der Poesie ist ein Unding. Schwer schon ist zu entscheiden, doch einzig mögliche Entscheidung, ob etwas Poesie sei oder nicht«.203 Und Friedrich Schlegel formuliert das gleiche, wenn er sagt, daß der Stoff der Kritik »nur das Klassische und schlechthin Ewige sein kann«.204 In dem Grundsatz von der Unkritisierbarkeit des Schlechten liegt eine der charakteristischsten Ausprägungen der romantischen Konzeption der Kunst und ihrer Kritik vor. Am deutlichsten hat ihn Schlegel im Abschluß des Lessingaufsatzes ausgesprochen: Es »kann … wahre Kritik gar keine Notiz nehmen von Werken, die nichts beitragen zur Entwicklung der Kunst …; ja es ist sonach eine wahre Kritik auch nicht einmal möglich von dem, was nicht in Beziehung steht auf jenen Organismus der Bildung und des Genies, von dem, was fürs Ganze und im Ganzen eigentlich nicht existiert«.205 »Es wäre illiberal, nicht vorauszusetzen, ein jeder Philosoph sei … rezensibel; … Aber anmaßend wäre es, Dichter ebenso zu behandeln; es müßte denn einer durch und durch Poesie und gleichsam ein lebendes und handelndes Kunstwerk sein,« heißt es im 67. Athenäumsfragment. Der romantische terminus technicus für das Verhalten, welches nicht nur in der Kunst, sondern auf allen Gebieten des Geisteslebens dem Grundsatz der Unkritisierbarkeit des Schlechten entspricht, heißt »annihilieren«. Er bezeichnet die indirekte Widerlegung des Nichtigen durch Stillschweigen, durch seine ironische Lobpreisung oder durch die Lobeserhebung des Guten. Die Mittelbarkeit der Ironie ist im Sinne Schlegels der einzige Modus, unter dem die Kritik dem Nichtigen geradezu entgegenzutreten vermag.
Es soll wiederholt werden, daß die Frühromantiker diese wichtigen sachlichen Bestimmungen über die Kunstkritik nicht im Zusammenhange gegeben haben, daß ihnen die geprägten Formulierungen in ihrer systematischen Schärfe zum Teil gewiß fern lagen, daß keiner der drei Grundsätze in ihrer Praxis streng befolgt worden ist. Hier handelt es sich weder um die Untersuchung ihrer kritischen Gepflogenheiten, noch um die Zusammenstellung dessen, was in diesem oder jenem Sinne bei ihnen über Kunstkritik zu finden ist, sondern um die Analysis dieses Begriffs nach seinen eigensten philosophischen Intentionen. Kritik, welche für die heutige Auffassung das Subjektivste ist, war für die Romantiker das Regulativ aller Subjektivität, Zufälligkeit und Willkür im Entstehen des Werkes. Während sie sich nach heutigen Begriffen aus der sachlichen Erkenntnis und der Wertung des Werkes zusammensetzt, ist es das Auszeichnende des romantischen Kritikbegriffs, eine besondere subjektive Einschätzung des Werkes im Geschmacksurteil nicht zu kennen. Die Wertung ist der sachlichen Untersuchung und Erkenntnis des Werkes immanent. Nicht der Kritiker fällt über dieses das Urteil, sondern die Kunst selbst, indem sie entweder im Medium der Kritik das Werk in sich aufnimmt oder es von sich abweist und eben dadurch unter aller Kritik schätzt. Die Kritik sollte mit dem, was sie behandelt, die Auslese unter den Werken herstellen. Ihre objektive Intention hat sich nicht allein in ihrer Theorie ausgesprochen. Wenigstens ist, wenn in ästhetischen Dingen die historische Geltungsdauer der Einschätzungen einen Hinweis auf das, was man allein sinngemäß ihre Objektivität nennen kann, gibt, die Geltung der kritischen Urteile der Romantik bestätigt worden. Sie haben die Grundeinschätzung der historischen Werke Dantes, Boccaccios, Shakespeares, Cervantes’, Calderons ebenso wie die der ihnen gegenwärtigen Erscheinung Goethes bis auf die Gegenwart bestimmt.206
Die Kraft der objektiven Intentionen in der Frühromantik ist von den meisten Autoren gering eingeschätzt worden. Da Friedrich Schlegel selbst von der Epoche seiner »revolutionären Objektivitätwut«, von der unbedingten Verehrung des griechischen Kunstgeistes sich bewußt abgewandt hatte, suchte man in den Schriften seiner reiferen Zeit vor allem nach den Dokumenten der Reaktion gegen diese Jugendideen, und man fand sie im reichsten Maße. So zahlreiche Belege einer übermütigen Subjektivität sich aber in diesen Schriften in der Tat finden, so ist doch schon die Erwägung der ultraklassizistischen Anfänge und des streng katholischen Ausgangs dieses Schriftstellers geeignet, die Betonung der subjektivistischen Formeln oder Formulierungen aus der Zeit von 1796 bis 1800 zu mäßigen. Denn um bloße Formulierungen handelt es sich in seinen subjektivsten Aussprüchen zum Teil in der Tat; es sind Prägungen, die man nicht immer für bare Münze zu nehmen hat. Man hat den philosophischen Standpunkt Friedrich Schlegels zur Athenäumszeit meist durch seine Theorie der Ironie gekennzeichnet. Sie ist an dieser Stelle einmal darum zu behandeln, weil unter ihrem Titel prinzipielle Einwendungen gegen die Betonung der objektiven Momente seines Denkens nahe liegen; ferner aber, weil jene Theorie in einer bestimmten Hinsicht mit diesen Momenten, weit entfernt, ihnen zu widersprechen, in einem engen Zusammenhang steht.
Zahlreiche Elemente sind in den verschiedenen Auslassungen über die Ironie zu unterscheiden, ja es dürfte zum Teil ganz unmöglich sein, diese verschiedenartigen Elemente in einem Begriff ohne Widersprüche zu vereinigen. Der Ironiebegriff hat eben für Schlegel seine zentrale Bedeutung nicht nur durch seine Beziehung auf bestimmte Sachverhalte in einem theoretischen Sinn, sondern mehr noch als eine lediglich intentionale Einstellung erhalten. Als solche hatte diese Einstellung nicht einen Sachverhalt im Auge, sondern lag als Äußerung einer stets lebendigen Opposition gegen herrschende Ideen und häufig als Maske der Hilflosigkeit ihnen gegenüber in Bereitschaft. Nicht in seiner Bedeutung für die Individualität, wohl aber für das Weltbild Schlegels kann daher der Ironiebegriff leicht überschätzt werden. Die klare Einsicht in diesen Begriff wird endlich dadurch erschwert, daß auch da, wo er unstreitig auf gewisse Sachverhalte anspielt, unter den mannigfachen Beziehungen, die er eingeht, es nicht immer leicht ist, die im einzelnen Fall gemeinten, und sehr schwer, die allgemein maßgebenden festzustellen. Soweit diese Sachverhalte nicht die Kunst, sondern Erkenntnistheorie und Ethik betreffen, müssen sie hier unberücksichtigt bleiben.
Für die Kunsttheorie hat der Ironiebegriff eine doppelte Bedeutung, in deren einer er in der Tat Ausdruck eines reinen Subjektivismus ist. Allein in dieser ist er bisher in der Literatur über die Romantik aufgefaßt und eben infolge dieser einseitigen Auffassung als Zeugnis des besagten Subjektivismus durchaus überschätzt worden. Die romantische Poesie anerkennt »als ihr erstes Gesetz …, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide«207, heißt es scheinbar ganz unzweideutig. Allein bei genauer Betrachtung erhebt sich die Frage, ob mit diesem Satz eine positive Aussage über die Rechtssphäre des schaffenden Künstlers oder nur eine überschwengliche Formulierung der Forderung, welche die romantische Poesie an ihren Dichter stellt, gegeben sein soll. In beiden Fällen wird man sich entschließen müssen, interpretierend den Satz sinnvoll und verständlich zu machen. Vom zweiten Fall ausgehend, hätte man zu verstehen, daß der romantische Dichter »durch und durch Poesie«208 sein solle, wie Schlegel es an andrer Stelle als paradoxes Ideal ungläubig aufstellt. Ist der Künstler die Poesie selbst, so duldet allerdings seine Willkür kein Gesetz über sich, weil sie nichts anderes ist als eine dürftige Metapher der Autonomie der Kunst. Der Satz bleibt leer. Im ersten Falle dagegen wird man den Satz als ein Urteil über den Machtbereich des Künstlers begreifen, muß sich aber dann entschließen, unter dem Dichter etwas anderes zu verstehen als ein Wesen, das etwas macht, das es selbst ein Gedicht nennt. Man muß unter dem Dichter den wahren, den urbildlichen Dichter verstehen und hat damit unmittelbar die Willkür als Willkür des wahren Dichters verstanden, die begrenzt ist. Der Autor echter Kunstwerke ist in denjenigen Beziehungen eingeschränkt, in denen das Kunstwerk einer objektiven Gesetzlichkeit der Kunst unterworfen ist; wenn man nicht (wie im andern Fall der Interpretation) den Autor als die bloße Personifikation der Kunst verstehen will, was vielleicht in diesem Falle und jedenfalls an mehreren andern Stellen Schlegels Meinung war. Die objektive Gesetzlichkeit, welcher das Kunstwerk durch die Kunst unterworfen ist, besteht, wie dargelegt worden, in dessen Form. Die Willkür des wahren Dichters hat also ihren Spielraum allein im Stoff, und sie wird, soweit sie bewußt und spielerisch waltet, zur Ironie. Dies ist die subjektivistische Ironie. Ihr Geist ist der des Autors, der sich über die Stofflichkeit des Werkes erhebt, indem er sie mißachtet. Es spielt dabei übrigens bei Schlegel der Gedanke hinein, daß etwa der Stoff selbst in solchem Verfahren »poetisiert«, veredelt werden mag, wenn es auch wohl dazu nach seiner Ansicht noch anderer, positiver Momente, der Ideen der Lebenskunst, bedarf, welche im Stoffe dargestellt werden. Richtig nennt Enders Ironie die Fähigkeit, »sich unmittelbar von dem in der Erfindung Dargestellten zum darstellenden Zentrum zu bewegen und von da das erstere zu betrachten«,209 ohne jedoch zu berücksichtigen, daß dieses Verhalten allein dem Stoffe gegenüber nach der romantischen Anschauung stattfinden kann.
Dennoch gibt es, wie ein Blick auf die poetische Produktion der