Uwe Neumahr

Die exzentrische Lebensgeschichte des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini


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Paris unter einem Dach lebte. Wie Guido Guidi in seinem Traktat Chirurgia schreibt, arbeitete Cellini aktiv mit Chirurgen zusammen, etwa mit Giacomo Rastelli, dem Arzt von Papst Clemens VII., für den Cellini chirurgische Instrumente fertigte.27 Neuplatonische Gedanken, die die Präsenz des Göttlichen in den irdischen Elementen betonen, kommen in Cellinis Schriften als Vulgata der Thesen Marsilio Ficinos vor. In Cellinis Lebensbeschreibung finden sich zudem alchemistische Anklänge.28 Als Dichter war er kreativ, indem er neue Worte erfand, etwa das Verb ducare,29 zudem entwickelte er eigene Erzählstrategien. Dass Cellini so bunt und lebendig zu erzählen wusste, ist auch auf die vielen direkten Reden zurückzuführen, die er in seine Lebensbeschreibung einfügte. In keinem zeitgenössischen Lebensbericht kommen sie so häufig vor wie in Cellinis Vita.30 Weil er unter anderem einen kurzen Essay über die führenden Praktiker und Theoretiker der Architektur schrieb und sich sogar mit der Pädagogik des Zeichnens befasste, nannten ihn einige Forscher einen uomo universale, was zweifellos übertrieben ist.

      Cellini hatte keinen universellen Bildungsanspruch. Systematisches Denken oder gar Theoretisieren waren ihm fremd. Er empfand auch keine Leidenschaft für die Empirie wie Leonardo da Vinci. Seine Äußerungen im Rangstreit der Künste deuten darauf hin, dass er eher spontan argumentierte. Seine Aussagen sind manchmal widersprüchlich. So schreibt er in einem Brief an Benedetto Varchi, ein Werk der Bildhauerei müsse acht Ansichten haben, während er in seiner Abhandlung anlässlich Michelangelos Totenfeier behauptet, ein solches Werk solle über „hundert Ansichten oder mehr“ verfügen. In seinem Traktat über die Zeichenkunst reduziert Cellini die Ansichten schließlich wieder auf „vierzig oder mehr“. Cellini pflegte jedoch mit vorgeschobenem Understatement seine Rolle als intellektueller Außenseiter und suchte nach Bestätigung, etwa wenn er von seinem „beschränkten Geist“ (basso ingegno) oder seiner „Wald- und Wiesenphilosophie“ (boschereccia filosofia) spricht. Der beständige Verweis auf seinen Durchschnittsintellekt, insbesondere in seinen Gedichten zum Rangstreit der Künste, war natürlich auch ein schlauer Kunstgriff. Er gewährte Cellini in der Auseinandersetzung mit humanistisch gebildeten Gegnern Narrenfreiheit. Indem sich Cellini als ungebildet bezeichnete, hatte er die Freiheit zu sagen was er wollte. Bezeichnend für sein wechselhaftes Temperament ist aber auch, dass er sich mitunter ganz anders gab. In seiner Lebensbeschreibung stilisiert er sich immer wieder als gelehrter Künstler, der – welch Triumph für den Emporkömmling aus der Florentiner Mittelschicht – sogar den französischen König belehrt, indem er ihm die allegorischen Bedeutungen seiner Figuren erklärt.

      Wanderjahre

      Wie neuere Archivfunde beweisen, muss sich Cellinis erster Zusammenstoß mit der Justiz, der im Handlungsgeschehen der Lebensbeschreibung auf 1516 datiert, drei Jahre später ereignet haben. Cellini begann seine Vita im Alter von achtundfünfzig Jahren zu diktieren. Ob die chronologischen Ungenauigkeiten, die vor allem in den Kapiteln über seine Jugend enthalten sind, dem schlechten Erinnerungsvermögen eines älteren Mannes geschuldet sind, oder ob sich Cellini bei der Schilderung seiner Taten bewusst verjüngte, vermag niemand zu sagen. Seiner Erzählung folgend wurde sein Alltag zwischen Werkstatt und Notenblatt durch einen Zwischenfall jäh unterbrochen. Cecchino, Cellinis jüngerer Bruder, war eines Sonntags in einen Straßenkampf außerhalb der Porta San Gallo verwickelt worden. Er eilte zu Hilfe, stellte sich dem Kampf, und nur das beherzte Eingreifen einiger Soldaten verhinderte Schlimmeres, nachdem Cecchino bereits verwundet worden war. Die Otto di Guardia e Balìa, der Magistrat der florentinischen Staatspolizei, der für die innere Sicherheit verantwortlich war, ließ die Gegner der Cellini-Brüder auf Jahre verbannen. Doch auch die beiden Cellini mussten Florenz für sechs Monate verlassen. Sie begaben sich nach Siena. Benvenuto machte aus der Not eine Tugend und nutzte den Ortswechsel, um sich bei dem Goldschmied Francesco Castoro weiterzubilden, den er bereits von einem früheren Aufenthalt kannte.

      So ehrenwert und mutig die Hilfestellung für einen Sechzehnjährigen gewesen wäre – Cellini war bei seinem Einschreiten und seiner späteren Verurteilung durch die Otto di Guardia e Balìa bereits achtzehn Jahre alt. Das Urteil gegen ihn samt einer Geldstrafe erging am 13. Januar 1519.31

      Der Vater im heimischen Florenz setzte alle Hebel in Bewegung, um die Verbannung aufzuheben. Giovanni Cellini intervenierte bei Kardinal Giulio de’ Medici, der seine Zustimmung zur Rückkehr erteilte. Ob Benvenuto über seine Rückkehr erfreut war, ist allerdings fraglich, denn sein Vater schickte ihn unter freundlicher Zuhilfenahme des Kardinals gleich nach Bologna, wo er zu seinem Leidwesen Musikunterricht bei Ercole del Piffero nehmen musste. In Bologna fand er jedoch rasch eine Möglichkeit, sich anderweitig künstlerisch fortzubilden. Er ging bei dem Buchmaler Scipione Cavaletti in die Lehre, für den er Aufträge ausführte. Widerstand dem Vater gegenüber zeigte aber auch Cecchino. Dazu bestimmt, Jurist zu werden, verließ er die Lateinschule, um sich als Soldat den „Schwarzen Banden“ des Condottiere Giovanni delle Bande Nere anzuschließen, einer berüchtigten Söldnertruppe. Sechs Monate später befand sich Benvenuto wieder in Florenz, wo er seine Familie mit dem in Bologna verdienten Geld unterstützte. Ein Streit mit seinem Bruder Cecchino, der ihm teure Kleidung entwendet hatte, ließ Cellini abermals die Flucht ergreifen. Er begab sich in Richtung Rom, schlug aber die falsche Route ein und landete in Lucca, von wo aus er gleich nach Pisa weiterzog. In der Arnostadt schloss er sich dem renommierten Goldschmied Ulivieri di Filippo della Chiostra an, der gerade Arbeiten im Pisaner Dom ausführte. Ein Jahr lang blieb Cellini in Pisa, und es war während dieses Aufenthalts, als er begann, sich für römische und griechische Kunstwerke zu interessieren. Stundenlang zog er durch die Stadt, insbesondere über den Campo Santo, und studierte kostbare Monumente der Antike. Der flehentlichen Bitte des Vaters gehorchend kehrte Cellini nach Florenz zurück und fuhr fort, die verhasste Schalmei zu spielen, handelte aber den Kompromiss aus, auch weiterhin der Tätigkeit des Goldschmieds nachgehen zu dürfen.

      Es war in jener Zeit, als der ruhelos umherziehende Bildhauer Pietro Torrigiano in Florenz auftauchte, auf der Suche nach Gehilfen. In Cellini fand er zunächst einen Interessenten. Doch Torrigianos Verhalten dem großen Michelangelo gegenüber – Torrigiano war es, der dem jungen Genie mit einem Fausthieb die Nase zertrümmert hatte – empörte Cellini nach dessen Aussage so sehr, dass er Torrigianos Angebot, mit ihm nach London zu gehen, ablehnte. Nach dieser Episode, so macht Cellini seine Leser glauben, interessierte er sich vermehrt für den Stil Michelangelos, an dessen Kartons er sich weiterbildete. Er freundete sich mit Francesco Lippi an, dem Sohn des Malers Filippino Lippi, mit dem er viel Zeit verbrachte. Filippinos Zeichnungen von römischen Altertümern inspirierten Cellini für seine eigene Arbeit und nährten in ihm den Wunsch, die Zeugnisse der klassischen Kunst mit eigenen Augen zu sehen. Wieder kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Vater über seine berufliche Zukunft. Kurzerhand schnürte Cellini die Stiefel und begab sich gemeinsam mit seinem Freund, dem Holzschnitzer Giambattista Tasso, auf den Weg über Siena nach Rom. Während Tasso die Ewige Stadt aber bald wieder verließ, verbrachte Cellini dort zwei Jahre und setzte seine Lehrlingswanderschaft fort.

      Es kam nicht von ungefähr, dass sich Cellini vom zeitgenössischen Rom angezogen fühlte. Während des Pontifikats Leos X. wiederholte sich, was achtzig Jahre vorher unter der Führung seines Urgroßvaters in Florenz begonnen wurde. Gelehrte und Künstler strömten herbei, um die Gunst des kunstfreudigen Medici-Papstes und seiner Gefolgsleute zu gewinnen. Leo X. plante große Werke, die von Raffael und anderen Künstlern ausgeführt werden sollten, und machte es sich zur Aufgabe, Wissen und Kunst auf vielfältige Weise zu fördern. Von dieser Aufbruchsstimmung, den Auftragsmöglichkeiten und der Dichte an hochqualifizierten Kunsthandwerkern wollte auch Cellini profitieren. Paolo Arsago und Giovanni de Georgis da Firenzuola lauten die Namen der Goldschmiede, die ihm halfen, sich in den verschiedenen Verfahren der Metallbearbeitung zu perfektionieren. Cellini, der es kaum länger als ein paar Monate bei einem Meister aushielt, unterließ es dabei nie, einen Teil seines Verdiensts der Familie in Florenz zu schicken. Zurück in der Heimatstadt arbeitete Cellini für Francesco Salimbene und setzte seine Studien fort, auch des Nachts, wie er betont, weil er tagsüber kostbare Zeit mit dem Blasen vergeuden musste. Kaum hatte er sich wieder eingelebt, als er bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung am 13. November 1523 Gherardo Guasconti mit Stichen an den Armen und in der Lendengegend verwundete. Guasconti entstammte einer einflussreichen Goldschmiedefamilie, mit der Cellini beruflich