in der Tat das erste Denken verwandelt auf höherer Stufe wieder: es ist zur »Form der Form als ihres Gehaltes«34 geworden, die zweite ist aus der ersten Stufe, somit unmittelbar durch eine echte Reflexion hervorgegangen. Es ist mit anderen Worten das Denken der zweiten Stufe aus dem ersten von selbst und selbsttätig35 als dessen Selbsterkenntnis entsprungen. »Sinn, der sich selbst sieht, wird Geist«,36 heißt es in Übereinstimmung mit der späteren Terminologie der Vorlesungen schon im Athenäum. Fraglos ist vom Standpunkt der zweiten Stufe das bloße Denken Stoff, das Denken des Denkens seine Form. Die erkenntnistheoretisch maßgebende Form des Denkens ist also – und dies ist für die frühromantische Auffassung fundamental – nicht die Logik – vielmehr gehört diese zum Denken ersten Grades, zum stofflichen Denken – sondern diese Form ist das Denken des Denkens. Auf Grund der Unmittelbarkeit seines Ursprungs aus dem Denken ersten Grades wird dieses Denken des Denkens mit dem Erkennen des Denkens identifiziert. Es bildet für die Frühromantiker die Grundform alles intuitiven Erkennens und erhält so seine Dignität als Methode; es befaßt als Erkennen des Denkens jede andere, niedere Erkenntnis unter sich, und so bildet es das System.
In dieser romantischen Deduktion der Reflexion darf ein charakteristischer Unterschied von der Fichteschen bei aller Ähnlichkeit mit dieser nicht übersehen werden. Von seinem absoluten Grundsatz alles Wissens sagt Fichte: »Vor ihm hat Cartes einen ähnlichen angegeben: cogito ergo sum, … welches er … sehr wohl als unmittelbare Tatsache des Bewußtseins betrachtet haben kann. Dann hieße es soviel als cogitans sum, ergo sum … Aber dann ist der Zusatz cogitans völlig überflüssig; man denkt nicht notwendig, wenn man ist, aber man ist notwendig, wenn man denkt. Das Denken ist gar nicht das Wesen, sondern nur eine besondere Bestimmung des Seins …«.37 Es interessiert hier nicht, daß der romantische Standpunkt nicht der des Cartesius ist, auch kann nicht die Frage aufgeworfen werden, ob Fichte mit dieser Bemerkung aus der »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« nicht sein eigenes Verfahren durchkreuze, sondern allein darauf ist hinzuweisen, daß der Gegensatz, in dem Fichte sich zu Cartesius weiß, auch zwischen ihm und den Romantikern obwaltet. Während Fichte die Reflexion in die Ursetzung, in das Ursein verlegen zu können meint, fällt für die Romantiker jene besondere ontologische Bestimmung, die in der Setzung liegt, fort. Sein und Setzung hebt das romantische Denken in der Reflexion auf. Die Romantiker gehen vom bloßen Sich-Selbst-Denken als Phänomen aus; es eignet allem, denn alles ist Selbst. Für Fichte kommt nur dem Ich ein Selbst zu,38 d. h. eine Reflexion existiert einzig und allein korrelativ zu einer Setzung. Für Fichte ist das Bewußtsein »Ich«, für die Romantiker ist es »Selbst«, oder anders gesagt: bei Fichte bezieht sich die Reflexion auf das Ich, bei den Romantikern auf das bloße Denken, und gerade durch diese letzte Beziehung wird, wie sich noch deutlicher zeigen soll, der eigentümliche romantische Reflexionsbegriff konstituiert. – Die Fichtesche Reflexion liegt in der absoluten Thesis, ist Reflexion innerhalb derselben und soll außerhalb ihrer, weil ins Leere führend, nichts bedeuten. Innerhalb jener Setzung begründet sie das unmittelbare Bewußtsein, d. h. die Anschauung, und als Reflexion die intellektuelle Anschauung derselben. Fichtes Philosophie geht zwar von einer Tathandlung, nicht von einer Tatsache aus, aber das Wort »Tat« spielt dennoch in einer Unterbedeutung auf »Tatsache«, auf das »fait accompli« noch an. Diese Tathandlung im Sinne der in der Tat ursprünglichen Handlung, und nur sie, wird durch die Mitwirkung der Reflexion gegründet. Fichte sagt: »weil das Subjekt des Satzes39 das absolute Subjekt, das Subjekt schlechthin ist, so wird in diesem einzigen Falle mit der Form des Satzes zugleich sein innerer Gehalt gesetzt«.40 Also kennt er nur einen einzigen Fall fruchtbarer Anwendung der Reflexion, diejenige in der intellektuellen Anschauung. Was aus der Funktion der Reflexion in der intellektuellen Anschauung entspringt, ist das absolute Ich, eine Tathandlung, und sonach ist das Denken der intellektuellen Anschauung ein relativ gegenständliches Denken. Es ist mit anderen Worten die Reflexion nicht die Methode der Fichteschen Philosophie; diese hat man vielmehr in dem dialektischen Setzen zu sehen. Die intellektuelle Anschauung ist Denken, das seinen Gegenstand, die Reflexion im Sinne der Romantiker aber Denken, das seine Form erzeugt. Denn was bei Fichte nur im »einzigen« Falle stattfindet, eine notwendige Funktion der Reflexion, und was in diesem einzigen Falle konstitutive Bedeutung für ein vergleichsweise Gegenständliches, die Tathandlung, hat, jenes »Form der Form als ihres Gehaltes«-Werden des Geistes findet nach der romantischen Anschauung unaufhörlich statt und konstituiert vorerst nicht den Gegenstand, sondern die Form, den unendlichen und rein methodischen Charakter des wahren Denkens.
Es wird demgemäß das Denken des Denkens zum Denken des Denkens des Denkens (und so fort), und es ist damit die dritte Reflexionsstufe erreicht. Erst in ihrer Analyse tritt die Größe der Differenz, die zwischen dem Denken Fichtes und dem der Frühromantiker besteht, vollkommen hervor; es wird begreiflich, aus welchen philosophischen Motiven die gegnerische Haltung der Windischmannschen Vorlesungen gegen Fichte sich herschreibt, und wie Schlegel in seiner Fichte-Rezension von 1808, wenn auch gewiß nicht ganz ohne Voreingenommenheit, die früheren Berührungen seines Kreises mit Fichte als ein Mißverständnis bezeichnen konnte, das sich auf die ihnen beiden gleicherweise aufgezwungene polemische Haltung gegen dieselben Gegner gründete.41 Die dritte Reflexionsstufe bedeutet, mit der zweiten verglichen, etwas prinzipiell Neues. Die zweite, das Denken des Denkens, ist die Urform, die kanonische Form der Reflexion; als solche hat sie auch Fichte in der »Form der Form als ihres Gehaltes« anerkannt. Auf der dritten und jeder folgenden höheren Reflexionsstufe geht jedoch in dieser Urform eine Zersetzung vor sich, die in einer eigentümlichen Doppeldeutigkeit sich bekundet. Das scheinbar Sophistische der folgenden Analyse kann für die Untersuchung kein Hindernis bilden; denn tritt man in die Diskussion des Reflexionsproblems, wie sie der Zusammenhang erfordert, ein, so sind freilich subtile Unterscheidungen nicht zu vermeiden, unter denen der folgenden eine wesentliche Bedeutung zukommt. Das Denken des Denkens des Denkens kann auf zweifache Art aufgefaßt und vollzogen werden. Wenn man von dem Ausdruck »Denken des Denkens« ausgeht, so ist dieser auf der dritten Stufe entweder das gedachte Objekt: Denken (des Denkens des Denkens), oder aber das denkende Subjekt (Denken des Denkens) des Denkens. Die strenge Urform der Reflexion des zweiten Grades ist durch die Doppeldeutigkeit im dritten erschüttert und angegriffen. Diese aber würde zu einer immer vielfacheren Mehrdeutigkeit auf jeder folgenden Stufe sich entfalten. In diesem Sachverhalt beruht das Eigentümliche der von den Romantikern in Anspruch genommenen Unendlichkeit der Reflexion: die Auflösung der eigentlichen Reflexionsform gegen das Absolutum. Die Reflexion erweitert sich schrankenlos, und das in der Reflexion geformte Denken wird zum formlosen Denken, welches sich auf das Absolutum richtet. Diese Auflösung der strengen Reflexionsform, die identisch ist mit der Verminderung ihrer Unmittelbarkeit, ist freilich eine solche nur für das beschränkte Denken. Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß das Absolutum sich selbst reflexiv, in geschlossener Reflexion unmittelbar erfaßt, während die niederen Reflexionen sich der höchsten nur in der Vermittlung durch Unmittelbarkeit nähern können; diese vermittelte muß ihrerseits wiederum der völligen Unmittelbarkeit weichen, sobald sie die absolute Reflexion erreichen. Schlegels Theorem verliert den Anschein des Abstrusen, sobald man seine Voraussetzung für diesen Gedankengang kennt. Diese erste, axiomatische Voraussetzung ist, daß die Reflexion nicht in eine leere Unendlichkeit verlaufe, sondern in sich selbst substanziell und erfüllt sei. Nur mit Hinsicht auf diese Anschauung läßt sich die einfache absolute Reflexion von ihrem Gegenpol, der einfachen Urreflexion, unterscheiden. Diese beiden Reflexionspole sind schlechthin einfach, alle anderen sind es nur relativ, von sich selbst, nicht vom Absoluten aus gesehen. Man hätte zum Behuf ihrer Unterscheidung anzunehmen, daß die absolute Reflexion das Maximum, die Urreflexion das Minimum der Wirklichkeit in dem Sinne umfasse, daß zwar in beiden durchaus der Inhalt der ganzen Wirklichkeit, das ganze Denken enthalten sei, jedoch zur höchsten Deutlichkeit in der ersten entfaltet, unentfaltet und undeutlich in der andern. Diese Unterscheidung von Deutlichkeitsstufen ist im Gegensatz zur Theorie von der erfüllten Reflexion nur eine Hilfskonstruktion zur Logisierung eines von den Romantikern nicht vollkommen klar durchgedachten Gedankenganges. Wie Fichte das gesamte Wirkliche in den Setzungen unterbrachte – freilich nur durch ein Telos, das er in sie legte –, so sieht Schlegel unmittelbar und ohne daß er dies eines Beweises bedürftig hielte, das ganze Wirkliche in seinem vollen Inhalt mit steigender Deutlichkeit bis zur höchsten Klarheit im Absolutum sich in den Reflexionen entfalten. Wie er die Substanz dieses Wirklichen bestimmt, wird noch zu zeigen sein.
Schlegels