Franz Taut

Ohne Panzer Ohne Straßen


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durch die er unbemerkt verschwinden konnte. Als er nach unschlüssigem Umherirren durch ein Labyrinth dunkler Gänge endlich den Wirtschaftshof erreichte, parkte neben dem Chefwagen eine schwarz lackierte, reich mit Chrom verzierte Generalslimousine mit dem schwarz-weiß-roten Dreiecksstander des Divisionsstabes.

      Otto Faltermann hielt für Hohberg die Wagentür.

      »Gratuliere, Herr Leutnant«, sagte er, sein breites Gesicht zu einem schlauen Grinsen verzogen.

      »Wieso?«, fragte Hohberg. »Haben Sie es denn gewusst?«

      »Na klar«, antwortete Otto und legte den Rückwärtsgang ein.

      Als der Kübelwagen gewendet hatte, sagte er mit einem Seitenblick auf die schwarze Limousine: »An so etwas werden die in Russland wenig Freude haben.«

      »Also doch«, warf Hohberg ein. »Was wissen Sie? Wann soll es losgehen?«

      »Geheime Kommandosache, Herr Leutnant. Aber so viel sage ich Ihnen: Sehen Sie zu, dass Sie das Leutnantslametta an die Klamotten bekommen, sonst ziehen Sie womöglich als Wachtmeister in die Schlacht.«

      Also heute, dachte Hohberg betroffen. Womöglich lag der Marschbefehl schon bei der Batterie? Deshalb die eilige Verabschiedung bei Oberst Randolph und deshalb der Besuch des Generals im Stabsquartier des Regiments! Letzte Besprechung vor dem Sturm. Kein Einkleidungsurlaub, mit dem man in Erwartung der Beförderung heimlich gerechnet hatte, kein Wiedersehen mit Ilse.

      Sie fuhren durch den Wald, durch dessen dichtes Laub- und Nadeldach helles Licht sickerte. Vor einer Querstraße, deren Trasse erst kürzlich von Baupionieren geschlagen worden war, stoppte ein Feldgendarm mit hochgehaltener Winkerkelle den Kübelwagen.

      Infanterie, eine lange Kolonne, gefolgt von den mit Pferden bespannten und mit Planen überdachten Wagen der Gefechtstrosse, überquerte die Kreuzung, die Soldaten mit leichtem Marschgepäck, den Stahlhelm am Koppel. Ahnten sie, wohin sie marschierten? Oder hielten sie auch diesen Ausmarsch, bei dem es vermutlich keine Rückkehr gab, für eine Übung, wie sie in letzter Zeit häufig abgehalten worden war?

      »Das nimmt kein Ende«, sagte Hohberg. Aber dann entstand doch eine Lücke, und der Feldgendarm mit dem Blechschild auf der Brust gab das Zeichen zur Weiterfahrt.

      Als sie das Lager der Batterie erreichten und nichts Ungewöhnliches zu erkennen war, meinte Otto Faltermann: »Man wird uns doch nicht vergessen haben?«

      »Keine Sorge«, versetzte Hohberg, »wir sind nur als motorisierter Verein schneller als die Fußmarschierer. Aber vielleicht ist alles nur blinder Alarm.«

      Derartiges hatte es schon öfter gegeben, damals, am Westwall, bevor es endgültig losgegangen war, und später, als es geheißen hatte, nun sei England an der Reihe. Die Invasion der britischen Insel hatte aber dann doch nicht stattgefunden. Möglicherweise wurde auch der Angriff gegen Russland, der noch nicht einmal befohlen war, in letzter Stunde abgeblasen.

      Vor dem schwarzen Offizierszelt meldete Hohberg sich bei Hauptmann Kern, dem Chef, der die Batterie schon im Polen- und im Westfeldzug geführt hatte.

      Der Hauptmann, Weltkriegsoffizier und erst im Sommer 1939 reaktiviert, sah den soeben beförderten Leutnant forschend an.

      »Was haben Sie, Hohberg? Gefällt es Ihnen nicht, die Schulterstücke zu tragen?«

      Hohberg schüttelte den Kopf.

      »Das ist es nicht, Herr Hauptmann.«

      »Also was dann? Heraus damit!«

      »Die Infanterie marschiert, Herr Hauptmann.«

      »Na und? Was soll das?«

      Hauptmann Kerns kantiges Gesicht rötete sich. Er war, wie er auch immer betonte, für absolute Klarheit. Undurchsichtiges behagte ihm nicht.

      »Ich fürchte, es wird jetzt doch gegen Russland gehen, Herr Hauptmann«, sagte Hohberg.

      Der Batteriechef blickte ihn mit starrer Miene an.

      »Haben Sie einen Grund für diese Annahme?«

      »Nicht direkt, Herr Hauptmann. Nur …«

      Hauptmann Kern hob die Hand. »Weiß Bescheid. Faltermann hat Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt! Woher der verflixte Schwarzseher nur immer seine Weisheiten bezieht?« In verändertem Ton setzte der Chef hinzu: »Lassen Sie sich jetzt vom Schneider die Spiegel und die Schulterstücke aufnähen. Leutnant Heise hat sie zur Verfügung gestellt. Zur Einkleidung schicken wir Sie, sobald die augenblickliche Urlaubssperre aufgehoben ist.«

      Im Zelt klingelte das Feldtelefon.

      »Ich komme!«, rief Hauptmann Kern und verschwand im Zelt.

      Solle er wirklich noch nichts wissen?, fragte sich Hohberg, während er sich zum Batterie-Schneider begab, der seine Werkstatt auf einem Lkw des Trosses eingerichtet hatte.

      Um drei Uhr nachmittags erschien Major Sandner, der Abteilungskommandeur, mit seinem Adjutanten. Die beiden betraten das Zelt des Batteriechefs. Wenig später fuhren sie wieder ab. Sogleich wurden Leutnant Heise und Leutnant Hohberg sowie die Führer des Nachrichtenzuges und der Munitionsstaffel und der Hauptwachtmeister zum Batteriechef gerufen.

      Hauptmann Kern stand vor seinem Zelt. Er hatte umgeschnallt und trug seine alte, verbeulte Feldmütze mit dem rissigen Lederschild. Seine hellen Augen schienen durch die Versammelten hindurchzublicken. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck harter Verschlossenheit.

      »Es ist soweit«, sagte er mit rauer Stimme. »In zwei Stunden melden Sie Marschbereitschaft. Um sechs Uhr rückt die Batterie in den uns zugewiesenen Bereitstellungsraum. Dort erhalten Sie weitere Weisungen. Ja, und noch etwas: Vor dem Abmarsch tritt die Batterie geschlossen an. Es handelt sich um die Bekanntgabe eines Führerbefehls, der mir soeben zugestellt worden ist. Danke.«

      Hauptmann Kern grüßte, drehte sich brüsk um, als wollte er sagen: Lasst mich jetzt allein! und ging zum Zelt.

      Alarm! Dieser Ruf schreckte die Batterie aus ihrer beschaulichen Nachmittagsruhe auf. Sofort setzte geschäftiges Treiben ein. Zelte wurden abgebrochen, die Ausrüstung verpackt und auf die Fahrzeuge verladen. Da und dort wurde ein Motor zur Probe angelassen.

      Hohberg, als Batterieoffizier eingeteilt, hatte nun seinen eigenen Pkw und somit einen Fahrer, der auch Ordonnanzdienste zu versehen hatte und jetzt sein Gepäck versorgte.

      Nachdem er sich vergewissert hatte, dass bei der Geschützstaffel alles klappte, schlenderte er über die Lichtung zum Waldrand. Es war ein sonniger Tag, hochsommerlich heiß. Die Waldwiese, durch die sich der Weg, über den die Fahrzeuge bald rollen sollten, als sandige Spur schlängelte, war in grelles Nachmittagslicht getaucht. Bienen summten, bunte Schmetterlinge gaukelten tänzerisch von Blume zu Blume.

      »Wer hätte das gedacht«, sagte unvermittelt jemand neben Hohberg.

      Es war Leutnant Heise, im Gegensatz zum Reservisten Hohberg aktiver Offizier. Er war sehr jung, Jahrgang 1919. Er war bei der HJ gewesen, aber er hatte, wie er offen zugab, nicht Hitlers »Mein Kampf« im Gepäck, sondern den »Kornett« von Rilke. Sein Vater war aktiver Oberst und stand als Kommandeur eines Infanterieregiments in Ostpreußen. Seine Frontbewährung hatte der junge Heise als Fähnrich im Westfeldzug erworben. Ganz zuletzt, vor Epinal, war er verwundet worden. Seit dem 1. September 1940 besaß er sein Leutnantspatent.

      »Das ist doch Wahnsinn«, begann er unvermittelt wieder, da Hohberg auf seine ersten Worte nicht geantwortet hatte.

      »Wieso?«, fragte Hohberg reserviert.

      »Wir haben mit der Sowjetunion einen Freundschaftspakt«, sagte Heise und fingerte nervös an einer Zigarette, als sei er sich nicht schlüssig, ob er sie anzünden sollte. »Bereitstellung – das bedeutet Angriff.«

      »Vielleicht ist es ja nur, um einem Angriff von der anderen Seite zuvorzukommen«, warf Hohberg ein, obgleich er von dieser Möglichkeit keineswegs überzeugt war. Erst vor wenigen Tagen war er mit dem Chef in die Nähe der Grenze gefahren. Nichts hatte auf der anderen Seite auf kriegerische Vorbereitungen hingedeutet: ein ausgeholzter Streifen