber ich kann überhaupt nichts sehen!“, protestierte Cindy kläglich.
„Das ist der Sinn der Sache“, sagte Gil lachend.
„Cindy zieht mal wieder ihre Ich-bin-so-schwach-und-hilflos-Nummer ab“, knurrte Hannah leise, während sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ.
„Dazu hat sie heute ja auch ausgiebig Gelegenheit“, witzelte Donna.
Hannah seufzte genervt. „Ich mein’s ernst.“
Donna lächelte unbehaglich und ließ den Motor an.
Obwohl sie Hannah und Cindy jetzt schon ein halbes Jahr kannte, wurde sie aus der Freundschaft der beiden nicht schlau. Sie kamen ihr eher vor wie Rivalinnen und nicht wie Freundinnen. Ständig wetteiferten sie um irgendetwas. Noten. Aufmerksamkeit. Jungen.
Was die Jungen anging, hatte Cindy ganz klar die Nase vorn. Praktisch jedes männliche Wesen an der Highschool von Shadyside war unsterblich in sie verliebt.
Mit ihrer zierlichen Figur, den großen blauen Augen und den weißblonden Haaren war sie genau der Typ Mädchen, auf den die Jungen flogen. Und wie! Alle waren ganz verrückt danach, sich als Cindys Beschützer aufzuspielen. Gil war da keine Ausnahme. Er und Cindy waren bis Ende letzten Sommers zusammen gewesen. Doch nun ging er mit Hannah.
Donna sah kurz zu Hannah hinüber, die gerade ihren Sicherheitsgurt anlegte. Sie war groß und schlank und machte mit den Sommersprossen und den wilden roten Locken nicht im Geringsten den Eindruck, als würde sie einen Beschützer brauchen.
„Warum stellst du nicht das Radio an?“, schlug Patrick vor, der auf dem Rücksitz saß. „Wenn das hier ’ne Party sein soll, wär ein bisschen Musik nicht schlecht, oder?“
„Kein Problem. Aber nur, wenn du mir eine Frage beantwortest“, erwiderte Donna und fuhr an.
„Schieß los“, sagte Patrick. Dann stöhnte er auf. „Ooops, das hätte ich wohl besser nicht sagen sollen, was? Schlechte Wortwahl. Sorry.“
„Ich kann einfach nicht glauben, dass du eine Waffe angeschleppt hast“, sagte Donna, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. „Wo hast du die her? Und warum hast du das gemacht?“
Patrick schwieg.
Donna hatte das Gefühl, dass er offenbar etwas loswerden wollte, aber noch zögerte, damit herauszurücken. „Also, was ist, Patrick? Spuck’s aus!“, drängte sie.
„Eigentlich dürfte ich euch nichts verraten“, sagte er schließlich. „Die Polizei hält die Information nämlich noch unter Verschluss.“
„Welche Information?“, fragte Hannah.
„Ach, komm!“, meinte Jackson. „Uns kannst du es doch sagen. Wir können ein Geheimnis für uns behalten.“
Patrick starrte aus dem Wagenfenster. „Nein. Ich erzähl’s euch lieber nicht“, sagte er leise. „Das würde euch die ganze Party verderben.“
4
„Mach schon!“, drängte Donna wieder. „Spann uns doch nicht so auf die Folter!“
Patrick seufzte. „Mein Vater hat uns heute besucht“, begann er. „Ihr wisst ja, dass er in Waynesbridge bei der Polizei arbeitet.“
Donna nickte. Nachdem seine Eltern sich vor einem Jahr hatten scheiden lassen, waren Patrick und seine Mutter von Waynesbridge nach Shadyside gezogen.
„Was hat dein Vater dir denn nun erzählt?“, hakte Donna noch einmal nach.
„Dass ein Häftling ausgebrochen ist“, rückte Patrick mit der Sprache heraus. „Aus einem Gefängnis weiter oben im Norden. Er ist im Fear-Street-Wald gesehen worden.“
„Im Fear-Street-Wald?“ Hannah schnappte erschrocken nach Luft.
Patrick nickte. „Ich hab die Pistole nicht wegen unserer Kidnapping-Nummer mitgebracht. Mein Vater hat sie mir gegeben. Nur für den Fall, dass wir dem entflohenen