den ganzen Schlafraum aufgeweckt. Einer der Priester versuchte sie zu beruhigen, doch sie gerieten nur noch mehr außer sich. Schließlich hängte er ihnen Rosenkränze um den Hals, besprengte sie mit Weihwasser und sprach einen Segen.
Darauf wurden die beiden Jungen noch wilder und riefen, dass das Weihwasser sie verbrenne. Dann rannten sie nach draußen und wir alle hinterher. Wir sahen sie im Kreis herumrennen und dann haben sie sich die Rosenkränze vom Hals gerissen. Im selben Augenblick gingen ihre Füße in Flammen auf. Wir warfen Decken auf sie, um das Feuer zu ersticken. Nur zwei Dinge kommen aus Kibungo: Teufel und Dämonen. Und dieser Alphonsine muss ein ganzes Rudel davon bis nach Kibeho gefolgt sein.«
Die Geschichte war einfach so lächerlich unglaubwürdig, dass ich meinem Bruder auf den Kopf zusagte, sie erfunden zu haben.
»Ich schwöre, dass jedes Wort wahr ist«, antwortete er feierlich.
Damascene war ein hervorragender Geschichtenerzähler und versierter Witzbold, aber er log nicht. »Ich würde nie über jemanden Witze reißen, der von Dämonen besessen ist«, beteuerte er. »Ich habe bisher nie darüber gesprochen, weil es mir Angst gemacht hat. Wenn ein Mädchen aus Kibungo etwas sieht, dann ist es nicht die selige Jungfrau Maria, sondern ein Dämon, der sie zum Narren hält.«
Im Prinzip hatte Damascene die Debatte damit beendet. Was konnte ich nach einer solchen Geschichte noch sagen?
Mama hatte die Küche aufgeräumt und war gerade in dem Moment in das Wohnzimmer gekommen, als Damascene seine Geschichte beendet hatte. Sie sah den ängstlichen Blick in den Augen meines kleinen Bruders Vianney und schloss ihn in ihre Arme.
»Leonard, warum lässt du die Kinder solche Gruselgeschichten erzählen?«, schalt sie meinen Vater. Dann wandte sie sich zu Damascene: »Und du hörst sofort mit diesem Gerede über Dämonen auf. Siehst du nicht, dass du Vianney Angst machst? Es wäre ein Wunder, wenn wir heute Nacht nicht alle Albträume bekämen. Genug Igitaramo für heute. Am besten sprecht ihr jetzt eure Nachtgebete und geht ins Bett.«
»Eure Mutter hat recht«, sagte Vater. »Wir sollten uns nicht allzu sehr in diese Sache hineinsteigern. Wenn Alphonsine weiterhin behauptet, Erscheinungen zu haben, wird die Kirche ohnehin ein Wort mitreden wollen, da bin ich mir sicher. Das ist eine ernste Angelegenheit, also lasst uns beten und Gott um seine Führung bitten.«
Wir knieten uns wie immer vor dem Schlafengehen gemeinsam im Wohnzimmer nieder und beteten. Ich war sicher, dass Maria Alphonsine erschienen war, und deswegen fügte ich im Stillen eine Sonderbitte hinzu: Danke, Muttergottes, dass Du meine Gebete erhört hast und nach Ruanda gekommen bist. Wenn ich Papa nicht dazu überreden kann, mich nach Kibeho zu bringen, um Dich zu sehen, wirst Du dann einen Weg finden, um nach Mataba zu kommen? Bitte mach, dass alle genauso davon überzeugt sind wie ich, dass Du wirklich hier bist. Ich liebe Dich und hoffe, dass wir uns bald sehen! Amen.
Kapitel 3
Maria wird akzeptiert
Die Muttergottes sollte meine Gebete schon bald erhören.
Es stellte sich heraus, dass wir nicht die einzige Familie waren, die während des Igitaramo über Alphonsines Erscheinungen diskutiert hatte. Nach wenigen Tagen war der Name Alphonsine Mumureke in unserem Dorf in aller Munde. Über Nacht war die Geschichte von ihren Erscheinungen vom winzigen Kibeho in die große ruandische Hauptstadt Kigali gelangt. Auf Radio Ruanda wurde über die Erscheinungen debattiert, und selbst unseren Nachbarländern Burundi, Tansania, Zaire (wie die Demokratische Republik Kongo damals noch hieß) und Uganda war die Nachricht eine Meldung wert. Die Bauern, die rund um Kibeho lebten, verließen ihre Felder und tummelten sich in der Nähe der Schule, die das Mädchen besuchte, um vielleicht einen Blick auf die Muttergottes zu erhaschen.
Die Nachricht von der Ankunft der Jungfrau Maria hatte sich so rasch im ganzen Land verbreitet, dass mir das allein schon wie ein Wunder vorkam. Ich hatte sie gebeten, dafür zu sorgen, dass die Ruander an ihre Erscheinung glaubten, und nun wusste bereits das ganze Land, dass sie gekommen war.
Doch mein Vater blieb skeptisch. »Genau das hat Pater Clement befürchtet«, sagte er, als ich ihn fragte, ob wir jetzt mit der Familie nach Kibeho fahren würden. »Die Menschen hier sind so arm, dass sie gierig jede Art von Wunder ergreifen, weil es ihnen Hoffnung gibt und ihr tägliches Elend lindert. Und doch ist es wahrscheinlich bloß ein Schwindel, wie wir gestern Abend gesagt haben, oder eine Halluzination. Oder Teufelswerk.«
»Aber wenn doch alle glauben, dass es wahr ist, Papa, warum können wir dann nicht einfach nach Kibeho fahren und uns selbst ein Bild machen?«
»Immaculée, nicht alle glauben, dass die Erscheinungen wahr sind. Clement hat mir erzählt, dass die Priester, Nonnen und Schülerinnen an ihrer Schule Alphonsine eine Lügnerin nennen und sie sehr schlecht behandeln. Sie könnte wegen so einer Sache sogar einen Schulverweis bekommen. Pater Clement sagt, dass sich die kirchlichen Behörden damit befassen, also wollen wir davon ausgehen, dass dieses Mädchen einem Trugbild oder einer Täuschung aufsitzt, solange wir nicht gehört haben, was die Kirche dazu sagt.«
Das ist genau dasselbe, was mit den Kindern in der Geschichte geschehen ist, die Miss Odette uns über Fatima und Lourdes vorgelesen hat, dachte ich. Ich wusste, dass es zwecklos war, weiter mit meinem Vater zu diskutieren – er war ein ebenso kluger wie starrköpfiger Mann, und die Überzeugungen einer Elfjährigen würden seine Meinung nicht ändern. Also ging ich in mein Zimmer und nahm meinen Rosenkranz, der in meiner Vorstellung so etwas wie eine Telefonleitung war, die mich mit Maria verband. Ich kniete mich vor ihrer Statue nieder und betete: Liebe Mutter, nächste Woche ist der Geburtstag Deines Sohnes. Bitte, mach Ruanda ein Weihnachtsgeschenk. Gib, dass alle glauben können, dass die Botschaften, die Du Alphonsine anvertraust, wahr sind. Amen.
Auch wenn das Geschenk, um das ich gebeten hatte, nicht zu Weihnachten kam, konnte man es doch als ein wirklich großartiges Geburtstagsgeschenk gelten lassen – Vater machte es mir am 12. Januar 1982, zwei Tage, bevor ich zwölf Jahre alt wurde! Er kam nach Hause, nahm mich in seine starken Arme und sagte: »Herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Ich glaube, die Muttergottes ist wirklich nach Ruanda gekommen!«
Ich kreischte in den höchsten Tönen und meine Mutter schüttelte belustigt den Kopf und murmelte: »Jetzt geht das schon wieder los.«
Pater Clement hatte gerade erfahren, dass eine zweite Schülerin an der Kibeho High School, die siebzehnjährige Anathalie Mukamazimpaka, behauptete, die Jungfrau Maria sei ihr im Schlafsaal erschienen. Anathalie war ein frommes und gläubiges Mädchen und Vater sagte: »Die Botschaften, die die beiden Mädchen empfangen haben wollen, sind ähnlich – sehr positiv und in Übereinstimmung mit dem, was die Bibel lehrt. Demnach will die Jungfrau Maria, dass wir einander gut behandeln, dass wir die Jungfrau Maria als unsere liebevolle Mutter betrachten und dass wir jeden Tag den Rosenkranz beten, um uns der Liebe ihres Sohnes näherzubringen. Ich gebe zu, dass dies nicht nach dämonischen Botschaften klingt.«
Ich flehte ihn an, mich zu meinem Geburtstag nach Kibeho zu fahren, doch er war noch immer dagegen. »Noch ist nichts sicher«, erklärte er. »Pater Clement hat mir gesagt, dass sich die Kirche an ein amtliches Verfahren hält, wenn sie solche Erscheinungen untersucht, also sollten wir warten, bis der Ortsbischof eine Entscheidung getroffen hat. Kibeho liegt im Erzbistum Butare, der Diözese von Bischof Jean-Baptiste Gahamanyi. Ich kenne Gahamanyi; er ist ein guter Christ, und er ist klug. Wenn er entscheidet, dass die Erscheinungen echt sind, dann fahren wir vielleicht nach Kibeho, falls die Straßen nicht allzu schlecht sind. Und wenn ich vielleicht sage, dann meine ich vielleicht!
Bete weiter den Rosenkranz und lies in der Bibel, Immaculée. Wenn Maria will,