Sascha Feuchert

Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL


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(S. 195). Vielmehr habe sie mit der recht überstürzten Hochzeit ihrem Elternhaus entkommen wollen, vor allem ihrem Vater, der sie offenbar regelmäßig geschlagen hat (S. 194). Sie interessiert sich sehr für Veit, will auch über dessen Kriegserlebnisse viel wissen. Und er erzählt ihr, »dass [er] alles gesehen hatte, was niemand sehen will« (S. 199).

      Da ich keine Beziehungserfahrung: Schon nach kurzer Zeit erscheint Veit die Beziehung zu Margot, die er nun nicht mehr »die Darmstädterin« nennt, als gefestigt (S. 205). Auch sexuell klappt es zwischen beiden, was den unerfahrenen Veit ganz offenbar freut und ihn von einem »Neuanfang« (S. 203) träumen lässt. Doch das Glück der beiden ist natürlich bedroht: Zum einen ist Margot verheiratet, zum anderen muss Veit schon bald zurück an die Front. Die bevorstehende Nachmusterung löst bei ihm neue Angstzustände aus, bei denen er erneut scheußliche Kriegserlebnisse vor Augen hat. Die Beziehung zwischen den beiden bleibt auch in Mondsee nicht unbemerkt – und vor allem nicht unkommentiert: Veit weiß, dass es im Dorf »jetzt hieß, Margot sei eine, die mit jedem ins Bett geht« (S. 213).

      Veit und Margot treffen beim Reichssportwettkampf der landverschickten Wiener Mädchen erstmals auch den Ehemann der Quartierfrau, der als Der SS-Mann Dohm SS-Mann eine Rede vor den Sportlerinnen hält. Nur kurz darauf lernt Kolbe ihn dann richtig kennen: Ohne jede Vorwarnung nämlich erschießt er den nach den Schlägen des Polizisten gelähmten Hund seines Schwagers, des Brasilianers. Veit ist darüber völlig empört und droht dem SS-Mann, ihn anzuzeigen. Doch der weist ihn kühl in die Schranken und Veit knickt ein (S. 215).

      In der Früh packte ich: Veit muss den schweren Weg nach Wien zur Nachuntersuchung antreten und realisiert, »wie glücklich [er] während der letzten Wochen gewesen war« (S. 216). Vor der Musterung trifft er aber auf seine Eltern und erneut kommt es zum Konflikt mit dem Vater. Allerdings hat sich nun etwas deutlich geändert, Mitte 1944 scheint sein Vater, ein überzeugter Nationalsozialist, nicht mehr ganz so siegessicher zu sein (S. 218). Die Rückkehr in sein Elternhaus bedeutet für Veit immer auch eine Erinnerung an seine verstorbene Schwester Hilde. Veit denkt an den Tag zurück, bevor Hilde starb, und hat noch immer ein schlechtes Gewissen. Seine Schwester hatte ihn zu sich gerufen und Veit zärtlich berührt. Dieser war unfähig, die Geste zu erwidern.

      Kolbes Vorstellung vor dem Militärarzt verläuft zunächst alles andere als erfolgreich für ihn: Er wird als »[f]eldtauglich« (S. 220) eingestuft und müsste damit zurück an die Front. Mit einiger Mühe gelingt es ihm aber, eine erneute Untersuchung durch einen Facharzt zu erreichen. Dieser lässt sich erweichen und stellt Veit Veits erneute Zurückstellung erneut zurück. Veit ist zwar »schrecklich passiv, müde, ausgelaugt« (S. 227) nach diesem Arztbesuch, doch er fährt auch überaus glücklich nach Mondsee zurück.

      Ich bin noch immer ganz verwirrt: Erneut kommt Kurts Ängste Kurt Ritler in einigen seiner Briefe zu Wort, die er weiterhin »postlagernd« (S. 230) nach Mondsee schickt, um mit Nanni in einem imaginären Dialog zu bleiben. Dabei weiß er, dass seine Briefe von Fremden gelesen werden.

      Kurt macht sich Vorwürfe, dass er nicht wie verabredet nach Schwarzindien kommen konnte (S. 241). Immer wieder beteuert er, dass das nicht seine eigene Entscheidung gewesen sei. Ein entscheidendes Hindernis sei gewesen, dass er als Mitglied der HJ (Hitlerjugend) zu militärischen Hilfsdiensten verpflichtet worden sei. Er muss einen Lehrgang absolvieren und wird dann als Horcher eingesetzt. Kurt erlebt dabei immer wieder heftige Luftangriffe mit, denen er nur mit Glück unverletzt entkommt (S. 234). Zwischen den Angriffen bleibt Kurt etwas Zeit, Nanni zu schildern, wie er sich entwickelt: »[W]enn man mich genau anschaut, sehe ich einem Mann schon ziemlich ähnlich.« (S. 237)

      Von seinen Eltern wird Kurt wegen der Beziehung zu Nanni noch immer »sehr hart [angepackt]« (S. 230), wohingegen sich das Verhältnis zu Nannis Mutter entspannt, da sie offenbar versteht, dass auch Kurt unter ihrem Verschwinden leidet. Allerdings macht das die Mutter nicht hoffnungsvoller: »Deine Mutter sagt, sie glaube, du seist tot.« (S. 243)

      Der Abschied von Wien: Der Roman gibt erneut Oskar Meyer das Wort und blendet zunächst in das Jahr 1942 zurück. Oskar berichtet, wie glücklich er und Wally sind, als sie endlich in Flucht nach Budapest Budapest ankommen und die Einschränkungen und Bedrohungen der letzten Jahre hinter sich lassen können. Zwar ist die Wohnung des Bruders István »klein und ärmlich« (S. 245), doch dafür können sich die drei endlich frei bewegen (S. 246). Allerdings sehen sich die Meyers damit konfrontiert, ihre Identität wechseln zu müssen, denn »[i]m Sommer vor [ihrer] Ankunft waren die meisten nicht ungarischen Juden von den Ungarn an die Deutschen ausgeliefert worden« (S. 247). Auch Wallys Stimmung bessert sich merklich (S. 246). Aus Freude über die gelungene Rettung kauft Oskar Wally »bei einer Straßenhändlerin ein Halstuch aus Baumwolle« (S. 146). Die Lage ändert sich aber schlagartig, als die Deutschen 1944 in Ungarn einmarschieren: »[J]etzt geht es hier von vorne los.« (S. 250) Willkür, Erniedrigungen und massive Einschränkungen für die Juden lassen nicht lange auf sich warten. Oskar und sein Bruder verlieren ihre Arbeit, sind schnell völlig mittellos. Ein aus Polen geflohener Jude, der sich selbst sarkastisch als »erfahrener Verfolgter, eine Fachkraft im Fliehen« (S. 253) bezeichnet, rät Oskar dringend zur Flucht. »Er erwähnte Konzentrationslager und den Bau von riesigen Fabriken, und wer nicht arbeiten könne, komme ins Gas.« (S. 254) Oskar schenkt diesen düsteren Aussagen keinen Glauben, doch muss er bald selbst erleben, wie sich die Situation immer weiter zuspitzt. »Am Sonntag den 16. Juli« (S. 259) kehren Wally und Georgili nicht mehr nach Hause zurück. Rasch ahnt Oskar, dass sie in eine Razzia der Deutschen geraten sind.

      Wie ich in der Lebenszeichenkarte: Das Kapitel besteht erneut aus einigen Briefen von Margots Mutter an ihre Tochter, die vor allem über die apokalyptischen Zustände nach den verheerenden Bombenangriffen auf Zerstörung in Darmstadt Darmstadt (S. 271) berichten. Die Mutter ist ob der Lage völlig verzweifelt, ihr Entsetzen schreibt sich sogar in die Syntax ein (S. 265). Da die Postverbindungen durch das Kriegsgeschehen unterbrochen sind bzw. sich Briefe überschneiden oder verloren gehen (S. 264, 268), wiederholt Margots Mutter einige Berichte immer wieder. Margots Vater, der Heimaturlaub bekommt, ist von den Zerstörungen ebenso völlig entsetzt, wie seine Ehefrau berichtet (S. 268). Trotzdem kann der Vater weiterhin sein Temperament nicht zügeln (S. 275). Auch ist er eifersüchtig auf »Herr[n] Hans« (ebd.), der seine Frau offenbar öfter besucht, und macht deshalb eine Szene.

      Um ihre Kinder macht sich Margots Mutter weiter große Sorgen, vor allem hofft sie, dass beide »keine Dummheiten« (S. 278) machen. Über manche Wünsche der Kinder, die allerdings mit großer Zeitverzögerung bei ihr eintreffen, kann sich die Mutter nur sehr wundern und äußert ihr Unverständnis (S. 272).

      In der zweiten Juliwoche: Der Roman kehrt nach Mondsee zu Veit Kolbe zurück, der wieder in seiner eigenen, glücklichen, aber beschränkten Welt lebt (S. 279). Die Glückliche Beziehung Beziehung zu Margot ›klappt‹ indes weiter hervorragend, psychisch wie vor allem auch physisch (S. 280 f.). Dem Gerede im Dorf, das nach der neuerlichen Auskunft des Onkels lauter würde, versuchen die beiden weitgehend auszuweichen, und auch sonst muss Veit vorsichtig sein: »Ich hatte berechtigte Angst, dass die erstbeste Unvorsichtigkeit meine Einberufung nach sich ziehen könnte.« (S. 284) In der Gärtnerei schuften die beiden weiter, erhalten dafür auch briefliche Anweisungen des Brasilianers aus dem Gefängnis.

      Veit erleidet erneut einen Angstanfall und »eine Bilderattacke der Stärke zehn« (S. 286). Er bekämpft die Panik mit der mittlerweile zur Routine gewordenen Einnahme von Pervitin. Auch Margot wird von Angst und Verzweiflung heimgesucht, als sie im Radio hört, dass Darmstadt einem großen Angriff zum Opfer gefallen ist (S. 290).

      Auch die Lehrerin Bildstein trifft Veit erneut, die ihm berichtet, dass sie großen Ärger mit der »Behörde in Linz« (S. 289) habe, weil sich ein Vater von der Front aus über sie beschwert habe.

      Aus dem Misthaufen stieg Rauch auf: Der Der Brasilianer wieder frei Brasilianer kommt nach vier Monaten Gefängnis zurück. Im Dorf bleiben die Leute auf Abstand zu Perttes, auch wenn sie immerhin nach seinem Zustand fragen (S. 293). Das Zuchthaus hat ihm hart zugesetzt, seelisch wie körperlich, er hatte nicht erwartet, »dass ihm mit solcher Härte begegnet werde« (S. 295). Dabei sei er noch glimpflich davongekommen, verglichen mit den anderen