die intentionalen Akte, wenn sie erkannt hat, was sie leisten sollen.«81 »Für die Literaturgeschichte … rechtfertigt sich … von hier aus eine Betrachtung, die auf Voraussetzungen zurückgeht, auch wenn diese von der Reflexion des Autors selber meist nicht getroffen werden«.82. Für die Problemgeschichte ist eine solche Betrachtung geradezu erfordert. Es wäre für sie unbedingter, als für eine literarhistorische ein Tadel, wenn man von ihr, wie Elkuß von einer literarhistorischen, sagen müßte, sie bleibe einem Autor gegenüber »bei der Charakterisierung seiner geistigen Welt in den Antithesen befangen, die für ihn selbst Bewußtseinsinhalt waren,« beurteile »geistige Mächte nur in der Stilisierung, die er ihnen gibt, und« dringe »zu dieser Stilisierung als einer … selber der Analyse bedürftigen Leistung überhaupt nicht mehr vor«.83 Allerdings ist es gar nicht nötig, weit hinter das Ausgesprochene zurückzugehen, um zunächst nur die entschieden systematische Tendenz in Friedrich Schlegels Denken um die Jahrhundertwende wahrzunehmen; die übliche Auffassung von seinem Verhältnis zum systematischen Denken ist eher daher zu verstehen, daß man ihn zu wenig, als daß man ihn zu genau beim Wort genommen hat. Die Tatsache, daß ein Autor sich in Aphorismen ausspricht, wird niemand letzthin als einen Beweis gegen seine systematische Intention gelten lassen. Nietzsche z. B. hat aphoristisch geschrieben, dazu sich als Gegner des Systems bezeichnet, dennoch hat er seine Philosophie umfassend und einheitlich nach den leitenden Ideen durchdacht und zuletzt sein System zu schreiben begonnen. Schlegel dagegen hat sich niemals auch nur schlechthin als Gegner der Systematiker bekannt. Bei allem scheinbaren Zynismus ist er bezeichnenderweise in seiner Reifezeit auch seinen eigenen Worten nach niemals Skeptiker gewesen. »Als vorübergehender Zustand ist der Skeptizismus logische Insurrektion; als System ist er Anarchie. Skeptische Methode wäre also ungefähr wie insurgente Regierung«84, heißt es in den Athenäumsfragmenten. Die Logik nennt er ebendort eine »Wissenschaft, welche von der Forderung der positiven Wahrheit und der Voraussetzung der Möglichkeit eines Systems ausgeht«.85 Die bei Windischmann veröffentlichten Fragmente86 geben Zeugnis in Fülle, daß er seit dem Jahre 1796 über das Wesen des Systems und die Möglichkeit seiner Begründung angestrengt nachdachte; es war jene Gedankenentwicklung, die im System der Vorlesungen mündete. Die zyklische Philosophie87 ist der Titel, unter welchem Schlegel damals das System vorstellte. Von den wenigen Bestimmungen, die er von ihr gibt, ist die wichtigste, die ihren Namen begründet: »Es muß der Philosophie nicht bloß ein Wechselbeweis, sondern auch ein Wechselbegriff zugrunde liegen. Man kann bei jedem Begriff wie bei jedem Erweis wieder nach einem Begriff und Erweis desselben fragen. Daher muß die Philosophie wie das epische Gedicht in der Mitte anfangen, und es ist unmöglich, dieselbe so vorzutragen und Stück für Stück hinzuzählen, daß gleich das erste für sich vollkommen begründet und erklärt wäre. Es ist ein Ganzes, und der Weg, es zu erkennen, ist also keine gerade Linie, sondern ein Kreis. Das Ganze der Grundwissenschaft muß aus zwei Ideen, Sätzen, Begriffen … ohne allen weiteren Stoff abgeleitet sein«.88 Diese Wechselbegriffe sind dann später in den Vorlesungen die beiden Pole der Reflexion, die sich letzten Endes als einfache Urreflexion und als einfache absolute Reflexion kreisförmig wieder zusammenschließen. Die Philosophie beginnt in der Mitte, bedeutet, daß sie keinen ihrer Gegenstände mit der Urreflexion identifiziert, sondern in ihnen ein Mittleres im Medium sieht. Als weiteres Motiv kommt in jener Zeit noch die Frage des erkenntnistheoretischen Realismus und Idealismus bei Schlegel hinzu, die sich in den Vorlesungen von selbst erledigt. Nur aus der Ignorierung der Windischmannschen Vorlesungen erklärt es sich also, daß Kircher mit Hinsicht auf die Fragmente von 1796 ab sagen konnte: »Das System der zyklischen Philosophie hat Friedrich nicht ausgeführt; es sind lauter Vorarbeiten, Voraussetzungen, es sind die subjektiven Grundlagen des Systems, die in Begriffe gestalteten Antriebe und Bedürfnisse seines philosophischen Geistes, was uns davon erhalten ist«.89
Dafür jedoch, daß Schlegel in der Athenäumszeit zu keiner vollen Klarheit über seine systematische Intention gelangen konnte, lassen sich mehrere Gründe namhaft machen. Die systematischen Gedanken besaßen damals nicht die Vorherrschaft in seinem Geiste, und dies hängt einerseits damit zusammen, daß er nicht genügend logische Kraft besaß, um sie aus seinem damals noch reichen und leidenschaftlichen Denken herauszuarbeiten, andererseits damit, daß er kein Verständnis für den Systemwert der Ethik hatte. Das ästhetische Interesse überwog alles. »Friedrich Schlegel war ein Künstler-Philosoph, oder ein philosophierender Künstler, als solcher ging er einerseits den Traditionen der philosophischen Zünftler nach und suchte Zusammenhang mit der Philosophie seiner Zeit, andererseits war er zu sehr Künstler, um beim rein Systematischen stehen zu bleiben.«90 Bei Schlegel tritt, um auf den obigen Vergleich zurückzukommen, das Gradnetz seiner Gedanken unter der überdeckenden Zeichnung fast nie hervor. Wenn die Kunst als das absolute Reflexionsmedium die systematische Grundkonzeption der Athenäumszeit ist, so findet sich diese fortwährend durch andere Bezeichnungen substituiert, die den Anschein der verwirrenden Vielgestaltigkeit seines Denkens hervorrufen. Das Absolute erscheint bald als Bildung, bald als Harmonie, als Genie oder Ironie, als Religion, Organisation oder Geschichte. Und es soll gar nicht geleugnet werden, daß in anderen Zusammenhängen es wohl denkbar wäre, eine der anderen Bestimmungen – also nicht die Kunst, sondern etwa die Geschichte – jenem Absoluten, wofern nur sein Charakter als Reflexionsmedium gewahrt bliebe, einzuzeichnen. Unstreitig aber lassen die meisten dieser Bezeichnungen gerade jene philosophische Fruchtbarkeit vermissen, die in der Analyse des Begriffs der Kunstkritik für die Bestimmung des Reflexionsmediums als Kunst aufgewiesen werden soll. Der Begriff der Kunst ist in der Athenäumszeit eine – und außer dem der Geschichte vielleicht die einzige – legitime Erfüllung der systematischen Intention Friedrich Schlegels.91 Eine seiner typischen Verschiebungen und Überdeckungen möge hier, wenn auch vorgreifend, ihre Stelle finden: »Die Kunst, aus dem Impulse der strebenden Geistigkeit gestaltend, bindet diese in immer wieder neuen Formen mit dem Geschehen des gesamten Lebens der Gegenwart und der Vergangenheit. Die Kunst heftet sich nicht an einzelne Geschehnisse der Geschichte, sondern an deren Gesamtheit; vom Gesichtspunkt der sich ewig vervollkommnenden Menschheit aus, faßt sie den Komplex der Geschehnisse vereinheitlichend und veranschaulichend zusammen. Die Kritik … sucht das Menschheitsideal aufrechtzuerhalten, indem sie … auf dasjenige Gesetz hinausgeht, das sich an frühere Gesetze knüpfend, die Annäherung an das ewige Menschheitsideal verbürgt«.92 Dies ist eine Paraphrase des Gedankens in der Condorçet-Kritik des frühen Schlegel (1795). In den Schriften um 1800 nehmen, wie sich noch ergeben wird, derartige Amalgamierungen und gegenseitige Trübungen mehrerer Begriffe des Absolutums, die in solcher Vermischung ihre Fruchtbarkeit selbstverständlich einbüßen, überhand. Wer nach solchen Sätzen sich ein Bild vom tieferen Wesen der Schlegelschen Kunstauffassung machen wollte, müßte notwendig irren.
Schlegels vielfältige Bestimmungsversuche des Absoluten entspringen nicht allein aus einem Mangel, nicht nur aus Unklarheit. Ihnen liegt vielmehr eine eigentümliche positive Tendenz seines Denkens zugrunde. In ihr findet die oben gestellte Frage nach dem Grunde der Dunkelheit so vieler Schlegelscher Fragmente und gerade ihrer systematischen Intentionen ihre Antwort. Das Absolute war für Friedrich Schlegel in der Athenäumszeit allerdings das System in der Gestalt der Kunst. Aber er suchte dies Absolute nicht systematisch, sondern vielmehr umgekehrt das System absolut zu erfassen. Dies war das Wesen seiner Mystik, und obwohl er sie im Grunde bejahte, blieb ihm das Verhängnisvolle dieses Versuches nicht verborgen. Von Jacobi – daß Schlegel sich nicht selten gegen Jacobi wandte, um öffentlich eigene Fehler zu geißeln, hat Enders gezeigt – heißt es in den Windischmannschen Fragmenten: »Jacobi ist zwischen die absolute Philosophie geraten und zwischen die systematische, und da ist sein Geist zuschanden gequetscht«,93 eine Bemerkung, die etwas boshafter pointiert auch in den Athenäumsfragmenten94 Platz gefunden hat. Auch Schlegel selbst vermochte nicht, den mystischen Impuls absoluter Erfassung des Systems, den »alten Hang zum Mystizismus«95 von sich fernzuhalten. Das Gegenteil macht er Kant zum Vorwurf: »Er polemisiert … gar nicht die transzendente Vernunft, sondern die absolute – oder auch wohl die systematische«.96 Unübertrefflich charakterisiert er diese Idee absoluten Erfassens des Systems mit der Frage: »Sind nicht alle Systeme Individuen …?«97 Denn freilich, wenn dies der Fall wäre, so könnte man daran denken, Systeme ebenso intuitiv in ihrer Ganzheit zu durchdringen wie eine Individualität. Schlegel ist sich denn auch über die extreme Folgerung der Mystik im klaren gewesen: