Klaus Willmann

Todesmarsch durch Russland


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Luftwaffe beanspruchen. Machen Sie uns also keine Schande.«

      Vor den beiden angelangt, schlug ich meine Knobelbecher zusammen, stand stramm und grüßte vorschriftsmäßig mit dem ausgestreckten rechten Arm. Oberfeldwebel Heiner jedoch winkte geringschätzig ab und meinte:

      »Kommen Sie schon mit mir, Arbeitsmann Herrmann. In unserem Depot sollen Sie nach den Vorgaben unseres Materialverwalters einiges schön übersichtlich beschriften. Sie sollen auf diesem Gebiet ja ein Genie sein.«

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich auf dem Absatz um und ging mir voran auf ein großes Zelt neben dem Wohngebäude eines vormaligen landwirtschaftlichen Betriebs zu, in dem jetzt die Kommandantur und die Funkstelle untergebracht waren. Ich sah einige von uns oben auf dem Dach herumklettern, die dort nach den Anweisungen eines Unteroffiziers der Luftwaffe damit beschäftigt waren, eine abgeknickte Funkantenne zu erneuern und einige Löcher im Dach zu reparieren. Bei uns waren doch sämtliche Berufszweige vertreten.

      In den folgenden Tagen setzte leichter Regen ein, und deshalb ließ ich mir bei meiner angenehmen Beschäftigung viel Zeit. Ich wurde auch nicht gedrängt, sondern bemalte gemächlich mit großen, kunstvollen Buchstaben Schubladen mit dem mir angegebenen Inhalt. Das waren größtenteils mir unbekannte, kleinere Ersatzteile für Flugzeugmotoren.

      Jeden Abend umringten Kinder mit Milchkannen oder ähnlichen Behältnissen unsere Gulaschkanone, über der Hannes einen kleinen Bretterschuppen errichtet hatte. Am ersten Abend standen Hölzl und ich unter der Tür zum Hofraum und konnten hören, wie Hannes Feldmeister Brutscher erklärte:

      »Wir können doch unsere Reste nicht wegwerfen! Das wäre schade. Diese Kinder haben auch Hunger! Fast alle von ihnen sprechen deutsch.«

      Daraufhin entfernte sich der Feldmeister, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

      Eines Tages brachte ein Kleinlaster des Heeres eine Ladung französischer Karabiner mit dazugehöriger Munition in unser Lager. Diese Gewehre waren den entsprechenden deutschen Waffen ähnlich, nur einige Zentimeter länger. Wir übten damit einige Tage lang bis zum Erbrechen »Griffe klopfen«. Wieder war es Feldmeister Brutscher, dieser altgediente Soldat, der uns stundenlang auf dem ehemaligen Schulhof drillte. Seine etwas heisere, aber kräftige Tenorstimme glaube ich noch heute zu hören:

      »Still gestanden!«, »Die Augen rechts!«, »Volle Deckung!«, »Sprung auf, marsch, marsch!«, »Wollt ihr nicht oder könnt ihr nicht?«, »Ich muss euch wohl die Hammelbeine lang ziehen?«, »Wie lieblos halten Sie denn Ihren Karabiner? Gerade weil die Franzosen ihn uns überlassen haben, müssen Sie mit ihm nach HDV (Heeresdienstvorschrift) umgehen können, bevor Sie auf irgendeinem Kasernenhof der Wehrmacht Ihren Dienst antreten. Ich lasse mir von Ihnen den RAD nicht blamieren! Deshalb dreißig Kniebeugen mit vorgehaltenem Karabiner!«

      Zwei von uns begannen nachts laut zu träumen und wurden ausgelacht:

      »Reicht’s dir am Tag nicht? Musst du nachts immer noch weitermachen?«

      Andere bekamen von der Hitze und dem beständigen Drill Durchfall. Jedenfalls war der »Donnerbalken«, unser Abort am Ende des zweckentfremdeten Schulhofs, mehr frequentiert als bisher. Dieser Donnerbalken bestand aus einem von uns ausgehobenen, sieben bis acht Meter langen Graben, den wir mit einem einfachen, nach vorne offenen Bretterschuppen umgeben hatten und über dem ein Balken als Sitzgelegenheit zum Verrichten der Notdurft angebracht war. Einigen von uns gelang es sogar hin und wieder, dieses Örtchen als »Drückebergerbalken« zu benutzen.

      Nur an den Samstagabenden und sonntags hatten wir Gelegenheit, unsere Wäsche zu waschen, und leerten dabei so manche Flasche Bier. Auch wenn man dabei sehr darauf achten musste, dass die Kragenbinden vollzählig blieben, genossen wir jede freie Minute. An einem dieser Sonntage konnten wir sogar einen Ausflug nach Straßburg unternehmen. Das alles überragende Münster und der Blick von seinem Turm über die Dächer der Stadt war für uns alle mehr als nur eine willkommene Abwechslung.

      Der von uns instand gesetzte Feldflugplatz war schneller als geplant wieder einsatzfähig, aber keiner von uns wusste, welche Einheit unserer Luftwaffe dort stationiert werden würde. Die Herren Offiziere schienen jedenfalls mit unserer Arbeit zufrieden zu sein, denn an einem strahlend-schönen Julimorgen ließ unser Oberstfeldmeister antreten und verkündete uns stolz:

      »Arbeitsmänner! Als Anerkennung für unseren guten Arbeitseinsatz wurde uns erlaubt, zwei Tage lang die Maginotlinie zu besichtigen. Wir marschieren in einer halben Stunde ab und werden kommende Nacht dort unsere Zelte aufbauen.«

      Weil einige von uns wegen dieses angekündigten Gewaltmarsches halblaut zu murren begannen, hob er beschwichtigend seine Hand und rief:

      »Ruhe! Ich kann Ihre Freude gut nachempfinden! Ich denke, dass auch Sie daran interessiert sind, diese Linie kennenlernen zu dürfen, die unser Führer mit seiner genialen Strategie so erfolgreich zu umgehen verstand! Wegtreten!«

      So gern wie an diesem Tag marschierte ich selten, denn diese so berühmte Verteidigungslinie unseres westlichen Nachbarlandes interessierte mich doch brennend. Kaum hatten wir auf einer Wiese neben einer Straße aus je vier Zeltplanen unsere quadratischen Viermannzelte aufgebaut, da kam auch schon der Befehl zum Abmarsch.

      Am Nachmittag bestaunten wir einige unüberwindlich aussehenden Betonbunker, die entlang einer Straße in einen bewaldeten Hang hinein gebaut waren. An ihrer Vorderfront waren Spuren von Granateinschlägen zu erkennen, die offenbar kaum Wirkung gezeigt hatten. Dazu bemerkte Hans Meißner aus Murnau geringschätzig:

      »Das war doch nur ein Scheinangriff von den Unseren. Die Panzer waren doch längst im Hinterland der Franzosen!«

      »Trotzdem!«, entgegnete ihm Heiner Manz. »Strategisch sind diese Dinger auf alle Fälle gut angelegt!«

      »Ach was denn!«, rief eine andere Stimme, »was verstehst denn du schon von Strategie? Du siehst doch, was es den Franzmännern geholfen hat.«

      Am Abend saß unser Trupp sechs vor einem flackernden Lagerfeuer vor unserem Zelt. Wir sangen nicht nur laute Soldaten-, sondern auch einige melodische Heimatlieder. Immer mehr junge Arbeitsmänner versammelten sich um unser Feuer. Auch unser Oberstfeldmeister und der an diesem Abend sehr leutselige Feldmeister Brutscher saßen im Schneidersitz auf dem Boden und sangen mit.

      Anderntags marschierten wir zum getarnt in die Landschaft eingebauten rückwärtigen Eingang der Bunkeranlage auf der anderen Seite des Hügels. Die kurze Führung durch einen Teil der Anlage hinterließ wohl bei jedem von uns unvergessliche Eindrücke. Kurz bevor wir den Befehl zum Abmarsch erhielten, meinte Franz Burg leise:

      »Lothar, der Franzmann muss aber einen Riesenrespekt vor uns gehabt haben.«

      »Das Ergebnis liegt doch klar auf der Hand!«, rief einer hinter uns.

      »Ruhe!«, ertönte es laut, bevor der Befehl erteilt wurde: »Im Gleichschritt Marsch.«

      Wieder auf unserem Schulhof angelangt, teilte der Oberstfeldmeister seiner Mannschaft mit:

      »Männer! Wir sind als Wacheinheit nach Versailles beordert. Morgen fahren wir mit der Bahn ab! Näheres wird Ihnen dort mitgeteilt!«

      Leises Raunen ging durch unsere Reihen.

      »Paris.«

      »Fesche Französinnen.«

      »Von dort können wir vielleicht zum Eiffelturm.«

      »Wenn sie uns Zeit dafür lassen.«

      »Schöner als arbeiten.«

      »Was wollt ihr eigentlich? Unser halbes Jahr ist ohnehin bald vorbei.«

      Und einmal mehr erklang der laute Befehl:

      »Ruhe! Wegtreten!«

      Über dem Schlossgebäude von Versailles wehte die Hakenkreuzfahne. Nicht weit entfernt davon führten drei Treppenaufgänge hinauf zu den Eingangstüren der komfortabelsten Unterkunft, die uns bisher zugewiesen worden war. Unser Koch Hannes betrat schmunzelnd einen komplett eingerichteten Küchenraum im Erdgeschoss neben einem großen Speisesaal. Wir bezogen zu je sechs Mann Räume