Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Box 5 – Arztroman


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hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Später! Nur jetzt keine Schwäche zeigen. Später hätte sie alle Zeit der Welt dafür, sich auszuruhen. Zwei volle Tage. Ein ganzes Wochenende. »Lange Zeit hatte ich gehofft, dass wir beide doch Freunde werden können. Jetzt nicht mehr.«

      Lammers lachte. Ein Geräusch wie klirrendes Eis in einem Glas.

      »Das beweist mal wieder, dass Sie viel zu emotional sind. Wer braucht denn schon Freunde?«

      Felicitas strich sich über den Arm, als wollte sie die Gänsehaut auf der Haut glätten.

      »Sie tun mir wirklich leid.« Das Bedauern in Ihrer Stimme war echt. »Diese Klinik hier ist nur erfolgreich, weil wir alle als Team zusammenarbeiten. Alle. Bis auf Sie.« Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Felicitas sah ihren Stellvertreter an. Sie hatte es geahnt: Seine Augen waren leer. Dort, wo andere Menschen ein Herz, eine Seele hatten, war bei ihm nur ein großes, schwarzes Loch. Wie diese Löcher im Weltraum, aus denen nichts entkommen konnte, wenn es einmal hineingeraten war. Dem nicht einmal Lichtstrahlen entweichen konnten. Es war frustrierend, ernüchternd. »Gute Nacht, Dr. Lammers.«

      Fee Norden drehte sich um und verließ das Büro. Ihre Schritte waren längst auf dem Flur verhallt, als Volker Lammers immer noch dasaß und auf den Fleck starrte, an dem sie gestanden hatte.

      *

      Einer der Rettungsassistenten klopfte vom Fahrerraum gegen die Trennscheibe und rief:

      »Wir sind da!«

      Da spürte Dr. Gruber auch schon, wie der Wagen über die Schwelle an der Auffahrt zur Notaufnahme rumpelte.

      »Das war mit Abstand meine kürzeste Fahrt im Rettungswagen«, sagte er zu seinem Patienten.

      Doch Tobias reagierte nicht. Mit weit geöffneten Augen, die Hände über der Brust gefaltet wie ein Toter, lag er festgeschnallt auf der Liege. Nur seine Brust, die sich hob und senkte, zeugte davon, dass er noch am Leben war. Die Atemmaske unterstützte ihn dabei, es auch zu bleiben. Genau wie die Infusion, die in den Zugang auf seinem Handrücken tropfte.

      Der Rettungsarzt Dr. Erwin Huber und sein Assistent stiegen aus. Sie öffneten die Türen. Metall klirrte auf Metall, als sie die Beine der Liege ausklappten. Benjamin wartete, bis Tobias unten angekommen war. Dann sprang er selbst hinunter.

      Der Patient wurde schon erwartet. Daniel Norden, Schwester Elena und Dr. Weigand standen im gleißenden Scheinwerferlicht vor der Ambulanz. Natascha Lichte war bei ihnen.

      »Tobias!« Ihr Schrei hallte von den Wänden des Innenhofs wider. Sie stürzte auf die Liege zu.

      Es kostete Matthias alle Überzeugungskraft, dass sie den Weg frei machte.

      »Herr Lichte, wie fühlen Sie sich?« Dr. Norden beugte sich über den Patienten.

      Tobias presste die Lippen aufeinander und schwieg.

      »Was haben Sie mit meinem Mann gemacht?«

      Diese Frage konnte nur einer beantworten.

      »Ich glaube, diesmal war es wirklich meine Schuld«, gestand Benjamin Gruber und wusste nicht, wohin er den Blick wenden sollte.

      Gab es nicht ein Loch, in das er sich verkriechen konnte?

      »Das erzählen Sie uns später!«, sprach der Klinikchef ein Machtwort. »Bringen Sie Herrn Lichte in Schockbox drei«, wies er einen Pfleger an, der herbeigeeilt war. »Sie erledigen die Formalitäten mit dem Kollegen Huber. Und danach sehen Sie bitte nach meiner Frau. Wie ich Fee kenne, sitzt sie immer noch am Schreibtisch.« Er nickte Dr. Gruber zu, ehe er dem Tross folgte, der sich auf den Weg gemacht hatte.

      Ein paar Minuten später schob er den Schallkopf über Tobias Lichtes Unterleib. Sein Blick konzentrierte sich auf den Monitor des Ultraschallgeräts. »Keine freie Flüssigkeit im Bauchraum.«

      Alle Anwesenden atmeten auf. Matthias Weigand grinste.

      »Ich will uns ja nicht loben. Aber die Naht ist nicht von schlechten Eltern.«

      Die entspannten Gesichter machten Natascha Mut.

      »Wie geht es Tobias?«, wagte sie eine Frage aus dem Hintergrund.

      Daniel Norden drehte sich zu ihr um.

      »Ihr Mann hat großes Glück gehabt. Dieser Ausflug so kurz nach den Eingriff hätte auch ganz anders ausgehen können.« Er machte eine einladende Handbewegung.

      Nataschas Augen schwammen in Tränen. Sie trat ans Bett und beugte sich über Tobias.

      »Was machst du denn für Sachen?«, schniefte sie.

      Er blinzelte sie an. Öffnete mühsam die Lippen.

      »Ich … ich … keine Operation mehr«, krächzte er.

      Natascha lachte. Es klang nicht froh.

      »Du musst doch gar nicht mehr operiert werden«, raunte sie ihm zu, laut genug, dass die Klinikmitarbeiter sie hörten.

      Daniel, Elena und Matthias tauschten vielsagende Blicke. Kurz darauf fühlte Natascha zwei Hände an ihren Schultern.

      »Das ist leider so nicht ganz richtig.« Als Klinikchef fühlte sich Daniel Norden dazu verpflichtet, die Wahrheit zu überbringen. Gewöhnen würde er sich aber nie daran. Nicht an den Schock in den Augen der Patienten und ihrer Angehörigen. Nicht an den Unglauben. Aber auch nicht an die Hoffnung, die es manchmal einfach nicht gab.

      Natascha Lichte neigte den Kopf und sah ihn an.

      »Wie meinen Sie das?«

      »Bevor wir den Blinddarm entfernen konnten, ist das Aneurysma eingerissen. Danach blieb keine Zeit mehr …«

      »Das ist nicht wahr!« Nataschas Stimme war schrill wie eine Alarmglocke und hatte dieselbe Wirkung. Sie packte Daniel am Revers. Trommelte mit den Fäusten auf seine Brust ein. »Sagen Sie, dass das nicht wahr ist! Sagen Sie es! Sofort!«

      Daniel wusste wirklich, warum er diese Situationen hasste. Er griff nach ihren Handgelenken und hielt sie fest. Erstaunlich viel Kraft, die er dazu aufwenden musste.

      »Es tut mir leid, Frau Lichte.«

      Nataschas Kinn fiel auf ihre Brust. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf. Dr. Norden bedeutete seinen Kollegen, sich um den Patienten zu kümmern. Ein Blick genügte, und Schwester Elena und Dr. Weigand wussten, was sie zu tun hatten. Lautlos beendeten sie die Untersuchung und brachten Tobias Lichte schließlich zurück auf die Intensivstation. Daniel dagegen blieb so lange bei Natascha, bis sie sich beruhigt hatte. Endlich wurde ihr Schluchzen leiser, versiegten die Tränen. Als sie den Kopf hob, waren ihre Augen rot, die zarte Haut darum geschwollen. Aber zumindest glänzten sie nicht mehr. Doch Daniel Nordens Erleichterung sollte nicht lange währen.

      »Ich lasse nicht zu, dass Tobias noch einmal operiert wird«, sagte sie mit einer Stimme, die keine ­Fragen offenließ.

      *

      Fee Norden drückte die Klinke herunter. Verschlossen.

      »Seltsam.« Sie sah auf die Uhr. Gut, es war schon nach sieben. Aber hätte Daniel die Klinik verlassen, ohne sie mitzunehmen? »Vielleicht noch ein Notfall.« Sie beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und machte sich auf den Weg Richtung Ambulanz. Um diese Uhrzeit wurde es ruhig auf den Fluren. Wechselte die Beleuchtung in den Nachtmodus. Ein angenehmes, indirektes Licht, das die farbenfrohen Bilder an den Wänden erst richtig zur Geltung brachte. Doch Felicitas hatte keine Augen für die Schönheit. Stimmen, das leise Quietschen von Rädern, ließen sie hellhörig werden. Sie täuschte sich nicht. Zwei Kollegen schoben ein Bett um die Ecke. Sie erkannte die beiden sofort.

      »Elena, Matthias, wisst ihr zufällig, wo Daniel ist?«

      »Der steckt bis zum Hals in der Notaufnahme«, unkte Matthias Weigand.

      Elena war nicht zum Scherzen zumute. Sie musterte ihre Freundin aus schmalen Augen.

      »Kannst du mir mal verraten, was du noch hier machst? Schon vergessen, dass du erst kürzlich ­einen Herzinfarkt