hatte. Er ist ein Beispiel für autonomes Künstlertum, das aus dem subalternen Kunsthandwerk hervorging.
Cellini muss ein attraktiver Mann gewesen sein. Einen Bischof lässt er über sich sagen, er habe eine gute Symmetrie des Körpers und der Physiognomie. Das einzig authentische Porträt scheint dieses Eigenlob zu bestätigen. Auf Vasaris Deckengemälde im Palazzo Vecchio sieht man Cellini, bereits sechzigjährig, mit hoher Stirn, wohlgeformter Nase, gleichmäßigen Gesichtszügen und grauem Vollbart.
Er zeugte zahlreiche Kinder, hatte aber auch eine erotische Disposition für junge Männer. Im Gegensatz zu anderen Künstlern der italienischen Renaissance, die ebenfalls unter dem Verdacht der Homosexualität standen, war Cellini einer der wenigen, der seine Homophilie vor Gericht zugeben musste. Dafür wurde er schwer bestraft. Weil er auch mit künstlerischen Mitteln für die Enttabuisierung der Homosexualität eintrat, wurde er zu einer Ikone der Homosexuellenbewegung des 20. Jahrhunderts.
Cellinis Leben bot Anlass zu konträren Deutungen. Oscar Wilde, der selbst wegen Homosexualität eingekerkert wurde, nannte ihn bei aller Bewunderung den „Erzschurken der Renaissance“.3 Für den englischen Literaturkritiker John Addington Symonds war Cellini ein Symbol der Lasterhaftigkeit. Seine Begierden seien „animalisch, zügellos und fast brutal“ gewesen.4 Friedrich Nietzsche hingegen, der Verächter aller christlichen Moral, sah in Cellini „die harmonische Ganzheit und den vielstimmigen Zusammenhalt in einer Natur“ verkörpert. Nach Nietzsche lebte Cellini seinen natürlichen Instinkten gemäß – jenseits von Gut und Böse.5 Goethe wiederum, für den Cellini zur Projektionsfläche seiner Sturm-und-Drang-Sehnsüchte im Weimarer Alltag wurde, sah in Cellini einen „Repräsentanten sämtlicher Menschheit“. Er deute das an, was „in jeden menschlichen Busen eingeschrieben“ sei.6 Held, Antiheld oder Künstlerverbrecher, so wird Cellini auch in Romanen, Filmen und Opernlibretti dargestellt.7 In Hector Berlioz romantischer Oper Benvenuto Cellini ist Cellini ein verkannter Künstler, der sich und sein Werk absolut setzt und am Ende alles gewinnt. In Kurt Weills Operette The Firebrand of Florence ist er der zweifelhafte Held einer derben Sexklamotte. Es ist schwierig, aus Cellinis literarischer Selbststilisierung und dem Firnis der Projektionen die historische Persönlichkeit herauszuarbeiten. Cellini hinterließ der Nachwelt eine Maske, hinter der er sich verbarg. Er widersprach sich häufig, war ein Mensch voller Obsessionen und Gegensätzlichkeiten. Gläubig, vertraute er gleichzeitig der Astrologie, und doch war seine Triebfeder die schöpferische Tat. Psychoanalytiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterstellten ihm Paranoia und Paraphrenie, eine leichte Form der Schizophrenie.8 Sie zogen bei ihren Untersuchungen jedoch primär Cellinis Lebensbericht zu Rate, in dem Cellini seinen eigenen Mythos schafft und das Erlebte (um-)deutet. Auch bergen solch starre Auslegungen die Gefahr, dass Cellinis literarischem Hauptwerk ein falscher Akzent verliehen wird. Die Aufgabe des Biografen kann nun nicht nur darin bestehen, den Firnis abzutragen und vorzuführen, wie sehr Cellini die Fakten verzerrt. Vielmehr sollte er versuchen, die Modelle, denen Cellini folgte, zu identifizieren und zu analysieren, welche Funktion sie erfüllten, was sie leisteten, und schließlich, im Fall von Cellinis literarischen Texten, den Spannungen nachzuspüren, die zwischen dem Niedergeschriebenen und verfügbaren literarischen Formen bestanden.
Das vorliegende Buch, eine Einführung in Leben und Werk, ist die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers. Dargestellt wird Cellinis Schaffen im Kontext seiner Zeit. Die Lebensbeschreibung ist auch ein Versuch, die innere Entwicklung Cellinis nachzuzeichnen, wie sie sich aus Briefen, Einträgen in seinen ökonomischen Tagebüchern und Dokumenten rekonstruieren lässt. Besonders akzentuiert wird Cellinis Rolle im „Feld der Kunst“ wie im „Feld der Macht“ (Pierre Bourdieu). Denn eines musste Cellini, der unter Machthabern erheblich zu leiden hatte, schmerzhaft erfahren: Große Fürsten können es „übel vermerken, wenn einer ihrer Diener […] die Wahrheit über ihr Benehmen äußert“.9
Florenz. Zwischen Schalmei und Werkbank (1500–1523)
Florenz um 1500
Es waren unruhige Zeiten, als Benvenuto Cellini am 3. November 1500 in Florenz geboren wurde. Vierzig Jahre lang hatte das durch den Frieden von Lodi bewährte Gleichgewicht zwischen den Großmächten Rom, Neapel, Mailand, Venedig und Florenz Bestand gehabt und eine Einmischung ausländischer Mächte in italienische Angelegenheiten verhindert. Diese Balance wurde 1494 zerstört, als der französische König Karl VIII. in Italien einfiel, um Erbansprüche auf Neapel geltend zu machen. Der Monarch hatte mit seiner Invasion die Florentiner vom Joch der Medici befreit. Doch hatte der Eroberungszug auch die Unabhängigkeit der Stadt Pisa zur Folge, die lange unter der Herrschaft von Florenz gestanden hatte. Militärische Kampagnen, etwa im Juli 1499, um Pisa zurückzuerobern, scheiterten. Als die Florentiner ihren Befehlshaber, den Condottiere Paolo Vitelli, verhafteten und wegen Erfolglosigkeit und vermeintlichen Verrats hinrichten ließen, machten sie sich dessen Bruder Vitellozzo zum unversöhnlichen Feind. Vitellozzo Vitelli machte fortan gemeinsame Sache mit den Feinden der Republik: Piero de’ Medici, dem vertriebenen Oberhaupt der Familie Medici, den Nachbarrepubliken und Cesare Borgia, der während seiner Eroberungszüge in der Romagna auch ein Auge auf die Arnometropole geworfen hatte. Niccolò Machiavelli, damals Sekretär beim Rat der Zehn, wo er für Florentiner Außen- und Verteidigungspolitik zuständig war, musste auf Gesandtschaftsreisen sein ganzes diplomatisches Geschick aufwenden, um im Auftrag seiner Dienstherren Bündnisse zu schmieden oder die Neutralität der Republik zu wahren – oft in großer Verzweiflung über die Mut- und Orientierungslosigkeit der Stadtväter.
Lucantonio degli Uberti, Stadtansicht von Florenz, sog. Kettenplan, um 1470, Holzschnitt, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Im Inneren war Florenz durch das vierjährige Interregnum des Bußpredigers Girolamo Savonarola zerstritten wie selten zuvor. Nachdem die Medici 1494 vertrieben worden waren, hatte der Dominikaner Savonarola einen theokratischen Staat in Florenz errichtet und Christus zum König ausgerufen. Nach der Herrschaft der Medici sollte in den politischen Gremien nun auch das Gemeinwesen breiter repräsentiert werden. Um der Vision einer befriedeten und solidarischen Kommune gerecht zu werden, beschränkte man die Macht der alten Oligarchenfamilien. Dies kam einer politischen Revolution gleich und sorgte für sozialen Sprengstoff. Savonarola schuf nach dem Vorbild Venedigs den Großen Rat, der mehr als dreitausendsechshundert Mitglieder umfasste und über die wichtigsten Angelegenheiten der Verwaltung entschied. Oberstes Ziel des Dominikaners aber war eine moralische Erneuerung. In apokalyptischen Predigten geißelte er die menschliche Verderbtheit, die kirchliche Korruption, intellektuelle Überheblichkeit und fleischliche Begierde. Eine Sittenpolizei wurde eigens mit der Kontrolle der Florentiner betraut. Bald war der kulturelle Glanz der Stadt in Angst und Bespitzelung erstickt. Am letzten Karnevalstag des Jahres 1497 kam es zu einem beeindruckenden Autodafé. Ein Scheiterhaufen wurde auf der Piazza della Signoria errichtet, auf dem unter Beteiligung der Bevölkerung weltliche Eitelkeiten zum Opfer gebracht wurden. Zuunterst lagen Würfel, Spiegel, falsche Bärte, Perücken, Spielkarten, Schmuck und Parfümflaschen. Darüber befanden sich Bücher nichtchristlichen Inhalts, unter anderem das Epos Morgante von Luigi Pulci, in dem der Autor mit seinem berühmten Credo in blasphemischer Ironie das Glaubensbekenntnis parodiert, neben Zeichnungen, Büsten und Porträts berühmter Florentiner Schönheiten. Die Maler Fra Bartolommeo und Lorenzo di Credi, treue Anhänger Savonarolas, sollen ihre Bilder eigenhändig den Flammen übergeben haben. Viele Florentiner befanden sich in einem religiösen Trancezustand.
In Rom allerdings erwuchs Savonarola in Papst Alexander VI. ein übermächtiger Gegner. Der spanische Papst war verärgert, dass Savonarola ihn in Predigten attackierte und so schwerwiegender Dinge wie der Simonie und Ketzerei beschuldigte. Noch mehr erzürnte ihn aber, dass Savonarola den französischen König Karl VIII. unterstützte. Alexander VI. leistete der von Venedig geführten Liga gegen Frankreich Beistand, die den Expansionsgelüsten des französischen Königs Einhalt gebieten wollte. Unter Androhung eines Interdikts forderte der Papst im Frühjahr 1498 Savonarola gefangen zu nehmen und exkommunizierte ihn. Savonarolas Schicksal nahm seinen Lauf, als turnusgemäß eine neue Stadtregierung die Arbeit aufnahm, in der seine Feinde in