Günter Dönges

Butler Parker Staffel 12 – Kriminalroman


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oft ruppige Offenheit paßte ausgezeichnet zu ihrem Aussehen.

      Lady Agatha erinnerte an die Walküre einer Wagneroper. Sie war eine stattliche Erscheinung und bewegte sich auf großen Füßen, die meist in bequemen und ausgetretenen Wanderschuhen steckten. Mit Vorliebe trug sie Chanel-Kostüme, die durchweg recht ausgebeult wirkten.

      Ihr weißes Haar war meist in neckische Locken gelegt, die keineswegs zu den kühl dreinschauenden Augen paßten. Unter einer Art Adlernase befand sich ein auffallend großer Mund, der gefährlich schmal werden konnte.

      Die Dame, die auf die sechzig Jahre zuging, war noch ungewöhnlich rüstig und unternehmungslustig. Und kriegerisch dazu war sie ebenfalls. Man konnte sie leicht reizen und in Schwung bringen. War das mal geschehen, ließ sie sich kaum noch aufhalten oder gar bremsen. Der kleine, perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk konnte dann zu einer beeindruckenden Waffe werden.

      Lady Agatha kämpfte vor der Schreibmaschine mit ihrer Unlust. Sie hatte die Suche nach dem ersten Satz ihres Romans bereits aufgegeben und sehnte sich nach Abwechslung. Ihr stand im Moment wieder mal der Sinn nach einem netten, komplizierten Kriminalfall. Sie war nämlich Detektiv aus Leidenschaft und auf diesem Gebiet recht erfolgreich. Was wohl mit einem Mann zusammenhing, der sich Josuah Parker nannte.

      Der Butler erschien wie auf ein Stichwort hin im Arbeitszimmer der Lady, nachdem er vorher diskret angeklopft hatte.

      »Du lieber Himmel, Mister Parker, müssen Sie denn immer stören?« fragte Agatha Simpson gereizt. »Gerade wollte ich den ersten Satz schreiben.«

      »Mylady mögen die kleine Störung gütigst entschuldigen«, schickte Parker gemessen voraus, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Sir Edwards vom Geheimdienst Ihrer Majestät bittet um eine Unterredung.«

      »Aber doch nicht jetzt«, erregte sich Parkers Herrin. »Ich stecke mitten in meinem ersten Kapitel.«

      »Es scheint sich offensichtlich um einen Fall zu handeln, der Myladys Hilfe bedarf.«

      »Papperlapapp, Mr. Parker, mein Roman ist wichtiger.«

      »Sehr wohl, Mylady. Sir Edwards sollte sich demnach allein mit den Seejungfrauen befassen.«

      »Natürlich«, grollte Agatha Simpson, »machen Sie ihm klar, daß ich keine weiteren Fälle mehr übernehme. Mein Roman ist wichtiger als der interessanteste Kriminalfall.«

      »Wie Mylady befehlen.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an und wollte das Zimmer verlassen. In diesem Augenblick erst zündete es in der kriegerischen Dame.

      »Seejungfrauen?« fragte sie und stieg aus ihrem Arbeitssessel. In ihren Augen glitzerte es.

      »Besagte Fabelwesen, Mylady, scheinen sich an Schottlands Ostküste ein Stelldichein zu geben, wie Sir Edward meint.«

      »Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Agatha Simpson sah ihren Butler strafend an. »Seejungfrauen ändern natürlich die allgemeine Sachlage.«

      »Dennoch scheint es sich nur um einen Kriminalfall zu handeln, Mylady.«

      »Ausnahmen bestätigen die Regel«, schickte die ältere Dame voraus, »ich trenne mich zwar nur sehr ungern von meinem Roman. Aber wenn Elizabeth meine Hilfe braucht, kann ich sie schlecht verweigern.«

      »Ihre Majestät werden das zu schätzen wissen«, antwortete der Butler. Er hatte den Vornamen sofort richtig interpretiert. Lady Simpson war selbstverständlich auch mit dem britischen Königshaus verschwägert.

      »Ich weiß doch, wie schlecht ihr Geheimdienst ist«, fügte die Detektivin grimmig hinzu. Die Dame machte plötzlich einen sehr animierten Eindruck. Sie hatte sich innerlich bereits fest entschlossen, den geplanten Bestseller noch etwas hinauszuschieben. Man merkte es daran, daß sie die Abdeckhaube über die Maschine spannte, nachdrücklich und erleichtert.

      Damit war für Parker bereits alles gelaufen. Die Seejungfrauen in Schottland konnten sich auf etwas gefaßt machen. Lady Simpson nahte!

      *

      »Ich hab’ doch Augen im Kopf«, sagte Buddy Frazer gereizt. »Ich hab’ sie ganz deutlich gesehen. Die paddelten in der Brandung wie Robben.«

      »Wieviel hattest du denn vorher inhaliert?« erkundigte sich der Wirt der Hafenkneipe. Herb Malone war ein untersetzter, stämmiger Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Spottlust war in seinen Augen. Er zwinkerte jetzt den übrigen Männern zu, die am Tresen standen und ihr Bier tranken. Es ging auf die nächtliche Sperrstunde zu, und die Männer am Tresen beeilten sich, in möglichst kurzer Zeit noch möglichst viel Alkohol zu vertilgen. Malone schloß seit einiger Zeit überpünktlich. In jüngster Vergangenheit hatte er bereits einige Male Ärger mit der Polizei gehabt. Er wollte seine Lizenz nicht aufs Spiel setzen.

      Sein Umsatz im Pub steigerte sich von Woche zu Woche. Trinkfeste Männer waren hierher nach Panrose gekommen, die ihr Geld springen ließen. Seitdem in der Nordsee Öl und Erdgas gefunden wurden, erlebte die nordöstliche Region Schottlands einen geradezu erregenden Aufschwung. Draußen auf dem Meer standen die Bohrinseln, die mit Material versorgt werden mußten. Pipelines wurden unter Wasser verlegt, Öltanks und Raffinerien schossen aus dem Boden.

      Das kleine Fischernest Panrose war bis vor wenigen Monaten noch völlig unbekannt gewesen. Wenn man von Aberdeen hinauf nach Fraserburgh fuhr, hatte man hier kaum angehalten. Jetzt aber war das anders. Hinter der Steilküste wurde eine Raffinerie gebaut. Es herrschte eine wahre Goldgräberatmosphäre. Barackenstädte waren aus dem Boden gestampft worden, die die Raffineriearbeiter aufnahmen. Viel Abwechslung gab es in dieser kargen Gegend nicht, und man war froh, sich in einem Pub treffen zu können.

      Buddy Frazer merkte natürlich, daß man ihm nicht glaubte und ihn sogar auf den Arm nehmen wollte. Der kleine zähe Mann mit dem vom Wetter gegerbten Gesicht winkte ab. Es war zu erkennen, daß er über dieses Thema nicht weiter sprechen wollte. Frazer war Fischer geblieben und tuckerte mit seinem kleinen Kutter Tag für Tag hinaus auf die See. Er hatte keine Lust, seine Freiheit aufzugeben, auch wenn er weniger verdiente.

      »Du hast also auch Seejungfrauen gesehen«, wiederholte Malone und sah Buddy gespielt ernst an.

      »Nee, war ein Irrtum«, antwortete Buddy Frazer.

      »Nun hab’ dich nicht, so«, meinte Herb Malone, »aber du mußt doch zugeben, daß das ziemlich unwahrscheinlich klingt. So was gibt’s doch nur in Märchen.«

      »Ich sag’ doch schon, daß ich mich getäuscht habe.« Frazer war nicht bereit, sich über dieses Thema noch mal zu verbreiten. Er trank sein Bier aus und verließ die Kneipe. Er war verärgert. Warum hatte Malone ihn durch den Kakao ziehen wollen? Herb wußte doch verdammt genau, was mit Tom Haley und Peter Ward passiert war. Die beiden armen Teufel hatte man doch erst vor knapp einer Woche aus der Brandung gefischt. Gut hatten sie wirklich nicht mehr ausgesehen.

      Und warum waren sie raus zum Nußknacker gegangen?

      Die Seejungfrauen hatten sie sich ansehen wollen, davon sprachen hier alle Fischer. Es gab sie, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Und Buddy Frazer hatte sie schließlich auch gesehen. Das war in der vergangenen Nacht gewesen, als er mit seinem Kutter zurück nach Panrose geschippert war. In der Brandung waren zwei Seejungfrauen gewesen, wie sie in alten Märchenbüchern abgebildet sind …

      Buddy Frazer hatte an diesem Abend leider eine Menge getrunken. Die Sticheleien ärgerten ihn maßlos. Er ließ sich nicht gern für einen abergläubischen Trottel halten. Er nahm sich vor, sofort zum Nußknacker zu fahren. Vielleicht hatte er Glück und konnte die beiden Seejungfrauen noch mal sehen. Und vielleicht klappte es auch, eine davon zu erwischen.

      Würden die Burschen in Malones Kneipe Augen machen, wenn er mit einer Seejungfrau anrauschte!

      Buddy Frazer machte sich sofort auf den Weg – und ging seinem Tod entgegen …

      *

      »Mylady hätten sich vielleicht nicht bemühen sollen«, stellte Josuah Parker fest.

      »Hören Sie endlich auf, mich wie eine alte Frau zu behandeln«, raunzte Agatha