Arbeiterinsurrektion gegen eine an der Macht befindliche Bourgeoisie
–spezifische Gewaltoptionen in extrem autoritären Staatswesen und
–der antikoloniale/antiimperialistische Volksbefreiungskrieg in Form des Guerillakampfes (siehe II)
In gewaltförmigen Auseinandersetzungen spielen natürlich Fragen der Bewaffnung und Rüstung eine wichtige Rolle. Der kapitalistischen Produktionsweise ist eine ständige Veränderung und Revolutionierung der Technologie inhärent. Dies bedeutet, dass »die Fortschritte der Technik, sobald sie militärisch verwendbar und auch verwendet wurden, sofort Änderungen, ja Umwälzungen der Kampfweise fast gewaltsam erzwangen.«18 Proletarische Insurrektionsstrategien müssen daher sehr genau die waffentechnologischen Veränderungen und Bedingungen in ihr Revolutionskalkül einbeziehen.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für erfolgreiches revolutionäres Handeln, insbesondere in Gewaltfragen, ist nach Marx und Engels eine konkrete, sachliche Einschätzung/Analyse a) der realen gesellschaftlichen Verhältnisse und b) der jeweiligen »Arbeiterklasse in jedem Stadium ihrer Entwicklung«.19
Ohne Berücksichtigung dieser Bedingungen ist das Scheitern vorprogrammiert. Energisch wendet sich Engels noch im hohen Alter gegen die Reduzierung und Verfälschung ihrer Theorie auf »eine Sammlung von Dogmen, die auswendig zu lernen und aufzusagen sind wie eine Beschwörungsformel oder ein katholisches Gebet.«20 Er beklagt, dass der »Marxismus zu einem Dogma verknöchert«21 oder dass »Passagen aus den Schriften und dem Briefwechsel von Marx in höchst widersprüchlicher Weise ausgelegt worden sind, genau so, als wären es Texte aus Klassikern oder aus dem Neuen Testament.«22 Stattdessen ist für Marx und Engels die konkrete Analyse gesellschaftlich-historischer Verhältnisse die notwendige Grundlage einer darauf aufbauenden Strategie/Taktik, und bei veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen ist die jeweilige politische Handlungsweise entsprechend zu modifizieren.
Ein grundlegender Erfahrungsprozess der sich herausbildenden Arbeiterklasse ist die Erkenntnis über die Asymmetrie der Herrschafts- und Gewaltverhältnisse: »Die da oben – wir da unten«. Die Kampf- und Aktionsbereitschaft der Arbeiterbewegung ist nur unter spezifischen Bedingungen gegeben, denn wenn »die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht«,23 entwickelt sich im Fortgang »der kapitalistischen Produktion (…) eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit, die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt.«24 Der »stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter«.25 Der alltägliche soziale Klassenkampf um Arbeitslohn und Arbeitsbedingungen, der gewerkschaftliche »Guerillakrieg zwischen Kapital und Arbeit«,26 dieser »versteckt geführte Bürgerkrieg«27 erfordert nur ausnahmsweise die Anwendung »außerökonomischer, unmittelbarer Gewalt«28 seitens der Herrschenden.
Allerdings geht in ökonomischen, sozialen und politischen Krisenzeiten der kalte gewerkschaftliche Krieg immer schwanger mit seiner Verwandlung in den heißen, den »offene(n), blutige(n) Krieg«29 zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten. »Sobald der Klassenkampf im Bürgerkrieg auflodert«,30 gewinnt er eine spezifisch militärische Dimension, spielt die Gewalt eine dominierende Rolle. Die ökonomischen »Krisen (sind) einer der mächtigsten Hebel der politischen Umwälzung«; allerdings gilt genauso, »daß die rückkehrende Prosperität dann auch die Revolutionen knickt, und den Sieg der Reaktion begründet.«31
Ist die Phase des gewaltförmigen Kampfes eingetreten, gibt es »nur zwei entscheidende Mächte: die organisierte Staatsgewalt, die Armee, und die unorganisierte, elementare Gewalt der Volksmassen.«32
Ist der bewaffnete Kampf zur hauptsächlichen Kampfform geworden, muss er »militärisch gesehen«33 werden. Es gilt, die militärische Seite der Revolution zu analysieren und in Handlungsanweisungen umzusetzen. Insoweit treffen sich Marx, Engels und Louis-Auguste Blanqui, der in seinen »Instruktionen für den Aufstand« den Gewaltkonflikt ebenfalls »rein militärisch« abhandelt, um dem aufständischen Volk Hilfestellungen für den Kampf gegen das Militär zu geben.
Marx und Engels betonen zudem stets die herausragende Bedeutung einer selbstständigen Partei der Arbeiterklasse, die im Revolutionsprozess ihre Rolle als Avantgarde konsequent annehmen muss:
»Damit am Tag der Entscheidung das Proletariat stark genug ist zu siegen, ist es nötig – und das haben Marx und ich seit 1847 vertreten –, daß es eine besondere Partei bildet, getrennt von allen andern und ihnen entgegengesetzt, eine selbstbewußte Klassenpartei.«34 1894 schreibt er an Paul Larfague: »Um aber den Sieg zu sichern, um die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, braucht ihr die aktive Unterstützung einer sozialistischen Partei, die stärker, zahlreicher, erprobter, bewußter ist als die, über die Ihr verfügt.«35
Das Ziel dieser Studie ist also die Darlegung der von Marx und Engels analysierten militärischen Dimension der Arbeiterinsurrektion, die als relativ eigenständige theoretische Sphäre mit ihren Regeln zu untersuchen ist.
Engels stürzt sich deswegen in umfassende militärische Studien, denn wenn »theoretisch klare Köpfe vorhanden sind«,36 welche der Arbeiterbewegung »vom militärischen Gesichtspunkt aus genau darstellen, was tubar und untubar ist«,37 kann »mancher Unsinn vermieden und der Prozeß wesentlich abgekürzt werden.«38 Sich erst in der Bürgerkriegssituation mit Fragen des bewaffneten Kampfes zu beschäftigen, ist nach Marx und Engels nicht nur verspätet, sondern auch unverantwortlich, denn theoretisch und praktisch ungewappnet einen Klassenkrieg zu führen, provoziert unnötig Opfer, Leid und Elend auf Seiten der Arbeiterklasse und der Bevölkerung.
Zeitlebens analysieren Marx und Engels Chancen und Risiken eines Aufstands der Arbeiterklassenbewegung. Mit großer Sorgfalt studieren sie alle Aufstände ihrer Zeit, registrieren die Veränderungen der Kampfbedingungen und modifizieren ihre Vorschläge und Direktiven zur gewaltsamen Eroberung der Macht; denn der »Aufstand (ist) eine Kunst«.39
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Möglichkeit einer hauptsächlich gewaltfreien, friedlichen Machteroberung der Arbeiterklasse; auch diese Möglichkeit schließen Marx und Engels keineswegs aus.
Der friedliche Weg
Zunächst gilt für Marx und Engels grundsätzlich, dass die angestrebte proletarische Emanzipation – als Aufhebung von Ausbeutung und Unterdrückung – am idealsten im Rahmen einer friedlichen Gesellschaftstransformation verwirklicht wird:
»Es wäre zu wünschen, daß dies [die Aufhebung des Privateigentums auf friedlichem Wege] geschehen könnte, und die Kommunisten wären gewiß die letzten, die sich dagegen auflehnen würden.«40 Alle Chancen nicht-gewaltförmiger Veränderung sind gewissenhaft zu prüfen und zu erwägen: »Wir werden auf friedlichem Wege (…) vorgehen, wo uns das möglich sein wird.«41
Marx und Engels äußern sich konkret zu Bedingungen der Möglichkeit eines friedlichen Weges:
»Man kann sich vorstellen, die alte Gesellschaft könne friedlich in die neue hineinwachsen, in Ländern, wo die Volksvertretung alle Macht in sich konzentriert, wo man verfassungsmäßig tun kann, was man will, sobald man die Majorität des Volkes hinter sich hat: in demokratischen Republiken wie Frankreich und Amerika, in Monarchien wie in England, wo die bevorstehende Abkaufung der Dynastie tagtäglich in der Presse besprochen wird und wo diese Dynastie gegen den Volkswillen ohnmächtig ist.«42
Sind »Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht und die übrigen Mittel zur Organisation und zum Kampf«43 gegeben, steht der friedliche Weg offen. Parlamentarische Demokratien, die solche Rechte gewähren, sind eine gute Ausgangsbasis für einen gewaltlosen Transformationsprozess:
»Gewinnt z. B. in England oder in (den) Vereinigten Staaten die Arbeiterklasse die Majorität im Parlament oder Kongreß, so könnte sie auf gesetzlichem Weg die ihrer Entwicklung im Wege stehenden Gesetze und