Machiavelli empfiehlt in Der Fürst, gegen die Schicksalsgöttin Fortuna, da sie eine Frau sei, am besten gewaltsam vorzugehen. Diese misogyne Forderung übertrug Cellini auf der Medaille durch eine brutale Darstellung. Und er nahm Machiavellis Diktum durchaus wörtlich, wenn sich ihm das Schicksal in Form eines Widersachers entgegensetzte. Dann nämlich stach er zu.
Gewalt war für Cellini ein natürliches Ventil, ein Ausweis von Autonomie, aber auch ein Vergnügen. Er war sadistisch veranlagt. Seine Rachsucht setzt er einmal mit der Liebesleidenschaft gleich (mia innamorata): Die Schilderung der Beziehung zu seiner Geliebten Caterina, die er, wenn sie ihn betrog, schlug, bevor er mit ihr schlief, trägt ebenfalls sadistische Züge, auch wenn es sich vielleicht nur um eine literarische Sexualfantasie handelt. Ein Blick auf Cellinis bildkünstlerisches Werk scheint seine Lust an der Gewalt zu bestätigen. Die Beine der Medusa unter dem bronzenen Perseus sind verdreht und eingeknickt. Das linke Bein ist zur rechten Seite verrenkt. Bevor Perseus Medusa köpfte, malträtierte er ihren Körper mit äußerster Brutalität. Freilich haben die verkrümmten Beine der Medusa auch eine geometrische Ordnungsfunktion in der Gesamtstatue inne. Sie umgrenzen die Sockelplatte und die Standfläche des Perseus.40 In den Erzählungen der Sage aber, etwa bei Ovid, findet sich zu einer derartigen Brutalität keinerlei Hinweis, im Gegenteil, Perseus enthauptete Medusa im Schlaf.
Die Zeitgenossen nahmen Cellinis Gewalttätigkeit differenziert wahr. Bandinelli nannte Cellini „grausam“, Vasari hingegen terribilissimo, was nicht in der Bedeutung des heutigen italienisch „äußerst schrecklich, furchtbar“ oder „entsetzlich“ meint, sondern im positiven Sinn „gewaltig“ und „furchterregend“. Terribiltà, jene ästhetische und moralische Eigenschaft, mit der Vasari gemeinhin die Werke Michelangelos kennzeichnete, kann die Wirkung eines künstlerischen Werks, die Persönlichkeit des Künstlers oder auch eine Einheit von Künstler und Kunstwerk charakterisieren.41 Vasari sah Letzteres in Cellini verkörpert.
Cellini führte ein rastloses und unstetes Leben unter dem Vorzeichen des nur sich selbst verantwortlichen Genies. Seinen Charakter kennzeichneten Narzissmus,42 eine kaum vorhandene Frustrationstoleranz, Maßlosigkeit in künstlerischem Ehrgeiz und Stolz sowie Rachsucht bis zur völligen Erniedrigung oder gar Vernichtung des Gegners. Mit Genugtuung berichtet Cellini, wie er einem Wirt auf der Rückreise von Venedig alle vier Betten zerschnitt und einen Schaden von über 50 Scudi hinterließ, nur weil dieser, in herrischem Ton, für die Übernachtung vorab bezahlt werden wollte. Dazu gesellten sich weitere Charakterschwächen wie Jähzorn, Neid auf Kollegen, übersteigertes Ehrgefühl, mangelnde Empathie und hochfahrendes, cholerisches Verhalten. Der Mangel an Impulskontrolle führte zu emotionalen Überreaktionen, die nicht selten in Gewaltanwendung mündeten.
Cellinis Unfähigkeit, auf die Gefühle anderer einzugehen, wird in seiner Vita auch auf stilistischer Ebene ersichtlich: Alle, Päpste, Könige, Herzöge oder Diener, teilen Cellinis Stil. So gut wie nie trägt er individuellen Ausdrucksweisen Rechnung. Umso erstaunlicher ist es, wie Cellini bei seinen emotionalen Schwankungen und aggressiven Impulsen Skulpturen schaffen konnte, die sich durch Ausgeglichenheit, Anmut und innere Ruhe auszeichnen. Man denke nur an seine Büste des Bindo Altoviti oder die Götterfiguren der Saliera.
Cellini hatte das Geltungsbedürfnis des Aufsteigers. Trotz seines zur Schau gestellten Stolzes und seines parvenühaften Verhaltens litt er unter Minderwertigkeitskomplexen. Fast zwanghaft suchte er den Wettbewerb. Häufige Erkrankungen deuten darauf hin, dass in den Tiefen manches Unerledigte schwelte. Cellini hatte die unbegrenzte Fähigkeit, sich selbst etwas vorzumachen. Wunschvorstellungen nahm er gerne schon als Wirklichkeit. Seine mangelnde Bildung kompensierte er durch Selbstironie, und Angriffe auf seine Ehre konnten für den Beleidiger tödlich enden.
Cellini nannte die Dinge beim Namen und konnte mit Worten verletzen, was ihm zahlreiche Auseinandersetzungen eintrug. Bandinellis Marmorgruppe Herkules mit Cacus, die noch heute auf der Piazza della Signoria steht, hatte er mit einem in sich zusammengefallenen Sack Melonen verglichen. Einige jedoch schätzten seine Offenheit. Der Satiriker Antonfrancesco Grazzini schrieb nach Cellinis Tod ein Gedicht, in dem er sich Cellini zurückwünschte, denn Cellini nehme kein Blatt vor den Mund: „Über schlecht gemachte Sachen sprach er schlecht“.43 Dieser oft brüskierenden Freimütigkeit im Alltagsgespräch stand sein selbst geschaffener Mythos als moralisch integre Persönlichkeit gegenüber. Sie tritt besonders im Fall Guasconti zutage. Cellinis Schilderung der Vorgänge in seiner Vita erinnert an Szenen aus Ariosts Versepos Der rasende Roland: Der sympathische Wüterich – Cellini – sorgt in der Behausung Guascontis für Gerechtigkeit, indem er dem Bösewicht Guasconti, der ihn zuerst angreift, mit seinen Waffen einen gehörigen Schrecken einjagt. Doch letztlich verletzt Cellini durch Gottes Fügung niemanden. Das anschließende „schreckliche“ Urteil der Otto sei vollkommen ungerecht. So zumindest will es Cellini seinem Leser glauben machen. Die Prozessakten vermitteln ein anderes Bild. Rechtlich betrachtet hatte sich Cellini schwerer Vergehen schuldig gemacht. Nach dem ersten Urteil gegen ihn, das ihm 12 Scheffel Mehl abverlangte, hatten sich beide Parteien zur Friedfertigkeit verpflichtet. Cellini brach den Friedensschluss durch seinen Angriff; er hatte sich einer bewaffneten Aggression mit schwerer Körperverletzung in zwei Fällen schuldig gemacht, und er beging seine Tat in der Werkstatt Guascontis, die über die Handwerksstatuten als ein besonders schützenswerter Ort betrachtet wurde. Dass er ein Mehrfachtäter war und bereits dreimal von den Otto verurteilt worden war, dürfte zur Schwere der Strafe beigetragen haben. Cellini aber, der nur in eingeschränktem Maß zu Selbstkritik fähig war, etwa wenn er sich als „Choleriker“ bezeichnet, sprach sich von Schuld frei. Er machte den Zwang der Gestirne und damit die Astrologie für seine Gewalttätigkeit verantwortlich.
Sofort wurde der flüchtige Cellini auf die Liste der banditi gesetzt, jener Schwerverbrecher, denen alle bürgerlichen Rechte entzogen wurden und die jedermann töten durfte, sollten sie sich der Hinrichtung entziehen. Wie viele andere banditi suchte auch Cellini Zuflucht in einer Kirche, und zwar im Kloster Santa Maria Novella, wo er auf Nachsicht und Unterstützung hoffen durfte. Mit der Hilfe eines Dominikanerpaters floh er schließlich mit einer Mönchskutte verkleidet über Siena nach Rom. Erst viele Jahre später kehrte er in seine Heimatstadt zurück, nachdem am 20. Februar 1529 der bando gegen ihn aufgehoben worden war. Sein Vater hatte in seinem Namen mit den Guasconti Frieden geschlossen und diese Verständigung durch ein offizielles Dokument besiegelt.44 Glücksgöttin Fortuna allerdings, so oft von Cellini für sein Unglück verantwortlich gemacht, meinte es nun einmal gut mit ihm. Noch auf der Flucht nach Rom erreichte ihn die Nachricht, dass der Förderer seines Vaters, Kardinal Giulio de’ Medici, zum Papst gewählt worden war. Nun begann auch dieser glücklichen Fügung wegen eine Zeit der künstlerischen Ernte. Das Pontifikat des Florentiners Clemens VII. wurde für Cellini nicht nur gewinnbringend – es bedeutete seinen Durchbruch als Goldschmied.
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