Reflexionsvorgang in einem denkenden Wesen, durch den es sich selbst erkennt. Jedes Erkanntwerden eines denkenden Wesens setzt dessen Selbsterkenntnis voraus. »Alles, was man denken kann, denkt selbst:134: ist ein Denkproblem«135 lautet der Satz, den nicht umsonst Friedrich Schlegel in der Ausgabe, die er von den Werken seines verstorbenen Freundes besorgte, an die Spitze der Fragmente stellte.
Diese Bedingtheit jeder Objekterkenntnis in einer Selbsterkenntnis des Objekts zu behaupten, ist Novalis nicht müde geworden. In der paradoxesten, zugleich hellsten Gestalt in dem kurzen Satz: »die Wahrnehmbarkeit eine Aufmerksamkeit«.136 Ob in diesem Satz über die Aufmerksamkeit des Gegenstandes auf sich selbst hinaus noch die auf den Wahrnehmenden gemeint ist, tut nichts zur Sache; denn selbst wenn er diesen Gedanken deutlich ausspricht: »In allen Prädikaten, in denen wir das Fossil sehen, sieht es uns«,137 kann doch jene Aufmerksamkeit auf den Sehenden sinngemäß nur als Symptom für die Fähigkeit des Dinges, sich selbst zu sehen, verstanden werden. Außer der Sphäre des Denkens und Erkennens umfaßt also jene Grundgesetzlichkeit des Reflexionsmediums auch die der Wahrnehmung, und endlich sogar die der Tätigkeit. »Ein Stoff muß sich selbst behandeln, um behandelt zu sein«,138 heißt das Gesetz, dem diese unterliegt. – Erkennen und Wahrnehmen insbesondere sollen gleichsam auf alle Dimensionen der Reflexion bezogen und in allen fundiert sein: »Sieht man etwa jeden Körper nur so weit, als er sich selbst sieht und man sich selbst sieht?«139 Wie jede Erkenntnis nur vom Selbst ausgeht, so erstreckt sie sich auch allein auf dieses: »Gedanken sind nur mit Gedanken gefüllt, nur Denkfunktionen, wie Gesichte Augen- und Lichtfunktionen. Das Auge sieht nichts wie Auge, das Denkorgan nichts wie Denkorgane oder das dazugehörige Element«.140 »Wie das Auge nur Augen sieht – so der Verstand nur Verstand, die Seele Seelen, die Vernunft Vernunft, der Geist Geister etc.; die Einbildungskraft nur Einbildungskraft, die Sinne Sinne; Gott wird nur durch einen Gott erkannt.«141 In diesem letzten Fragment erscheint der Gedanke, daß jedes Wesen allein sich selbst erkenne, modifiziert zu dem Satz, jedes Wesen erkenne nur das ihm selbst Gleiche und werde allein durch Wesen erkannt, die ihm gleichen. Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Subjekt und Objekt in der Erkenntnis berührt, welche für die Selbsterkenntnis nach romantischer Auffassung keine Rolle spielt.
Wie ist Erkenntnis außerhalb der Selbsterkenntnis, d. h. wie ist Objektserkenntnis möglich? Sie ist es nach den Prinzipien des romantischen Denkens in der Tat nicht. Wo keine Selbsterkenntnis ist, da ist gar kein Erkennen, wo Selbsterkenntnis ist, ist die Subjekt-Objekt-Korrelation aufgehoben, wenn man will: ein Subjekt ohne Objekt-Korrelat gegeben. Trotzdem bildet die Wirklichkeit nicht ein Aggregat in sich abgeschlossener Monaden, die in keine reale Beziehung zu einander treten können. Ganz im Gegenteil sind alle Einheiten im Wirklichen außer dem Absoluten selbst nur relative. Sie sind so wenig in sich abgeschlossen und beziehungslos, daß sie durch Steigerung ihrer Reflexion (Potenzieren, Romantisieren; s. o. p.37) vielmehr andre Wesen, Reflexionszentren, mehr und mehr ihrer eigenen Selbsterkenntnis einverleiben können. Diese romantische Vorstellungsweise betrifft jedoch nicht nur die individuell menschlichen Reflexionszentren. Nicht die Menschen allein können ihre Erkenntnis durch gesteigerte Selbsterkenntnis in der Reflexion erweitern, sondern ebenso können das die sogenannten Naturdinge. Bei diesen hat der Vorgang eine wesentliche Beziehung auf das, was gemeinhin ihr Erkanntwerden genannt wird. Das Ding strahlt nämlich in dem Maße, als es in sich die Reflexion steigert und in seine Selbsterkenntnis andere Wesen einbegreift, seine ursprüngliche Selbsterkenntnis auf diese aus. Auch auf diese Weise kann der Mensch jener Selbsterkenntnis anderer Wesen teilhaftig werden; dieser Weg wird mit dem erstgenannten in der Erkenntnis zweier Wesen durch einander, die im Grunde die Selbsterkenntnis ihrer reflexiv erzeugten Synthesis ist, koinzidieren. Demnach ist alles, was sich dem Menschen als sein Erkennen von einem Wesen darstellt, in ihm der Reflex der Selbsterkenntnis des Denkens in demselbigen. Ein bloßes Erkanntwerden eines Dinges gibt es also nicht, ebensowenig aber ist das Ding oder Wesen beschränkt auf ein bloßes durch sich allein Erkanntwerden. Die Steigerung142 der Reflexion in ihm hebt vielmehr die Grenze zwischen dem durch sich selbst und durch ein anderes Erkanntwerden in dem Dinge auf und im Medium der Reflexion gehen das Ding und das erkennende Wesen ineinander über. Beides sind nur relative Reflexionseinheiten. Es gibt also in der Tat keine Erkenntnis eines Objekts durch ein Subjekt. Jede Erkenntnis ist ein immanenter Zusammenhang im Absoluten, oder wenn man will, im Subjekt. Der Terminus Objekt bezeichnet nicht eine Beziehung in der Erkenntnis, sondern eine Beziehungslosigkeit und verliert seinen Sinn, wo immer eine Erkenntnisrelation an den Tag tritt. Die Erkenntnis ist nach allen Seiten in der Reflexion verankert, wie die Fragmente des Novalis es andeuten: das Erkanntwerden eines Wesens durch ein anderes fällt zusammen mit der Selbsterkenntnis des Erkanntwerdenden, mit der des Erkennenden und mit Erkanntwerden des Erkennenden durch das Wesen, das er erkennt. Das ist die genaueste Form des Grundsatzes der romantischen Theorie der Gegenstandserkenntnis. Seine Tragweite für die Erkenntnistheorie der Natur liegt vor allem in den von ihm abhängigen Sätzen über die Wahrnehmung sowie über die Beobachtung.
Die erste hat keinen Einfluß auf die Theorie der Kritik und muß daher hier übergangen werden. Ohnehin ist es klar, daß diese Erkenntnistheorie es zu keiner Unterscheidung von Wahrnehmung und Erkenntnis bringen kann und im wesentlichen die auszeichnenden Züge der Wahrnehmung auch der Erkenntnis beilegt. Die Erkenntnis ist ihr zufolge in gleich hohem Grad unmittelbar, als es die Wahrnehmung nur irgend sein kann; und die nächstliegende Begründung der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung geht ebenfalls von einem dem Wahrnehmenden und Wahrgenommenen gemeinsamen Medium aus, wie die Geschichte der Philosophie in Demokrit zeigt, welcher von einer teilweisen stofflichen Durchdringung von Subjekt und Objekt die Wahrnehmung herschreibt. So heißt es auch bei Novalis, daß »der Stern im Fernrohr erscheint und dasselbe durchdringt … Der Stern … ist ein spontanes, das Fernrohr oder Auge ein rezeptives Lichtwesen«.143
Mit der Lehre vom Erkenntnis- und Wahrnehmungsmedium hängt diejenige von der Beobachtung zusammen, die von unmittelbarer Bedeutung für das Verständnis des Kritikbegriffs ist. Die »Beobachtung« und die mit ihr sehr häufig synonyme Bezeichnung des Experiments sind wiederum Vokabeln der mystischen Terminologie; in ihnen gipfelt, was die Frühromantik über das Prinzip der Naturerkenntnis zu erklären und zu verheimlichen hatte. Die Frage, auf welche der Begriff der Beobachtung antwortet, lautet: welches Verhalten hat der Forscher einzuschlagen, um unter der Voraussetzung, daß das Wirkliche ein Reflexionsmedium sei, die Natur zu erkennen? Er wird wissen, daß keine Erkenntnis ohne die Selbsterkenntnis des zu Erkennenden möglich ist und daß diese durch ein Reflexionszentrum (den Beobachter) in einem anderen (dem Dinge) nur wachgerufen werden kann, indem das erste durch wiederholte Reflexionen bis zum Umfassen des zweiten sich steigert. Diese Theorie hat bezeichnenderweise zuerst Fichte für die reine Philosophie ausgesprochen, und damit einen Hinweis darauf gegeben, wie tief sie mit den rein erkenntnistheoretischen Motiven des frühromantischen Denkens zusammenhängt. Er sagt von der Wissenschaftslehre im Gegensatz zu den anderen Philosophien: »Dasjenige, was sie zum Gegenstande ihres Denkens macht, ist nicht ein toter Begriff, der sich gegen ihre Untersuchung nur leidend verhalte, … sondern es ist ein Lebendiges und Tätiges, das aus sich selbst und durch sich selbst Erkenntnisse erzeugt, und welchem der Philosoph bloß zusieht. Sein Geschäft in der Sache ist nichts weiter, als daß er jenes Lebendige in zweckmäßige Tätigkeit versetze, dieser Tätigkeit desselben zusehe, sie auffasse und als Eins begreife. Er stellt ein Experiment an … wie das Objekt sich äußere, ist … Sache … des Objekts selbst … In den entgegengesetzten Philosophien … gibt es nur eine Reihe des Denkens, die der Gedanken des Philosophen, da sein Stoff selbst nicht als denkend eingeführt wird«.144 Was bei Fichte für das Ich gilt, das gilt bei Novalis vom Naturgegenstand und wird zu einem zentralen Satz der damaligen Naturphilosophie.145 Die Bezeichnung dieser Methode als Experiment, die schon Fichte gab, lag gegenüber dem Naturgegenstand besonders nahe. Das Experiment besteht in der Evokation des Selbstbewußtseins und der Selbsterkenntnis im Beobachteten. Eine Sache beobachten, heißt nur, sie zur Selbsterkenntnis bewegen. Ob das Experiment gelingt, hängt davon ab, wie weit der Experimentator imstande ist, durch Steigerung seines eigenen Bewußtseins, durch magische Beobachtung, wie man sagen darf, sich dem Gegenstand zu nähern und ihn endlich in sich einzubeziehen. In diesem Sinn sagt Novalis vom echten Experimentator: Die Natur »offenbart sich umso vollkommener durch ihn, je harmonischer seine Konstitution mit ihr ist«,146 und vom Experiment, daß es »die