Wolfgang Pütz

Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso: Reclam Lektüreschlüssel XL


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Erzähler muss von diesem Augenblick an die paradoxe Situation aushalten, dass er einerseits ein sehr vermögender Mann ist, zugleich aber für eine unbestimmte Zeit und möglicherweise für die Dauer seines gesamten Lebens wegen einer einzigen Fehlentscheidung die schwere Bürde von gesellschaftlicher Ausgrenzung und tiefer Einsamkeit tragen muss.

      Mit der Lüge, dass ihm im Verlauf einer Russland-Reise der eigene »Schatten dergestalt am Boden fest[gefroren sei], dass er ihn nicht wieder los bekommen konnte« (S. 23), begründet er einem Maler gegenüber den ungewöhnlichen Auftrag, ihm einen Schatten zu malen. Als dieser das Ansinnen strikt zurückweist, offenbart der Erzähler sein schreckliches Stigma als SchicksalGeheimnis gegenüber Bendel, der ihn – wenn auch nach kurzem Zögern – seiner unverbrüchlichen Gefolgschaft versichert. Tatsächlich stellt Bendel von diesem Tag an seine neue Treue unter Beweis, indem er durch geschicktes Agieren dafür sorgt, dass die Schattenlosigkeit seines Herrn in der Öffentlichkeit unbemerkt bleibt. War er zuvor – bei seiner Ankunft auf dem Landhaus des Thomas John – missachtet worden, so genießt Schlemihl jetzt Beachtung und Achtung im Kreis der höheren Gesellschaft.

      Das neue Glück währt allerdings nur so lange, bis eine unerwartete abendliche Situation – »unversehens [tritt] […] der Mond aus den Wolken hervor« (S. 25) und enthüllt den Defekt des Erzählers – einen öffentlichen Skandal verursacht, der Peter Schlemihl zur sofortigen Flucht in die Ferne veranlasst.

      Kapitel IV

      Diesem Unglück folgt abermals ein neues und unerwartetes LiebesglückGlück, als Schlemihl an einem neuen Aufenthaltsort in eine Festgesellschaft gerät und aus Gründen, die er zunächst nicht durchschaut, mit einem Kranz »aus Lorbeer, Ölzweigen und Rosen« (S. 27) beschenkt wird, den ihm die schönste der anwesenden Frauen vor der versammelten Gesellschaftliche AnerkennungMenschenmenge mit feierlichen Worten überreicht. Als spontane Gegenleistung händigt ihr Schlemihl eine »reiche diamantene Krone« (S. 28) aus. Dass ihm dies gelingt, ohne die Kutsche zu verlassen und auf diese Weise wegen seiner Schattenlosigkeit erneut einen Skandal zu provozieren, verdankt er einzig der geistesgegenwärtigen Hilfe Bendels, der an seiner Stelle den Kranz an sich nimmt und die Krone überreicht.

      Durch einen neuen jungen Begleiter namens Diener RascalRascal erfährt Schlemihl, dass die Ehrerbietung, die ihm von den Menschen entgegengebracht wird, eigentlich dem preußischen König gilt, der einem Gerücht zufolge unerkannt durch sein Herrschaftsgebiet reist. Diese Verwechslung veranlasst Schlemihl, die Stadtbewohner zu einem Fest einzuladen, bei dem er weiterhin so tut, als sei er der SelbstinszenierungLandesherrscher. Auch gegenüber Mina, der Empfängerin der wertvollen Krone, wahrt er unter dem Namen Graf Peter den falschen Schein einer aristokratischen Identität. Mit der ihm zur Verfügung stehenden »königlichen Pracht und Verschwendung« (S. 31) unterwirft er sich fortan die Menschen in seiner Umgebung, muss aber zugleich stets darauf bedacht sein, dass sein Blendung der anderenGeheimnis – er ist ja ein ursprünglich bedeutungsloser Mann mit dem schweren Makel der Schattenlosigkeit – von niemandem bemerkt wird.

      Es gelingt ihm dabei auch ohne weiteres, das Herz der Frau zu erobern, in die er sich bei der Ankunft an seinem neuen Wohnort verliebt hatte. Doch zeichnet sich das Ende dieser Liebesbeziehung mit Mina schon bald darauf ab, als Peter Schlemihl vergeblich auf eine rasche Wiederbegegnung mit dem Mann wartet, dem er seinen Schatten überlassen hat.

      Kapitel V

      Die Handlung nimmt dramatische Züge an, als kurz darauf nicht nur die Schattenlosigkeit, sondern auch die falsche Identität des Helden ganz unvermittelt publik wird. Mit Worten und Gesten der Empörung verweigert zunächst Rascal seinen Dienst, bevor in einer weiteren Szene auch Minas Eltern ihrer Wut und Enttäuschung über Schlemihls Betrug Ausdruck verleihen. Mit der an ihn gerichteten ultimativen Aufforderung, innerhalb von drei Tagen nachzuweisen, dass er einen Schatten besitze, begibt sich der verzweifelte Held in die freie Natur.

      Dort begegnet er ein Zweite Begegnung mit dem ›grauen Mann‹weiteres Mal dem »Mann im grauen Rock« (S. 39), der ihm nun einen neuen Handel anbietet: Schlemihl soll seinen Schatten um den Preis zurückerhalten, dass er dem Fremden nach dem eigenen Tod seine Seele vermacht. Doch obwohl ihm auch der Schatten in all seiner verführerischen Lebendigkeit gezeigt wird, lehnt Schlemihl den Teufelspakt ab. Der Versuch seines Dieners Bendel, ihm den Schatten mit Gewalt zurückzuerobern, scheitert daran, dass der unbekannte Mann trotz der Stockschläge, die auf ihn niedergehen, unbekümmert fortgeht und nicht nur den Schatten, sondern auch den Diener mitnimmt. Bendel taucht in Kapitel VII als nunmehr »schwach[er] und krank[er]« (S. 52) Mann wieder auf.

      Kapitel VI

      In den anschließenden Szenen, die wieder irreale Züge eines Alptraums aufweisen, versucht Schlemihl, einen an ihm im Sonnenlicht vorübergleitenden und dann vor ihm flüchtenden »Menschenschatten« (S. 44) zu fangen. Er stößt auf den Widerstand eines menschlichen Körpers, den er niederringt. Es stellt sich heraus, dass der Besitzer des Schattens seinen Körper durch eine Die TarnkappeTarnkappe unsichtbar gemacht hatte, die nun in einiger Entfernung von ihm liegt. Der Mann scheint verzweifelte Anstrengungen zu machen, um seine Kopfbedeckung wiederzuerlangen. Doch Schlemihl ergreift sie und wird unsichtbar. Wenig später wird er allerdings begreifen, dass es sich bei dem Opfer seines Raubes in Wirklichkeit um die teuflische Dritte Begegnung mit dem ›grauen Mann‹Figur des »Mann[es] im grauen Rock« (S. 47) handelt, der Schlemihl durch gezielte Manöver in eine Situation bringen will, in welcher es diesem unmöglich ist, sich der Preisgabe seiner Seele zu widersetzen.

      In der irrtümlichen Annahme allein zu sein, nutzt Schlemihl die geraubte Tarnkappe, um unerkannt zu Rückkehr zu MinaMina zurückzukehren und im Garten ihres Elternhauses den Fortgang der bisherigen Ereignisse im Hause seiner Geliebten zu erfahren: Mina soll, auf dringenden Wunsch ihres geldgierigen Vaters, Rascal, den ehemaligen Diener Schlemihls, heiraten. Dieser hatte sich während seiner Anstellung an dem unerschöpflichen Geldvermögen seines Herrn bereichert und erscheint nun zumindest in den Augen von Minas Vater – ihre Mutter hält den neuen Heiratsanwärter für einen Dieb – als eine geeignete Partie für eine eheliche Verbindung mit der Tochter.

      Indem er zum entsetzten Zeugen der bösartigen Aktivitäten zu Minas Zwangsverheiratung mit einem Verbrecher wird, kann Schlemihl sich kaum dem Druck entziehen, den der auf einmal neben ihm sitzende Vierte Begegnung mit dem ›grauen Mann‹teuflische Besitzer seines Schattens auf ihn ausübt. Dieser drängt ihn angesichts der sich zuspitzenden Zwangslage von Mina dazu, endlich seine Unterschrift unter den Teufelspakt zu setzen. Nur auf diese Weise, so die perverse Logik des Mannes im grauen Anzug, lasse sich noch gewährleisten, dass Schlemihl seinen Schatten und damit einen Anspruch auf Minas Hand wiedergewinnt.

      Kapitel VII

      Der weitere Bericht des Erzählers informiert darüber, dass er in diesem äußersten tragischen Moment der Entscheidungsnot seine Unterschrift verweigerte und daher hinnehmen musste, dass zwischen Rascal und Mina die Ehe geschlossen wurde.

      Auf der Flucht vor dieser grausamen Wirklichkeit wird Schlemihl von den harten und wütenden Worten des Mannes begleitet, der seinen Schatten besitzt und ihm mit den Worten »man entgeht seinem Schicksale nicht« (S. 51) eine düstere Zukunft prophezeit.

      Es folgt eine emotional überschwängliche Wiederbegegnung mit BendelWiederbegegnung mit dem Diener Bendel, von dem Schlemihl zusätzliche Informationen über Rascals Geldgier und Verderbtheit erhält.

      Um Bendel nicht mit dem eigenen furchtbaren Verhängnis zu belasten, entlässt Schlemihl ihn reich beschenkt aus seinen Diensten, bevor er selbst zu Pferd auf eine ziellose Reise geht.

      Kapitel VIII

      In einem Philosophen, der ihn auf seinem Weg begleitet, erkennt er auf einmal Fünfte Begegnung mit dem ›grauen Mann‹den »Mann im grauen Rock« (S. 55). Dieser leiht Schlemihl nun vorübergehend den eigenen Schatten unter der Bedingung aus, von ihm als Reisegefährte akzeptiert zu werden. Schlemihls Versuch, dem ›grauen Mann‹ den Schatten durch einen Fluchtversuch zu entwenden, scheitert, weil das Objekt seiner Begierde zu seinem teuflischen Besitzer zurückkehrt. Dennoch ist Schlemihl trotz der verführerischen Situation,