Klaus Willmann

Todesmarsch durch Russland


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eingezogen und das frische Grün bildete einen eigenartig anmutenden Kontrast zur höher gelegenen, in der Sonne weiß glitzernden Schneeregion. Erwartungsvoll stieg ich vom Tal aus dem Schnee entgegen. Sobald die Schneedecke dick genug war, schnallte ich meine Skier mit den Fellen an und stieg auf einer schon vorhandenen Aufstiegsspur mühsam Schritt für Schritt bergan. Es mag manchem unverständlich erscheinen, aber mir machte das zwar anstrengende, aber fast lautlose Ansteigen auf dem glitzernden Schnee unter strahlend blauem Himmel Spaß. Dabei genoss ich den mit jedem gewonnenen Höhenmeter besser werdenden Fernblick in die umliegende Gipfelregion. Weil ich mir damals die komplette Abfahrt von der Alpspitze noch nicht zutrauen konnte, machte ich an der »Schulter« halt. Hier löste ich die mit einigen Lederbändern festgeschnallten Schneefelle unter den Gleitflächen der »Brettln« (Klebefelle gab es damals noch nicht), legte meine Skier als Sitzbank in den Schnee und verzehrte die im Rucksack heraufgetragene Brotzeit. Genussvoll aß ich einige mit Kunsthonig bestrichene Brote, als sich ein junger Mann mit seiner Freundin zu mir gesellte. Die beiden waren mir gefolgt, wollten ebenfalls nicht weiter aufsteigen und begannen sich mit dem in den Bergen üblichen Du wie selbstverständlich mit mir zu unterhalten. Jeder von uns war von der Schönheit unserer Umgebung zutiefst beeindruckt, fast andächtig berührt. Im Jahr 1940 gab es noch keinen lärmenden Skizirkus, wie man ihn heute in vielen Bergregionen findet, und wir waren hier oben an diesem Tag allein.

      Wir wären gern noch länger hier unter der wärmenden Sonne sitzen geblieben, doch die Abfahrt lockte. Der Schnee im Bernadeintal war pulvrig, wurde nach dem Hochalmsattel etwas schwerer und kurz vor dem Kreuzeck zwang mich plötzlich beginnender nasser, klumpiger Schnee dazu, die Textilbremse zu ziehen. Kopfabwärts lag ich prustend im Schnee und lachte mit den anderen über mein Missgeschick, während ich mich wieder mühsam auf meine Brettln stellte.

      »Im Pulverschnee kann jeder Anfänger fahren«, rief Konrad von seinem etwas tiefer gelegenen Standplatz zu mir herauf. »Das wird dir sicher noch öfter passieren!«

      »Macht doch nichts! Ist ja trotzdem schön! Auf geht’s! Fahren wir weiter! Auch wenn’s jetzt schwerer geworden ist.«

      Weiter unten trugen wir unsere Skier wieder geschultert vorbei an einigen mit blühenden Krokussen übersäten Wiesen ins Tal. Kurz bevor wir die Danielstraße erreichten, stellte ich fest:

      »Wenn ich jodeln könnte, dann würde ich jetzt einen Freudenjodler hinausposaunen! Diesen Tag und meine erste Skitour werde ich nie vergessen.«

      Konrads Freundin Claudia entgegnete schmunzelnd: »Ja da schau her. Das Jodeln möchte unser Nordgermane auch noch lernen? Lothar, mach nur so weiter. Dann wirst du tatsächlich noch ein richtiger Garmischer.«

      Obwohl ich an diesem Abend müde war, zog es mich wieder einmal zum Tanz. Ich hatte meiner einige Jahre jüngeren Freundin Kathi versprochen, mit ihr in den Gasthof Ettaler Mandl zu gehen. Obwohl ich als Wanderbursche im Loisachtal angekommen war, fühlte ich, dass ich hier Wurzeln zu schlagen begann, dass das Loisachtal meine Heimat wurde.

      Doch dann geschah das Unvermeidliche, lange Erwartete. Am Dienstag nach meiner ersten Skitour brachte der Postbote meine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst. Am 15. Mai 1940 musste ich mich im RAD-Lager Hochbrück bei Schleißheim vor den Toren Münchens einfinden. Wir wollten an diesem Tag eigentlich in der Kaserne in Mittenwald einen größeren Auftrag beginnen, den mein Meister an Land gezogen hatte, und so musste ich dem Chef die bevorstehende Veränderung schonend beibringen.

      Der reagierte aufgebracht, fast etwas ungehalten: »Lothar! So kann das doch nicht weitergehen. Sobald sich bei mir ein junger Mann eingearbeitet hat, holen sie ihn auch schon gleich wieder weg. Diese Arbeit in der Kaserne ist doch auch kriegswichtig. Mit meinen Altgesellen kann ich das bald nicht mehr schaffen! In meinem Betrieb kannst du doch mehr für unser Volk leisten. Der RAD und der Barras können noch einige Zeit auf dich verzichten! Einen so fleißigen Arbeiter, wie du es bist, kann ich sicher uk (unabkömmlich) stellen lassen! Ich habe einflussreiche Bekannte, die meinen Antrag ganz sicher unterstützen werden! Das ist durchaus machbar!«

      Doch ich war jung und abenteuerlustig, und so lehnte ich sein Angebot ab. Außerdem fühlte ich mich dazu verpflichtet, dem Ruf des Vaterlandes zu folgen. Ich wollte alles sein, nur kein Drückeberger. Wir siegten doch ununterbrochen. Eine Erfolgsmeldung reihte sich an die andere, und ich wollte teilhaben am Ruhm unserer Wehrmacht. Wie schnell dieser vergehen und was an Grauen auf mich zukommen würde, konnte ich damals nicht einmal ahnen.

      Am 15. Mai 1940 fuhr ich mit dem Zug zusammen mit Anton Sieß und Ernst Wölpl von Garmisch nach München. Beide kannte ich bisher nur vom Sehen, aber schon nach kurzer Unterhaltung wussten wir, dass wir das gleiche Ziel hatten. Beim Umsteigen in den Zug, der uns nach Oberschleißheim bringen sollte, gesellte sich noch ein junger Bursche aus Oberammergau zu uns, und wir unterhielten uns während der kurzen Fahrt nach Oberschleißheim ungeniert laut darüber, was uns in nächster Zeit erwarten könnte. Wir waren angespannt und neugierig, aber alle begeistert von den Siegen, die unsere Wehrmacht bisher errungen hatte.

      »Hat etwa einer von euch an unseren Erfolgen gezweifelt?«, rief Anton Sieß laut.

      »Nein, nein!«, riefen wir fast zugleich, und einer fügte hinzu: »Wir können uns doch von denen nicht alles gefallen lassen! Das bisschen RAD bringen wir schneller hinter uns, als ihr glaubt.«

      »Natürlich«, meinte auch ich, »und dann werden auch wir feldgrau und werden kräftig mitmischen.«

      »Aber wenn die in Frankreich so weitermachen, wird für uns nicht mehr viel übrig bleiben«, meinte Franz Wölpl leise zweifelnd.

      Dies veranlasste Ernst Sieß dazu, sofort zu widersprechen:

      »Franz! Wir sind doch noch nicht in England! Diese harte Nuss müssen wir doch auch noch knacken! Für uns gibt’s noch genug zu tun, wirst’s schon sehen!«

      Am Bahnhof Oberschleißheim wuchs unsere Schar auf 16 Mann an. Wir erkannten uns gegenseitig an den kleinen Koffern, die jeder bei sich trug. Neugierig und mit kaum verborgener innerer Anspannung, gingen wir bis zum RAD-Lager am Ortsrand von Hochbrück, das zuvor noch ein Ausbildungslager der Waffen-SS gewesen war.

      In der Schreibstube, einer Baracke, in der sich auch die Zimmer unserer Offiziere befanden, wurde uns mitgeteilt:

      »Sie sind alle 14 Tage zu spät dran. Sie können froh sein, dass man das nicht Ihnen, sondern einer elenden Schlamperei andernorts anlasten muss. Sie werden heute noch eingekleidet. Die Vormänner Himmelstoß und Roidl werden Ihnen gern dabei behilflich sein, ihren Ausbildungsrückstand nachzuholen. Das hat unser Chef, Herr Oberstfeldmeister Brutscher, angeordnet.«

      Diese Ankündigung bekräftigte der »Schreibstubenhengst« mit hämischem Grinsen.

      Im Lager war es so sauber, dass ich unwillkürlich glaubte, man könne von den Fußböden der Baracken essen. Unsere künftigen Behausungen waren im Viereck angeordnet und umschlossen den Exerzierplatz in ihrer Mitte. Hinter den Freiräumen zwischen den Baracken konnte ich Wiesen und Felder, dazu einige kleine Feldgehölze und allein stehende Bauernhöfe erkennen.

      Innerhalb einer Stunde waren wir alle eingekleidet, wobei die üblichen Sprüche des »Kammerbullen« durch die Baracke schwirrten:

      »Die Jacke Ihrer Uniform ist nicht zu eng, sondern Ihr Bauch zu groß!« – »Tauschen Sie doch Ihre Knobelbecher (Stiefel) mit Ihrem Nachbarn! Dem sind Sie angeblich zu klein.« – »Dieser Drillich scheint wie für Sie geschaffen zu sein. Damit können auch Sie ganz sicher hervorragend arbeiten!«

      Als uns die beiden für uns abgeordneten Hilfsausbilder Himmelstoß und Roidl zu unserer Baracke führten, flüsterte mir Ernst Wölpl ins Ohr:

      »Der Himmelstoß soll ganz in Ordnung sein. Aber Roidl soll sich gern größer machen als er ist.«

      In unserer Bude standen an beiden Längswänden jeweils drei »Doppeldecker«, roh gezimmerte Stockbetten aus Fichtenholz. Matratzen, Bettdecken und Kopfkissen waren mit weißblau gewürfeltem Leinen bezogen, und natürlich war es Roidl, der jetzt lauthals verkündete:

      »Wehe demjenigen, der sein Bett jeden Morgen nicht so