Sascha Feuchert

Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL


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Pflege heim nach Wien geschickt.

      Seit meinem letzten Aufenthalt: 15 Monate war Veit nicht mehr zu Hause und die Kriegserfahrung hat ihn weit von seinen Konflikte mit Eltern Eltern entfernt. Vor allem das Gerede seines Vaters, eines überzeugten Nationalsozialisten und ›alten Kämpfers‹ der Partei, macht ihn wütend. Zum Symbol für seine eigene Veränderung werden ihm die vielen Fotos, die in der elterlichen Wohnung von ihm hängen: »Die Bilder hatten am Familienleben teilgenommen, ich am Krieg.« (S. 24) In seiner Heimat kommt er sich bald vor »wie ein lästiger Fremder« (S. 25), ihm scheint, dass er »den Irrsinn der Front mit dem Irrsinn der Familie vertauscht« (S. 29) habe. Veit Kolbe gerät über diese Konflikte in eine Krise, liegt »auf dem Bett ohne Antrieb, ein abgenagtes Stück Herz« (S. 23). Er beschließt, seinen Onkel Johann, der Kommandant eines Gendarmerie-Postens am Mondsee ist, darum zu bitten, ihm ein Zimmer zu besorgen, damit er den Rest seines Genesungsurlaubs in Ruhe verbringen kann. Dieser erledigt die Anfrage prompt – und gegen den Willen der Eltern macht sich Veit auf.

      Eine halbe Fahrstunde von Salzburg: Veit bezieht ein kaltes, karg eingerichtetes Unterkunft in Mondsee Zimmer in einem Bauernhaus, dessen Bett einem »hin- und herschaukelnden Gerüst« (S. 34) gleicht, »das obendrein unangenehm roch«. Da Veit »reichlich mit Geld versehen« (S. 44) ist, investiert er sogleich in eine erträglichere Ausstattung. Er beschreibt ausführlich seine neue Umgebung, die ihm durchaus gefällt, und auch seine Nachbarin, die neben ihm im Bauernhaus ein Zimmer bezogen hat: Es ist eine junge Frau aus Darmstadt, die mit einem Soldaten aus der Nähe verheiratet ist und ein kleines Kind dabeihat. Von seiner Vermieterin, der schroffen und tratschenden Quartierfrau, erfährt der junge Soldat ungewollt von den gesundheitlichen Problemen der Darmstädterin. Auch einen Antrittsbesuch beim Onkel absolviert der knapp 24 Jahre alte Rekonvaleszent. Zufällig begegnet er auf dem Rückweg einer großen Gruppe landverschickter Mädchen, die aus demselben Wiener Gemeindebezirk stammen wie er. Sie werden in einem Ortsteil mit dem exotischen Namen Schwarzindien untergebracht (S. 48).

      In Mondsee beginnt sich Veits Verhältnis zum Krieg zu verändern: Zum einen ist er durch den Rückzug in die Provinz nur noch in einer Beobachterposition, doch zum anderen erleidet Veit, der schon daran gewöhnt war, dass sein »Körper von einer Sekunde auf die andere in einen akuten Alarmzustand wechselte« (S. 34), eine erste PanikattackePanikattacke als Ausdruck seines Kriegstraumas (S. 39).

      Während der neue Ofen: Veit beginnt sich in seinem neuen Zuhause einzurichten, er legt an Gewicht zu, seine Muskeln entspannen sich. Mit dem Onkel kommt er sich offenbar näher (S. 51), sein Verwandter vertraut ihm auch an, warum er sich von seiner Ehefrau, die er »dumm« (S. 52) und »egoistisch« nennt, getrennt habe.

      Veit trifft zusammen mit dem Onkel die Lehrerin der landverschickten Wiener Mädchen wieder und spricht sie mutig an. Margarete und Margot Margarete Bildstein, so ihr Name, lässt Veit aber abblitzen. Zu ihrer Distanz trägt sicher auch bei, dass Veit erstaunt wirkt und einen Moment zu lange zögert, als sie ihm erzählt, sie wohne in Wien im Heimhof (S. 54).4

      Mit seiner Zimmernachbarin, der Darmstädterin, beginnt er indes zarte Bande zu knüpfen: Sie enthüllt ihm, dass er offenbar »Selbstgespräche führ[e], [s]ein Lieblingssatz sei ›Das werden wir noch sehen!‹« (S. 59). Er wiederum hört durch die dünnen Wände, dass sie in ihrem Zimmer immer wieder weint. Das allerdings sagt er ihr nicht – aber er versucht ihr zu helfen, aus dem Weinen herauszufinden, indem er »mit Gepolter einen Stiefel zu Boden fallen [ließ], damit sie erschrak« (S. 59).

      Nach einem zweitägigen kurzen Antäuschen: Veit lernt seine Quartierfrau immer besser kennen – und fürchten. Die Vermieterin ist eine aufbrausende Parteianhängerin, die im ganzen Dorf verschrien zu sein scheint (S. 60).

      Veit bricht erneut nach Schwarzindien auf, wo er der Lehrerin wiederbegegnet. Doch es gelingt ihm »[n]icht für eine Sekunde […], den Abstand zwischen der Lehrerin und [ihm] zu überbrücken« (S. 63). Veit empfindet daraufhin nur noch »Scham« (S. 64), wenn er an Grete Bildstein denkt.

      In Schwarzindien trifft der Ich-Erzähler auch eines der landverschickten Mädchen, das Eindruck auf ihn macht: Nanni und der Brasilianer Annemarie »Nanni« (S. 64) Schaller offenbart Veit, dass sie an Ostern mit ihrem Cousin Kurt die Drachenwand besteigen wolle.

      Erneut wird Kolbe in seinem Zimmer von einer Panikattacke überfallen (S. 65). Da ihn die grausamen Bilder in seinem Kopf nicht schlafen lassen, folgt er den Tönen einer für ihn rätselhaften Musik: Sie führen ihn in die gegenüberliegende Gärtnerei, wo er deren Betreiber antrifft, den »Brasilianer« (S. 68). Er ist der Bruder der Quartierfrau und doch ganz anders als seine Schwester: Wegen »einer unüberlegten Bemerkung über den F.« (S. 69) hat er »die Ehrenrechte eines Deutschen« verloren. Seinen Spitznamen verdankt der Gärtner dem Umstand, dass er eine Zeitlang in dem südamerikanischen Land gelebt hat, in das er sich noch immer zurücksehnt.

      In der Früh ertrug ich: Für Veit entwickeln sich in Mondsee nach und nach neue Neue Routinen Routinen: Nachts sitzt er mit dem Brasilianer zusammen und hilft ihm beim Beheizen des Gewächshauses (S. 72 f., 76), die Darmstädterin kocht für ihn mit und bietet ihm sogar an, seine Wäsche zu übernehmen (S. 74 f.), Veit wiederum hilft auch dem Onkel (S. 73). Die Quartierfrau langweilt ihn mit Dorftratsch (S. 72) oder giftet ihn an (S. 80). Unangenehm bleibt auch die Beziehung zur Lehrerin Bildstein, die Kolbe allerdings versucht kühl zu analysieren (S. 80). Dennoch erfährt er von der Lehrerin Vertrauliches über deren Schülerinnen: Eine von ihnen, Nanni, habe mit ihrem Cousin einen »nicht sehr schönen Briefkontakt« und habe sich von ihm »ausgreifen lassen« (S. 79).

      Am 26. Februar feiert Veit Kolbe seinen vierundzwanzigsten Geburtstag: Er verbringt ihn »still und ruhig« (S. 82).

      Am Freitag wurden in Darmstadt: Der Roman wechselt erstmals seinen Erzähler, und dem Leser werden nun aneinandergereihte Briefe der Mutter der Erzählerwechsel: Die Mutter der Darmstädterin Darmstädterin präsentiert, deren Name Margot ist (S. 85) und die noch eine 16-jährige Schwester hat, Bettine, die als Schaffnerin nach Berlin dienstverpflichtet wurde (S. 86). Der Vater der beiden ist in Metz stationiert (S. 85) und wird von der Mutter als cholerisch (S. 86) charakterisiert, auch scheint er öfter zu jammern (S. 91). Die Briefeschreiberin berichtet ausführlich, wie es ist, in einer deutschen Stadt zu leben, die nahezu täglich Luftangriffen ausgesetzt ist. Ihre Nerven liegen deshalb blank (S. 93), auch wenn irgendwie der Alltag weitergeht (S. 87). Ihre größte Sorge aber gilt ihren Töchtern, die offenbar nicht immer auf das hören, was die Mutter ihnen sagt. Sie fürchtet vor allem um Bettine, bittet Margot um Hilfe, der Jüngeren zu vermitteln, sie solle »sich nicht mit Männern einlassen, weil sie sich ihr ganzes Leben versauen kann« (S. 89). Diese Warnung nutzt sie, um auch Margot mitzuteilen, dass es von ihr »keine gute Entscheidung [war], einen Fremden zu heiraten mitten im Krieg und dann gleich ein Kind oder umgekehrt« (S. 89 f.).

      Susi hat mich bei der Straßenbahn: Erneut wechselt der Erzähler – jetzt sind es einige Briefe von Nannis Cousin Erzählerwechsel: Kurt Ritler Kurt, die dem Leser eine neue Sicht bieten. Kurt berichtet darin Nanni von seinem Leben in Wien, seiner Liebe zu ihr und den Problemen, die entstehen, als ihre Liebesbeziehung aufgedeckt wird. Dabei erweist sich der 16-jährige Kurt als eifersüchtig (S. 97 f.), aber auch als überaus einfühlsam. So berichtet er seiner 13-jährigen Cousine, dass ihre Mutter sehr traurig über die an sie gerichteten Briefe sei und fordert Nanni auf, »in Zukunft immer [zu] schreiben, dass es [ihr] gutgeht und dass alles in Ordnung ist« (S. 99). Ihm könne sie die Wahrheit sagen, ihre Mutter aber, die eine schwere Arbeit zu verrichten habe (sie nietet »Spatentaschen« für Soldaten, S. 99), solle sie schonen. Kurt plant, Nanni zusammen mit seinem Freund Ferdl an Ostern zu besuchen. Zunächst scheint das auch von seinen Eltern erlaubt zu werden, doch als herauskommt, wie sehr Kurt in seine Cousine verliebt ist, wollen die Erwachsenen diese Beziehung unbedingt unterbinden. Aufgeflogen sind die beiden, weil Nannis Lehrerin Kurts Briefe liest und dessen Eltern informiert hat. Besonders Kurts Vater reagiert deutlich. Als Kurt ihm freche Widerworte gibt, bekommt er Ohrfeigen, die »so hart [waren], dass er ein Jahr Gefängnis dafür erhalten sollte« (S. 110). Dennoch will Kurt sich nicht kleinkriegen lassen und plant, auch ohne Erlaubnis an den Mondsee zu fahren.

      Wie’s mir geht?: