Emma nur sein willenloses Modell.
Und die Frauen Neapels, verschrien wegen ihrer Häßlichkeit, hatten das Wort der berühmten Malerin aufgegriffen. Nannten Emma maskenhaft und geistlos. Während doch Romney selbst einst Emma seine Muse genannt hatte, der er die Inspiration zu seinen Werken verdanke. Und in seinen Briefen klagte er, daß ihm nichts mehr gelinge, weil Emma ihm fehle. Emma mit ihrem starken Gefühl, mit ihrer reichen Phantasie, die sich leicht und schnell in jede Seelenregung zu versetzen wisse ...
Jene Neiderinnen Lügen zu strafen, ersann Emma seitdem für ihre Darstellungen stets neue Motive, ließ Sir William absichtlich über sie im Dunkel, damit man nicht ihm die Erfindung zuschreiben konnte.
Die Stimme des Dieners im Saale nannte das Bild.
„Dido und Askan!“
Lautlose Stille trat ein. Der Vorhang flog auseinander ...
Ein großer Spiegel an der gegenüberliegenden Wand warf die Gruppe im Lichte der Kerzen zurück. Jede Linie, jede Einzelheit konnte Emma sehen.
Die Hände auf die Lehnen eines altertümlichen Armstuhls stützend saß Dido. Wie in atemloser Spannung beugte sie sich vor, öffnete wie fragend die Lippen, richtete die Augen wie suchend in die Ferne. Zu ihrem Ohr neigte sich Askanius, streckte mit lebhafter, malender Gebärde die Hände aus.
Er war sehr schön. Seine braunen, schlanken Glieder, sein dunkles, lockiges Haar, seine Augen von der Farbe grauen Samts hoben sich wirkungsvoll von der weißen Wand der Grotte ab. Und der Gegensatz machte die blonde Schönheit der Königin noch strahlender. Der weite Ausschnitt ihres dunklen Gewandes ließ die reine Linie des Kopfes, den stolzen Schwung des Halses, die volle Wölbung der Brust sieghaft hervortreten. Die rosigen Farbentöne des reifenden Pfirsichs überhauchten das mädchenhaft junge Gesicht; in zarter Zeichnung wölbten sich die dunklen Brauen über den großen, meerblauen Augen; purpurn blühte der edle Bogen des Mundes. Um das alles rahmte sich die rotleuchtende Flamme des entfesselten Haares ...
Einen Augenblick blieben beide in der Stellung. Dann, wie hingerissen von der Größe des Gehörten, hob Dido ihre Hände zum Haupte Askans, zog ihn sanft an ihre Brust, neigte sich über ihn mit sehnenden Lippen. Küßte in der bebenden Empfindung ihrer jungen Liebe zu dem Vater die reine Stirn des Sohnes ...
Die Bewegung löste die atemlose Spannung der Zuschauer. Maria Carolina selbst gab das Zeichen zum Beifall; händeklatschend, laute Rufe der Begeisterung ausstoßend folgten ihr die anderen.
Über Josiahs Kopf hinweg lächelte Emma Nelson zu. Er saß neben der Königin, regungslos, wie festgebannt. Heißes Entzücken brannte in seinen Augen.
Anders wie Äneas würde er wohl niemals das Bild der Dido vergessen ...
Aber als sie nach dem letzten Schließen des Vorhangs Josiah freigab, erschrak sie. Mit dunkelgerötetem Gesicht taumelte er auf, stürzte sich plötzlich auf sie, umschlang ihren Nacken, bedeckte ihren Mund mit wilden Küssen ...
Achtes Kapitel
...So wurde aus der Emma Lyon die Lady Hamilton. Nun verurteilen Sie mich! Wie meine Feinde mich verurteilen.“
Langsam stand sie auf, warf die Papiere in die Kassette zurück, ging an den Männern vorüber durch die offene Tür auf den Balkon.
Schonungslos hatte sie ihr ganzes Leben vor Nelson aufgedeckt. In alle Abgründe hatte sie ihn blicken lassen, durch die sie geschritten war. Hatte ihm den Lug und Trug gezeigt, den Greville gesponnen, um sie in Sir Williams Arme zu treiben. Und wie sie sich gerächt.
Auch die Beweise hatte sie gezeigt. Grevilles Briefe an Sir William. Durch Diebstahl war sie zu ihnen gelangt. In einer Nacht des Elends ...
Hüllenlos lag ihre Schmach nun vor Nelsons Augen. Und vor ihr reckte sich die Frage auf ...
Wie eine Angeklagte auf das Urteil des Richters wartete sie. Litt unter der atemlosen Schwüle der Spannung. Warum sprach er nicht? Sah er nicht, daß sie in diesem schrecklichen Schweigen verging?
Plötzlich erhob er sich. Zusammenfahrend blickte sie zurück. Aus dem dunklen Winkel, in dem er ihr zugehört hatte, trat sein blasses Gesicht in den Lichtkreis der Lampe. Ein seltsames Leuchten war in seinen Augen.
Vor Tom stehen bleibend, wies er nach der Tür. Schweigend verließ Tom das Zimmer.
Dann ... glühend quoll eine Blutwelle in Emmas Herzen auf ... er kam ...
Aber in diesem Augenblicke kehrte Tom zurück. Mr. Clarke begleitete ihn, ein Schreiben in der Hand.
Hastig trat Emma wieder ins Zimmer, ging ihm entgegen.
,,Mr. Clarke? Was ist?“
Er verbeugte sich, mit der unerschütterlichen Ruhe des Diplomaten. Überreichte Emma das Papier.
„Vincenzo sagte mir, daß Seine Exzellenz mit dem Könige nach Caserta gefahren sind. Für solche Fälle bin ich an Mylady gewiesen. Und da die Depesche vielleicht wichtig ist ... eine Feluke brachte sie soeben, von unserem Konsul in Sardinien.
Emma öffnete, übersetzte die Chiffreschrift. Dann gab sie das Papier dem Sekretär zurück.
„Senden Sie es durch einen reitenden Boten nach Caserta. Der Konsul schreibt, daß französische Kriegsschiffe an der Küste gesehen worden sind ...
Nelson fuhr auf.
„Bei Sardinien? Sollte die Flotte von Brest sich bei Gibraltar durchgeschlichen haben?“ Er überlegte einen kurzen Augenblick, wandte sich dann zu Tom. „Wecke Josiah! Geh mit ihm an Bord! Sage dem Wachoffizier: klarmachen zur Abfahrt! Ich komme sofort. Mylady ist vielleicht so liebenswürdig, mir ein paar Leute für das Gepäck zur Verfügung zu stellen?“
Sie sah ihn an, wie betäubt.
„Sie wollen fort? Ohne Abschied von den Majestäten? Und das Fest, zu dem Sie eingeladen haben?“
Er machte eine kurze, wegwerfende Handbewegung. Seine Stimme klang wie Stahl. Seine Augen brannten.
„Ich bitte, mich bei den Majestäten zu entschuldigen und das Fest absagen zu lassen. Ich bin ein englischer Seemann und der Feind ist in Sicht. Würden Sie mir eine Abschrift der Depesche geben, Mr. Clarke? Ich muß meine Fahrt nach Sardinien vor Lord Hood rechtfertigen!“ Er kam, während Mr. Clarke das Zimmer verließ, zu Emma. „Ich bedauere die Störung, Mylady. Aber der Krieg ... Ich danke Exzellenz von Herzen für verschwenderisch gewährte Gastfreundschaft. Exzellenz dürfen versichert sein, daß diese schönen Wochen ...“ Er begegnete ihren Augen, brach verwirrt ab. Vermochte nur noch zu stammeln. „Leben Sie wohl, Mylady! Möge Gott Ihnen Glück schenken ... Glück ...
Sie lächelte, voll Bitterkeit.
„Und das ist alles? Haben Sie Klein-Amy sonst nichts zu sagen? In diesen Tagen ... ich hoffte, einen Freund gewonnen zu haben. Nun aber ... da ich ihm Wahrheit gab ... habe ich ihn verloren, Mr. Nelson? Habe ich ihn wieder verloren?“
Er schien bewegt. Rang nach Worten. Fand keine. Dann, wie einer plötzlichen Eingebung folgend, zog er ein Blatt hervor.
„Ich schrieb heute morgen einen Brief an meine Frau. Wollte ihn Sir Williams nächstem Kurier nach London mitgeben. Ich habe mir darin auch ein Urteil über Mylady erlaubt. Ehe ich wußte, was Mylady mir vorhin mitteilten. Wollen Mylady lesen?“
Er hielt ihr das Blatt hin, deutete auf die Stelle. Emma las.
„Lady Hamilton ist außerordentlich gut und freundlich zu Josiah. Sie ist eine junge Frau von tadellosem Benehmen und macht dem hohen Range, zu dem sie gelangt ist volle Ehre.“
Emma erbebte.
„So schrieben Sie heute, am Morgen! Doch nun ... am Abend?“
Ein weiches, gutes Lächeln erhellte sein strenges Gesicht.
„Ich habe nichts zu ändern, Mylady! Wollen Sie den Brief meiner Frau zusenden?“