Antwort in ihrer Struktur von einer tiefverwurzelten Ahistorizität des sie leitenden Prinzips geprägt ist? Sie wissen, dass für Kant zum Beispiel, für Kant als Kritiker Beccarias, die Todesstrafe unabhängig von jeglicher Rücksicht auf Nützlichkeit, Exemplarität oder Abschreckung gerechtfertigt werden muss, unabhängig von jeglicher Rücksicht, die dazu tendiert, aus dem Rechtssubjekt oder dem Subjekt der Sittlichkeit, aus der menschlichen Person ein Mittel im Hinblick auf einen Zweck zu machen; und dass der Todesstrafe, in ihrem Wesen und in ihrer Würde, also alle (politische, soziologische, psychologische usw.) Geschichtlichkeit fremd sein müsse. Nun, eben damit werden wir beginnen.
Was sagt Badinter zu Beginn des ersten Kapitels seines letzten Buches, eines Kapitels, das den Titel „Von einem Präsidenten zum anderen“ trägt und im Laufe dessen er untersucht, was sich bezüglich der Todesstrafe entwickelt, als man von Pompidou zu Giscard und dann zu Mitterand übergeht? Die Frage der Präsidentschaft, als Figur der Souveränität, wird uns auch von den Vereinigten Staaten her interessieren, wo ein endloser Präsidentschaftswahlkampf62 das Thema der Todesstrafe wie die Pest gemieden hat und zwei Kandidaten einander gegenüberstellt, die gleichermaßen Anhänger der Todesstrafe sind, wie es sich gehört und wie es sich noch lange gehören wird in diesem Land, wobei einer der beiden Kandidaten, der Gouverneur von Texas, unter den gnadenlosen Nichtbegnadigenden63, die sich systematisch weigern, irgendeinen zum Tode Verurteilten zu retten, auch als unbestrittener Champion in dieser Kategorie beziehungsweise aller Kategorien bekannt ist.64 Was also sagt Badinter zu Beginn des ersten Kapitels seines letzten Buches, eines Kapitels, das den Titel „Von einem Präsidenten zum anderen“ trägt? Er stellt als randinschriftliches Motto65 einige Worte von Beccaria voran, dessen großer Bewunderer er ist, wie Sie wissen, über den er geschrieben hat, unter anderem das Vorwort zur französischen Übersetzung seines großen Buches. Badinter schreibt sich entschlossen in die große Tradition Beccarias ein, und er markiert das, indem er seinem letzten Buch, einem Buch, das, Partei ergreifend und Zeugnis einer heute mutigen Treue, François Mitterand gewidmet ist, dem Präsidenten der Abschaffung der Todesstrafe, < indem er seinem letzten Buch > also folgenden Satz als Motto einschreibt. Beccaria, zitiert als Motto, sagt Folgendes, dem Badinter allem Anschein nach zustimmt und Beifall zollt:
Wenn ich jedoch beweisen werde, dass diese Strafe weder nützlich noch notwendig ist, so habe ich für die Sache der Menschheit den Sieg errungen.66
Nun möchte ich mich mit Ihnen fragen, ob dieser Satz, selbst wenn er aus seinem Kontext gerissen ist, wie ein Motto es immer tut67, und so klar und edel er auch immer erscheinen mag, nicht problematisch ist, selbst für einen überzeugten Befürworter der Abschaffung der Todesstrafe, selbst für eine radikale Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe68. Und indem ich mich das frage, werde ich mir mit Ihnen Fragen stellen zur Tradition und zu den Voraussetzungen des entschlossensten, respektabelsten, am mutigsten kämpfenden Diskurses zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe, und also zu dem, was seine Stärke selbst an Schwäche oder Verletzlichkeit in sich bergen kann. (Hier innehalten?69)
Dieser Satz von Beccaria (dessen großes kleines Buch Über Verbrechen und Strafen ich Sie also zu lesen und wiederzulesen bitte) entstammt einem Kapitel, das den Titel „Über die Todesstrafe“ trägt (Kap. XXVIII). Dieses Kapitel, das ziemlich lang und detailreich ist, eröffnet mit einer Frage, die die Begriffe des Nützlichen und des Gerechten auf problematische Art und Weise zu assoziieren und miteinander zu verknüpfen scheint. Das ist aber nicht dasselbe, das Nützliche und das Gerechte. Beccaria schreibt also, ich zitiere:
Diese unnütze Häufigkeit der Strafen, die noch nie die Menschen besser gemacht hat, hat mich zur Prüfung der Frage veranlaßt, ob für eine wohleingerichtete Regierung die Todesstrafe wirklich nützlich und gerecht ist. Mit welchem Recht maßen es die Menschen sich an, ihresgleichen zu töten?70
Gleich nachdem er diese Frage gestellt hat, die in ihrer Formulierung das Gerechte und das Nützliche verbindet (während es doch nicht dasselbe ist, das Gerechte und das Nützliche, und gerade Kant versucht hatte, die Todesstrafe als einen gerechten Akt zu rechtfertigen, der gerade prinzipiell, aus reinem Prinzip gerecht ist, weil er durch keinerlei Eigenschaft der Nützlichkeit, der Exemplarität oder der Abschreckung gerechtfertigt werden muss, während Beccaria seinerseits die Todesstrafe disqualifiziert, diskreditiert, weil sie nicht nützlich oder abschreckend genug sei, wir werden noch darauf zurückkommen) [gleich nachdem er also diese Frage gestellt hat, die in ihrer Formulierung das Gerechte und das Nützliche verbindet,] trennt Beccaria, mit einer ziemlich interessanten und paradoxen Geste, das Recht, zu töten, die Todesstrafe, von der Souveränität der Gesetze. Er tut das, um die Souveränität zu retten, natürlich, und um zu zeigen, dass die Todesstrafe, eben weil sie kein Recht ist, nicht auf der Souveränität und den Gesetzen beruht; man kann sie abschaffen, ohne die Souveränität und die Gesetze zu gefährden; oder umgekehrt, eben weil sie nicht auf der Souveränität und den Gesetzen beruht, ist sie kein Recht: „Mit welchem Recht maßen es die Menschen sich an, ihresgleichen zu töten? Es kann dies gewiß nicht jenes sein, von dem die Souveränität und die Gesetze sich herleiten.“71
Wir werden später noch einmal auf jene merkwürdige, ebenso rousseauistische wie anti-rousseauistische Bewegung zurückkommen, die auf diese Passage bei Beccaria folgt, und wir werden sehen, wie der merkwürdige Gebrauch, den er von Rousseaus Begriff der volonté générale macht, ihn zu einer Schlussfolgerung führt, die der von Rousseau im Contrat social über die Todesstrafe entgegengesetzt ist (wir hatten diese Passage letztes Jahr gelesen72). Nach dieser Beweisführung schließt Beccaria mit dem Satz, den Badinter als Motto gewählt hatte, aber nicht ohne das Wort „gerecht“ fallen gelassen zu haben, das Beccaria durch das Wort „Recht“ ersetzt (was kein Recht sein kann, kann nicht gerecht sein, so lautet die Voraussetzung), und dieses Mal das Nützliche mit dem Notwendigen verbindend.
Folglich stellt die Todesstrafe kein Recht dar, und sie kann kein Recht sein, wie ich bewiesen habe; sondern sie ist ein Krieg der Nation gegen einen Bürger, weil sie die Vernichtung seines Daseins für notwendig oder nützlich erachtet. Wenn ich jedoch beweisen werde, dass diese Strafe weder nützlich noch notwendig ist, so habe ich für die Sache der Menschheit den Sieg errungen.73
Wir werden das ebenso locker wie dicht gesponnene Gewebe dieser Argumentation rekonstruieren; dieser alles in allem utilitaristischen Begründung der Abschaffung der Todesstrafe, die die (meiner Ansicht nach problematische) Grundlage der meisten heutigen Diskurse zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe bildet, einschließlich dessen, der vor dem französischen Parlament, und auch in einem weiteren Sinne, für die Abschaffung der Todesstrafe argumentiert hatte, nämlich die Rede [discours] desjenigen74, der jenen Satz von Beccaria seinem letzten Buch als Motto voranstellt.
Um dieses Buch von Badinter, sein erstes Kapitel, das also den Titel „Von einem Präsidenten zum anderen“ trägt, über einen anderen Flügel unseres Vorstoßes anzusprechen, aber immer noch unter dem Titel „Präsidentenflügel [présidentiailes]“, zusammen mit der Frage des Präsidenten, der präsidentiellen Souveränität, hätte ich heute unser Interesse auch auf das lateinische Wort „Präsident“ lenken wollen (das Wort auf Französisch und auf Englisch oder auf Deutsch oder auf Italienisch, Spanisch aussprechen?75). Was ist das, ein Präsident? Und welche Beziehung < besteht > zwischen der Präsidentialität und der Todesstrafe? Wie soll man heute über die französischen und amerikanischen Präsidentschaften, ja über die Präsidentschaftswahlkämpfe in ihrer Beziehung zur Todesstrafe sprechen? Was ist das, ein Präsident? Praesidere, das heißt vorne sitzen, wie auf einem Thron, der die Autorität markiert, von der her man die Stirn bietet. Auf diese Weise vorne platziert, wie ein Schild, aber auch wie ein Problem (< griech. > probléma bedeutet auch „Schild“), trägt der Präsident zugleich Verantwortung dafür, zu beschützen, „zu wachen über…“, ist er mit einer Pflicht und einem Recht versehen [investi]: zu wachen, zu überwachen, um zu beschützen (die gemeinsame Freiheit, die Nation, die Gemeinschaft usw.). Gleichzeitig ist die Präsidentschaft [présidence] ein Vorrang [préséance], ein Primat, ein Prinzipat, ein Kommando und eine Leitung [direction]. Bei Tacitus und Sallust konnte das eine militärische Bedeutung haben. Ein Präsident als Staatschef