39 % in Sachsen-Anhalt, 40 % in Brandenburg, 41 % in Baden-Württemberg, 60 % in Mecklenburg-Vorpommern und 69 % in Berlin. Ein weiteres Indiz für die Klimaverschlechterung an vielen Schulen sei die Zunahme von Bedrohungen, die zwischen 2013 und 2017 z. B. in Baden-Württemberg um 20 %, in Brandenburg um 30 % und in Berlin um über 50 % gestiegen sei (Welt am Sonntag 22.07.2018).
Die Arbeitsstelle Jugendgewaltprävention beim Berliner Senat verweist in ihrem Bericht von 2017 auf folgende Befunde (Lüter/Schroer-Hippel/Bergert/Glock 2017): Erstmals seit dem Jahre 2010 sind an Berliner Schulen im Jahre 2016 deutlich mehr schulische Gewaltvorfälle polizeilich registriert worden, wobei sich das Ausmaß zwischen den Stadtbezirken stark unterscheidet. Auch beim Notfallmeldesystem der Berliner Bildungsverwaltung ist in den Jahren 2015 und 2016 ein deutlicher (noch stärkerer als in der Polizeistatistik) Anstieg von Gewaltvorfällen an Schulen registriert worden, insbesondere bei Beleidigungen, Drohungen und Tätlichkeiten. Neben den Grundschulen werden seit 2015 auch wieder vermehrt Gewaltvorfälle aus den Integrierten Sekundarschulen gemeldet. Im Zehnjahresvergleich ist der Anteil nicht deutscher Tatverdächtiger für polizeilich registrierte Schulgewalt von 2010 bis 2014 kontinuierlich gesunken, 2015 und 2016 jedoch leicht auf 23 % angestiegen.
Diese schulbezogenen Statistiken passen auch zu Entwicklungstrends bei Jugendgewalt insgesamt. Im Gutachten von Pfeiffer, Baier und Kliem (2018) wird festgestellt, dass es im Jahre 2016 zu einem merklichen Anstieg der Jugendgewalt gekommen sei. Die Tatverdächtigenbelastungszahl bei 14- bis unter 18-Jährigen habe sich auf 705,6 und damit um 12,3 % erhöht. Dieser Anstieg sei primär bei nichtdeutschen Tatverdächtigen zu beobachten, womit die Bedeutung der Integration von Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen und von Flüchtlingen im Besonderen unterstrichen werde. Darüber hinaus verweist das Gutachten auf Probleme des politischen Extremismus: Etwa jeder fünfte deutsche Jugendliche sei ausländerfeindlich eingestellt. Etwa jeder 14. Jugendliche habe linksextreme Orientierungen und jeder neunte muslimische Jugendliche islamisch fundamentalistische Einstellungen.
Im Gegensatz dazu können einige Studien jedoch keinen generellen Gewaltanstieg an Schulen bestätigen. So kommt die Studie »Jugend in Brandenburg 2017«, die sich auf Trendanalysen seit Mitte der 1990er Jahre beziehen kann, zu folgenden Aussagen (Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung 2018): Der Anteil der Jugendlichen, die sich oft oder manchmal an Schlägereien beteiligen, ist leicht gesunken (1996: 13,0 %; 1999: 8,9 %; 2001: 8,3 %; 2005: 10,4 %; 2010: 10,9 %; 2017: 8,1 %). Jungen beteiligen sich nach wie vor häufiger an Schlägereien (2017: 12,0 %) als Mädchen (2017: 4,0 %). Dieser rückläufige Trend gilt auch für Gewalterfahrung außerhalb der Schule. Allerdings ist auch ein geringer Anstieg beim Anteil derer zu verzeichnen, die oft geschlagen wurden (2010: 0,9 %; 2017: 1,2 %). Umgekehrt ist der Anteil der brandenburgischen Jugendlichen, die sich nie an gewalttätigen Aktionen beteiligen, angestiegen (1996: 52,0 %; 1999: 59,5 %; 2001: 65,0 %; 2005: 59,8 %; 2010: 61,2 %; 2017: 68,5 %) und erreicht den höchsten Wert in der Zeitreihe seit 1996. Allerdings stellt die Studie einen klaren Anstieg von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit unter Brandenburger Jugendlichen fest (Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung 2018).
Auch im Gutachten für den 23. Deutschen Präventionstag 2018 (Baier 2018) wird für das Bundesland Niedersachsen von 2013 bis 2015 auf einen Rückgang der Schülergewalt verwiesen, sowohl bei der Gesamt-Opferrate als auch bei Sachbeschädigung und verbalen Aggressionen. Ähnliches gilt für das Begehen von Körperverletzungen mit Waffen, inklusive Messer. Jedoch wird von 2013 zu 2015 ein Anstieg des Anteils von Jugendlichen festgestellt, die Messer bei sich führen (männlich: von 27 % auf 29 %; weiblich: von 6 % auf 7 %), was problematisch sei.
Mehr Gewalt gegen Lehrkräfte?
In letzter Zeit ist durch vermehrte Medienberichte auch die Gewalt gegen Lehrkräfte in den Fokus gerückt. Dies hat zu dem weitverbreiteten Eindruck geführt, dass Lehrkräfte zunehmend Opfer von Schülergewalt seien. Empirische Studien können diesen Eindruck meist nicht bestätigen. So hat unsere eigene Replikationsstudie (Bilz/Schubarth/Dudziak u. a. 2017) bis zum Jahr 2014 eine rückläufige Entwicklung ermittelt. So sank der Anteil der Schüler, die eine Lehrkraft absichtlich geschlagen haben, von 2,1 % (1996) auf 0,6 % (2014), bei Drohungen von 3,6 % auf 1,1 % und bei Sachbeschädigungen von 4,5 % auf 2,6 %.
Bei einer Lehrkräftebefragung an Berliner Schulen wurden höhere Opfer-Anteile unter Lehrkräften ermittelt (Baier/Bergmann 2016). Insbesondere verbale Angriffe auf Lehrkräfte gehören offenbar zum Schulalltag: So gab jede zweite Lehrkraft an, dass sie beschimpft wurde. Die Erfahrung, lächerlich gemacht zu werden, machte jede fünfte Lehrkraft. Jede sechste bis siebte Lehrkraft gab an, von einem Schüler mit Gewalt bedroht worden zu sein. Körperlich angegriffen wurden weniger als ein Prozent der Lehrkräfte.
In den niedersachsenweiten Schülerbefragungen 2013 und 2015 (Bergmann u. a. 2017) wurden Lehrkräfte gebeten, über ihre Opfererfahrungen im letzten Schulhalbjahr zu berichten. Dabei berichten 3,1 % (2013) bzw. 4,3 % (2015), dass ihnen Gewalt angedroht wurde. Körperliche Angriffe durch Schüler wurden 2013 von keiner der befragten Lehrkräfte berichtet, 2015 von 0,4 %. Auch außerhalb der Schule sind körperliche Übergriffe oder Bedrohung seitens der Schüler eher sehr selten. Im Vergleich der Jahre 2013 und 2015 zeigen sich z. T. leichte Anstiege.
Der Verband Bildung und Erziehung hat in den Jahren 2017 und 2018 zwei Umfragen unter Lehrkräften bzw. Schulleitungen zum Thema »Gewalt gegen Lehrkräfte« durchführen lassen (VBE 2017 und 2018). Danach sei Gewalt gegen Lehrkräfte kein Einzelfall. Sechs von 100 Lehrern sind demnach schon einmal körperlich von ihren Schülern angegriffen worden. Noch größer sei die Zahl der Lehrkräfte, die psychische Gewalt erleben mussten. Fast ein Viertel berichtete demnach über eigene Erfahrungen mit Bedrohungen, Beleidigungen, Beschimpfungen oder Mobbing – nicht nur durch Schüler, sondern häufig auch von Eltern. Seltener genannt wurden Kollegen und die Schulleitung als Quelle solcher Angriffe. Zwei Prozent der Lehrkräfte gaben an, an ihrer Schule schon einmal Ziel von Cybermobbing gewesen zu sein. Trotz der verbreiteten Erfahrung, vor allem mit psychischer Gewalt, sei das Thema dennoch ein Tabu. Mehr als die Hälfte hatten ausgesagt, dass sie darüber im Kollegen- oder Freundeskreis nicht sprechen könnten. Bei psychischen Angriffen durch Schüler hatten über 80 % der betroffenen Lehrer den Vorfall gemeldet. Kamen die Attacken von Eltern, hielten nur 65 % der Lehrkräfte eine offizielle Meldung für erfolgsversprechend (VBE 2017). Rund 60 % sind der Überzeugung, dass die Gewalt an Schulen zugenommen habe, für 36 % ist sie unverändert und 4 % sehen eine Gewaltabnahme.
Die Schulleitungsbefragung 2018 ermittelte ähnliche Ergebnisse: So habe es in den vergangenen fünf Jahren fast an jeder zweiten Schule in Deutschland Gewalttaten gegen Lehrkräfte gegeben – und zwar nicht nur durch Schüler, sondern auch durch Eltern. Am häufigsten berichteten die Schulleiter über verbale Bedrohungen, Beschimpfungen und Mobbing. Von körperlichen Angriffen auf Pädagogen berichteten 26 % der Schulleiter. Jede fünfte Schule erlebte Cybermobbing gegen Lehrer über das Internet. 39 % der befragten Schulleiter halten Gewalt gegen Lehrkräfte noch immer für ein Tabuthema (VBE 2018). Gewaltattacken gegen Lehrkräfte seien jedoch keine Einzelfälle und dürften deshalb nicht länger tabuisiert werden.
Resümierend lässt sich konstatieren, dass »Schule und Gewalt« seit einiger Zeit wieder stärker in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Medienberichte suggerieren einen Gewaltanstieg, auch gegen Lehrkräfte, was in der Öffentlichkeit zu einem »gefühlten Gewaltanstieg« geführt hat. Die vorliegenden empirischen Studien zeichnen ein eher differenziertes Bild. Auf der Basis der berichteten Studien lässt sich – bei aller Differenzierung der Befundlage – festhalten, dass nach Jahren einer rückläufigen Entwicklung von Gewalt (möglicherweise mit Ausnahme der psychischen Gewalt) seit 2015/16 offenbar eine Trendwende eingetreten ist und Gewalt und Mobbing anscheinend wieder zugenommen haben. Das gilt insbesondere auch für Grundschulen. Dabei ist auch das Thema »Gewalt gegen Lehrkräfte« in den Fokus gerückt. Als tiefere Ursachen können gesellschaftliche und schulische Entwicklungen angenommen werden. Generell gilt weiterhin, dass Gewalt und Mobbing weder verharmlost noch dramatisiert werden sollten. Die Befunde signalisieren zugleich einen deutlichen Handlungs- und Forschungsbedarf.
b) Welche Rolle spielen Cybermobbing und Hate Speech?
Wenn