»Wie sieht’s mit der kommenden Nacht aus?« erkundigte sie sich bei Norman Carty. »Kann ich das Zimmer noch mal benutzen?«
»Das stellt sich erst gegen Mittag heraus«, schwindelte der Hotelbesitzer, »aber bis dahin können Sie Ihr Gepäck dort lassen.«
»Was gibt es denn hier so für Abwechslungen?« wollte Jane Wells als nächstes wissen.
»Wonach suchen Sie denn?« Er sah sie schnell und abschätzend an und überlegte, ob er bereits zur Sache kommen durfte.
»Nach einem interessanten Job«, bekannte sie überraschend offen.
»Sie arbeiten doch für eine Zeitung«, meinte Carty.
»Seh’ ich so aus?« Sie sah ihn ein wenig kokett an.
»Keine Ahnung, ob Journalistinnen anders aussehen müssen«, sagte Carty.
»Ich bin keine Journalistin«, wiederholte sie noch mal. »Ich habe Ihnen was vorgeschwindelt.«
»Ich weiß.« Er hatte sich entschlossen, seinerseits eine Karte auf den Tisch zu legen.
»Sie wissen?« Jane Wells wunderte sich.
»Ich hab’ in London ’nen Freund und den hab’ ich angerufen«, erklärte Carty ausweichend.
»Ziehen Sie immer Erkundigungen über Ihre Gäste ein?«
»Nur in ganz besonderen Fällen.«
»Und solch einer bin ich?«
»Sie sehen verdammt gut aus, Miß Wells. Was meinen Sie dazu, wenn wir uns in meinem Büro unterhalten?«
Jane Wells sah den Hotelbesitzer kurz und prüfend an. Dann nickte sie und stand auf. Wenige Minuten später saßen sie sich in Cartys Büro gegenüber. Sie sah ihn abwartend an.
»Was Sie bisher getan haben, interessiert mich kaum«, schickte er voraus.
»Ich war Bardame in einem Privatclub«, antwortete sie sofort. »Offenheit gegen Offenheit! Der Laden heißt Club 88 und gehört einem Micha Lonski. Die Telefonnummer finden Sie im Verzeichnis.«
»Sie haben gekündigt?«
»Er war schneller und feuerte mich.«
»Darf man den Grund erfahren?« Norman Carty wußte längst, daß er sich nicht getäuscht hatte. Sein Blick hatte ihn nicht getrogen. Sie war genau das, was er brauchte.
»Er wollte etwas, das ich nicht wollte«, erklärte sie. »Reicht das?«
»Schon gut, schon gut.« Er hob abwehrend die Hände. »Ich mache Ihnen ein Angebot, Miß Wells.«
»Sagen Sie Jane zu mir!«
»In Ordnung, Jane. Also, Sie können die Bar hier im Hotel übernehmen. Ich bin sicher, daß dann mein Umsatz steigt.«
»An dem ich beteiligt sein werde, nicht wahr?«
»Darüber läßt sich reden. Sie bekommen ein anständiges Fixum und eine Umsatzbeteiligung. Wohnen werden Sie hier im Hotel. Nach der Polizeistunde leiten Sie den Privatclub, den ich heute eröffnen werde.«
»Sie sind ganz schön schnell.«
»Das muß man sein, wenn man hier in Panrose absahnen will.«
»Sie stammen nicht von hier?«
»Das Hotel habe ich gepachtet, als der Ölboom an der Küste begann. Bisher habe ich das nicht bereut. Sie sind also einverstanden?«
»Grundsätzlich ja, Mr. Wells.«
»Sie sehen Schwierigkeiten?«
»Sie kaufen meine Arbeitskraft, nicht mich!«
»In Ordnung, ich bin immer für Offenheit!«
»Wie setzt sich Ihr Publikum zusammen?« Jane war schon ganz bei der Sache.
»An ’nem normalen Kneipenbetrieb bin ich nicht interessiert. Hier verkehren Burschen, die dicke Brieftaschen haben. Und die sind nach der Sperrstunde wahrscheinlich noch dicker. Haben Sie Garderobe?«
»Die hat mir der Club gestellt.«
»Schön, dann komme auch ich dafür auf. Ich glaube, ich habe da noch ein paar Abendkleider.«
»Und woher stammen die, Mr. Carty?« Sie sah ihn lächelnd und wissend an.
»Von meiner Freundin, die vor ein paar Wochen verduftet ist. Sie sollte hier auch einen Privatclub aufziehen, doch dann bekam sie ’nen besseren Job in Ellon. Ich hab’ sie nicht unnötig aufgehalten.«
»Klingt fair«, meinte Jane Wells, »ich glaube, daß wir uns vertragen werden.«
»Steht Ihr Wagen wirklich ein paar Meilen von Panrose auf der Straße?«
»Ich bin per Anhalter gekommen«, antwortete die Tizianrote lächelnd. »Ich sag’s Ihnen lieber, bevor Sie sich unnötig erkundigen.«
»Dann wäre ja alles geregelt. Kommen Sie mit rauf in meine Wohnung, ich werde Ihnen die Kleidung zeigen!«
Sie ging wie selbstverständlich mit. Norman Carty freute sich schon jetzt auf die Modenschau, die sie notgedrungen vor seinen prüfenden Augen veranstalten mußte. Er wollte dabei voll auf seine Kosten kommen …
*
»Nun setzen Sie sich endlich«, fauchte Agatha Simpson ihren Butler gereizt an. »Ich habe keine Lust, über die Schulter mit Ihnen zu sprechen.«
Die streitbare Dame hatte die kleine Hotelterrasse betreten und wartete auf das Frühstück. Von dieser Terrasse aus hatte man einen wundervollen Blick auf den kleinen Fischerhafen, der allerdings keine friedliche Idylle mehr bot wie noch vor ein paar Monaten. In dem Naturhafen drängten sich die Zubringerboote für die Bohrinseln draußen auf See. Die Hektik dort unkten zeigte deutlich, wie sehr dieser Landstrich sich verändert hatte.
Neben der alten kleinen Fischfabrik stapelten sich die Materialien für eine Unterwasser-Pipeline. Kräne verluden die Stahlrohre auf Trawler und beherrschten das Bild. Die Fischkutter gingen in dem herrschenden Gewimmel fast unter.
Parker hatte sich, wie es ihm als Butler zustand, seitlich hinter seiner Herrin aufgebaut. Von dem nächtlichen Abenteuer war ihm nichts mehr anzumerken. Er trug seinen schwarzen Zweireiher, die diskret gestreifte schwarze Hose, den Eckkragen und den dazu passenden schwarzen Binder. Er war ein Butler, wie ihn ein Gesellschaftsfilm bester englischer Tradition nicht typischer hätte vorstellen können.
Nachdem Lady Simpson ihrem Unmut Ausdruck verliehen hatte, baute Parker sich vor dem Tisch auf und sah höflich auf seine Herrin hinunter, die ebenfalls frisch und unternehmungslustig wirkte. Sie trug ihr übliches ausgebeultes Chanel-Kostüm und lehnte sich erwartungsvoll zurück, als das Frühstück gebracht wurde. Die Sechzigjährige sah wohlgefällig auf die Eier mit Speck, auf die beiden gegrillten Würstchen, auf die Toastscheiben und vor allen Dingen auf den doppelten Cognac, mit dem sie ihren Kreislauf in Schwung zu bringen gedachte.
»Setzen Sie sich endlich«, sagte sie, »und kommen Sie zur Sache!«
»Ihrer Aufforderung, Mylady, werde ich nur unter Protest nachkommen«, schickte der Butler voraus.
»Ich nehme Ihren Protest zur Kenntnis. Aber setzen Sie sich, sonst stehe ich auf.«
Steif und ungemein korrekt nahm Josuah Parker auf der vorderen Stuhlkante Platz und schaute dabei zur Straße hinüber. Ihm war die Ankunft eines kleinen Lieferwagens nicht entgangen! Dieses Fahrzeug mit geschlossenen Kastenaufbau parkte genau gegenüber der Terrasse. Die Entfernung zum Wagen betrug etwa dreißig Meter.
Mylady und ihr Butler wohnten im »Einhorn«, einem kleinen Strandhotel. Sie waren erst vor knapp einer Stunde hier in Panrose angekommen. Den Rest der vergangenen Nacht hatten sie in Peterhead verbracht und auch von dort aus die Polizei verständigt. Mylady und ihr Butler wollten ihre Anonymität so lange wie möglich auch den Behörden gegenüber wahren. Agatha Simpson kostete von ihrem Kreislaufbeschleuniger