Kreis auf. Bei ihnen fühlte ich mich vom ersten Augenblick an wohl. Während wir einen sehr schmackhaften Fleisch-Gemüse-Eintopf verzehrten, erfuhr ich, dass wir zunächst alle lernen mussten, wie wir uns künftig in gerader Haltung zu bewegen hatten. Auch wurde uns beigebracht, dass wir Vorgesetzte mit angewinkelten Armen und an die Schläfen angelegten Händen zu grüßen hatten. Natürlich mussten wir auch den Drill wieder über uns ergehen lassen, der uns schon vom RAD bekannt war.
»Unser Ausbilder, Unteroffizier Koch, ist ein sturer, aber irgendwie gerechter Kerl«, stellte Heiner Munz fest und deutete dabei unauffällig mit seinem Kopf zur Tür. »Er steht gerade dort drüben an der Tür. Du lernst ihn noch früh genug kennen. Erst wenn uns das und anderes in Fleisch und Blut übergegangen ist, bekommen wir in vier Wochen zum ersten Mal Ausgang. Ich glaube aber, dass du das schon gewusst hast.«
Zwei Monate waren für unsere Grundausbildung vorgesehen. In den ersten vier Wochen übten wir bis zum Erbrechen das schon erwähnte aufrechte Gehen, Grüßen, Marschieren, Singen, Griffe klopfen, Robben mit vorgehaltenen Karabinern und natürlich die Pflege all der uns anvertrauten Gegenstände, Gerätschaften und Waffen. Nach etwa vier Wochen hielten uns unsere Herrn Vorgesetzten offensichtlich für vorzeigbar. Zwei Tage vor unserem ersten Ausgang wurden wir vereidigt. Dabei waren auch einige mir unbekannte Zivilisten zugegen.
Wir standen exakt ausgerichtet in Dreierreihen. Selbstverständlich waren unsere genagelten Bergstiefel blank gewienert und mit den darüber gewickelten, kurzen, grauen Gamaschen als Abschluss versehen. Wir waren mit Keilhosen und Mänteln bekleidet, unsere Stahlhelme funkelten im fahlen Licht der Herbstsonne, und nach einem kurzen Trommelwirbel sprachen wir ernst den uns vorgesprochenen Treueschwur nach.
Es klang irgendwie schauerlich über den Kasernenhof, als wir »Auf Führer Adolf Hitler, Volk und Vaterland« vereidigt wurden. Es mag bei manchen meiner Kameraden anders gewesen sein, aber bei mir hinterließ dieser Vorgang keinen tieferen Eindruck.
Beim ersten Ausgang empfand ich die Überprüfung durch den Unteroffizier am Kasernentor fast erniedrigend. »Fingernägel vorzeigen! Das nennen Sie eine saubere Unterhose? Zurück in Ihre Bude! Kommen Sie nachher noch einmal! Zeigen Sie mir Ihren Taschenkamm!«
Als wir diese Prozedur hinter uns hatten und das Gelände der Kaserne verlassen durften, schimpfte einer auf der Straße ergrimmt:
»Die Kerle dort hinter uns haben uns gefilzt und behandelt wie den letzten Dreck! Wenn ich nach dem Krieg einem von denen begegnen sollte, dann kann er was erleben!«
Natürlich hatte unser Zug schon vor der Vereidigung begonnen, Funksignale zu senden und zu empfangen oder Telefonkabel zu verlegen. Dabei rannten wir mit den auf Tragen befestigten Kabelrollen in steilerem Gelände umher und spulten so die Leitungen ab. Der »Esel«, ein Berghang nicht weit von der Kaserne entfernt, schien unseren Ausbildern für diese Übung besonders geeignet zu sein. Viele von uns hassten dieses Gelände. Trotzdem entwickelte sich zwischen den Gruppen so etwas wie Rivalität.
»Ihr Langweiler!«
»Wir waren heute viel schneller als ihr Brennnesseldatscher.«
Solche oder ähnliche Bemerkungen schwirrten fast nach jeder dieser Übungen durch unsere Reihen, bevor wir wieder singend in die Kaserne zurückmarschierten.
Auch wir »Nachrichtler« mussten mit Geschützen vertraut gemacht werden. Als ich erstmals an einer Kanone stand, erklärte Oberwachtmeister Wörle:
»Dieses Ding ist für Übungszwecke bestens geeignet. Es ist eine Skoda 05 Gebirgskanone, die uns die Tschechen überlassen mussten. Sie sehen hier mehrere davon. Das österreichische Alpenkorps hat sie schon im Ersten Weltkrieg benutzt, und sie funktionieren heute noch. Bedienen Sie die alte Tante so, wie sie es verdient! Auch wenn ihr Kaliber lediglich 7,5 Zentimeter beträgt, das Ding speit Tod und Teufel! Die Bedienung dieser Geräte ist bei allen anderen Typen ähnlich, ohne gravierende Unterschiede. So, jetzt will ich zunächst einmal ein glänzendes, gepflegtes Rohr sehen! Achten Sie aber beim Durchziehen darauf, dass die Seelenachse nicht verletzt wird!«
Karl Mergel, der neben mir stand, flüsterte mir grinsend ins Ohr:
»Jetzt will er uns auch noch verarschen. Diese gedachte Linie zwischen der Verschlusskammer der Granate durchs Rohr zum Ziel gibt’s doch gar nicht. Für wie blöd hält uns denn der Kerl?«
Wir übten mehrere Tage lang unter strengster Aufsicht. Unsere Ausbilder waren schwer zufriedenzustellen. Das Loisachtal war inzwischen in eine weiße Schneedecke gehüllt, und es wurde gemunkelt, dass wir bald verlegt werden sollten. Eines Abends hörte ich einen der Unteroffiziere versonnen vor sich hinmurmeln:
»Hoffentlich verfrachten die uns nicht nach Jugoslawien. Die Balkanheinis dort unten sollen aufmüpfig geworden sein.«
Übungen mit Handfeuerwaffen hielt man in unserem Fall für zweitrangig. Nur zwei Mal waren wir am Schießstand, wobei mir bessere Schützen mein Erfolgserlebnis beim RAD streitig machten. Mit Maschinengewehren schossen wir nur einmal. Auch wenn man uns mit unseren Nachrichtengeräten und schussbereiten Karabinern immer wieder über Berghänge hetzte – Übungen, wie sie bei den Jägern üblich waren, mussten wir nur einmal mitmachen. Dabei jagte uns allerdings Oberwachtmeister Wurzer in voller Marschausrüstung durch die eiskalte Loisach:
»Auf, marsch, marsch! Dort drüben am anderen Ufer ist der Feind!«
Noch am selben Abend waren Kleider- und Waffenappell angesagt, der viele Kameraden die Nachtruhe kosten sollte.
In den letzten Dezembertagen rückte unsere Abteilung aus. Es war durchgesickert, dass am Truppenübungsplatz Heuberg in Württemberg eine neue Division aufgestellt werden sollte, die anschließend in Jugoslawien eingesetzt würde. Ich war nicht mit von der Partie, und irgendwie stimmte es mich traurig, als ich von meinem Bett in der Krankenstation aus die anderen draußen vorbeimarschieren sah. Einige von ihnen waren gute Kameraden, mit denen ich gern weiterhin zusammengeblieben wäre. Aber wegen eines plötzlich aufgetretenen Anfalls meines Bronchialasthmas musste mich der Stabsarzt einstweilen zurückstellen.
Nach etwa einer Woche meldete ich mich beim Spieß in dessen Schreibstube zum Dienst zurück. Nicht unfreundlich fragte er mich: »Was möchten Sie denn lieber? Die neuen Rekruten drillen oder hier in der Schreibstube arbeiten? Können Sie Steno und Schreibmaschinenschreiben?«
»Nur stenografieren, Herr Hauptwachtmeister!«
»Immerhin etwas! Aber das Tippen könnten Sie sich selbst beibringen, wenn Sie hier arbeiten wollen!«
»Jawoll, Herr Hauptwachtmeister!«
Noch am selben Abend begann ich am Tisch in meiner neuen Bude damit, anhand eines Lehrbuchs und einer mir ebenfalls überlassenen Nachbildung einer Schreibmaschinentastatur zu üben. Anfangs hatte man mich in der Schreibstube lediglich als Laufbursche, Postverteiler oder Ähnliches eingesetzt. Aber ich lernte schnell, fühlte mich wieder gesund, und als ich mit einigen anderen Anfang April in eine Kaserne der Artillerie am nördlichen Stadtrand von Landshut an der Isar verlegt wurde, war ich zweiter Schreiber, während die anderen an schweren französischen Beutegeschützen ausgebildet wurden.
»Was wollen wir denn in den Bergen mit diesen vier Ungetümen und den beiden Zugmaschinen?«, fragte kopfschüttelnd Horst Ulmer, unser erster Schreiber. Er hatte sich vor einiger Zeit für die Unteroffizierslaufbahn beworben, aber weil er eine Hasenscharte hatte, wollte Hauptmann Rummel, unser neuer Batteriechef, dies nicht zulassen.
Jetzt fragte ich ihn:
»Hast du denn das Gespräch zwischen unserem Hauptmann und Leutnant Weber nicht mitgehört? Leider konnte ich nicht viel mitkriegen, aber ›Heeresküstenartillerieabteilung‹ habe ich verstanden.«
»Menschenskind, Lothar! Was sind denn das für Gegensätze. Erst Garmisch, dann Niederbayern, danach vielleicht die Atlantikküste? Das glaubst du doch selbst nicht.«
Mein Dasein als Schreiber erschien mir nach wie vor interessanter und angenehmer, als der tägliche Drill an diesen Geschützen, aber auf die Frage nach unserem bevorstehenden Einsatz wusste ich keine Antwort. Auch mich stimmte es nachdenklich, dass wir unsere Bergschuhe abgeben und gegen Knobelbecher