Heinrich Vollrat Schumacher

Lord Nelsons letzte Liebe


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seine Hand zwischen den ihren, drückte sie an ihre Brust, an ihre Lippen. Tränen traten ihr in die Augen.

      „Mein Freund“, murmelte sie. „Mein Freund ...“

      Plötzlich ... etwas Seltsames geschah ...

      Während sich ihr, vom Herzen heraufsteigend, ein glühender Blutstrom bis in die äußersten Spitzen der Finger ergoß, fühlte sie, daß Nelsons Hand kalt wurde. Schweiß trat auf seine Stirne. Sein Gesicht wurde wächsern, wie das eines Toten.

      Erschreckt gab sie ihn frei. Aber seine Hand blieb ausgestreckt, starr in der Schwebe. Als habe sie einen eigenen Willen, stärker als der ihres Besitzers. Hilflos sah Nelson auf sie hin, schweigend, in ohnmächtiger Verzweiflung. Fröstelnd bebten seine Lippen. Als kröche aus den Marmorfliesen des Fußbodens eisige Kälte an ihm empor ...

      Doch nun ... wie von einem Hammerschlage getroffen, schnellte die Hand jäh zur Seite, fuhr in wilden Zuckungen hin und her ...

      Ein furchtbarer Kampf zwischen ihr und Nelson begann. Die Zähne zusammenbeißend suchte er den Arm zu krümmen, die ineinander gezogenen Finger zu öffnen. Lange mühte er sich vergebens. Endlich löste sich der Krampf, die Finger spreizten sich auseinander, die Hand sank herab.

      Ein tiefes, zitterndes Seufzen kam aus Nelsons Brust.

      „Es ist nichts, Mylady!“ sagte er dann hastig. „Eine Nachwirkung des Fiebers, das mich in Westindien heimsuchte. Verzeihen Sie den peinlichen Anblick. Und ... leben Sie wohl! Leben Sie wohl!“

      Sie sah seine Verwirrung, seine Verlegenheit. Ließ ihn wortlos gehen. Horchte auf das Geräusch seiner Schritte, bis es in den weiten Gängen verhallt war. Dann verriegelte sie die Tür. Unmöglich erschien es ihr, in dieser Nacht noch andere Gesichter zu sehen, andere Stimmen zu hören. Mochten Josiah und Tom ohne Abschied von ihr gehen. Was lag daran! Niemals würde sie Nelson Wiedersehen ...

      Niemals?

      Sie trat auf den Balkon, kauerte sich nieder, legte den Kopf in die aufgestützten Hände. Starrte ins Dunkel. Sann ...

      Sie wußte es nun. Dieser Abschied hatte es ihr offenbart. Und jener wahnsinnige Traum in Sir Williams Armen. Sie liebte Nelson ...

      Und nun war er gegangen.

      Niemals?

      Einst war sie aus den Straßen Londons emporgestiegen, hatte sich in Grevilk's Arme gestürzt ...

      Ich liebe dich! Nimm mich!

      Wahr und groß war sie damals gewesen.

      Heute aber, nach der langen Schmach der widerwillig geduldeten Umarmungen ...

      Vielleicht hätte Nelson ihrer Schönheit nicht widerstanden. Aber sein Herz gehörte seiner Frau. Zu derselben Niedrigkeit hätte die Verführerin ihn verleitet, an der ihre Seele krankte. Und nachher hätte er sie verachtet, verflucht.

      War es nicht gut, daß er gegangen war?

      Niemals?

      Fröstelnd erhob sie sich, wollte ins Zimmer zurückkehren. Aber in diesem Augenblicke dämmerte im Osten der erste graue Schein des neuen Tages. Eilig holte sie das Fernrohr herbei, spähte nach dem Schiffe.

      Nun sah sie es. Schon spannten sich weiße Segel an den Masten, blähten sich in der leichten Brise des Morgens. In festen Rhythmen drang ferner Gesang durch die Stille. Die Matrosen wanden den Anker auf. Langsam glitt das Schiff über die Flut.

      Heller wurde der Schein. Rosige Lichter durchspielten ihn. Plötzlich ergossen sich unermeßliche Ströme purpurner Gluten über den lichten Saphir des Himmels, den blauen Guß des Meeres, den glänzenden Smaragd der Matten. Zu allen Höhen schwangen sie sich empor, fluteten hinüber nach Misenum, nach Ischia, auf der wie ein Opferaltar der Epomeo glühte, während der Vesuv seinen rauchenden Schatten weit über die See trieb.

      Aus diesem Schatten trat der ,Agamemnon‘. Flammendiademe leuchteten auf den Spitzen seiner Masten, ein purpurner Mantel bedeckte seinen Leib. Auf den brennendroten Flügeln seiner Segel schien er dem Meere zu entschweben, wie einem Horste. Himmelan zur Sonne. Ein königlicher Aar.

      Hinter Misenum verschwand er. Während die Sonne erschien. Über den Monte Somma spannte sie den goldenen Bogen ihres Lichts. Kristallhell tauchte der Morgen aus der Flut.

      Strahlend lächelte Parthenope …

      Neuntes Kapitel

      Am sechsten Oktober meldete Nelson Sir William die Erfolglosigkeit seiner Jagd auf die französischen Schiffe und seine Rückkehr zu Lord Hood nach Toulon. Er legte einen Brief für Emma bei, in dem Josiah ihr seine kleinen Erlebnisse während der Fahrt schilderte. Emma antwortete mit ein paar freundlichen Zeilen, und es entwickelte sich zwischen ihr und den fernen Freunden ein reger Briefwechsel, besonders seitdem Sir William, mit Geschäften überbürdet, ihr auch die politischen Mitteilungen an die Flotte übertrug. Schnellsegler verkehrten fast wöchentlich zwischen ihnen und verschafften Emma mit dem heimlich Geliebten eine Verbindung von wehmütigem Reiz. Wie aus einem Spiegel leuchtete aus seinen oft mit flüchtiger Feder hingeworfenen Briefen sein ganzes Wesen hervor, sein feuriger, siegreich gegen das Elend seines Körpers ankämpfender Geist, sein hohes Streben, seine Frömmigkeit und Liebe zum Vaterlande. Und das alles gehörte einer anderen ...

      Zorn gegen das Schicksal beschlich sie, das ihr Nelson zu spät zugeführt hatte. Freude, daß er sie der Teilnahme an seinen hochfliegenden Ideen wert hielt. Schmerz, daß sie nichts zu tun vermochte, ihn auf seinem Wege vorwärtszubringen. Fest glaubte sie an seine Kraft, an seine Zukunft. Von einem fernen Tage träumte sie, da sie ihm den verweigerten Lorbeer um die Stirne schlingen würde. Mochte das Glück seines Herzens bei der anderen sein, wenn sein Geist nur einmal, nur ein einziges Mal, Hand in Hand mit Emmas Geiste über die Höhen des Lebens schwebte! Zwei weiße Flammen, in inniger Umschlingung sich vermählend, für einen Augenblick das Dunkel der Nacht erleuchtend, in der Emma dahinwandelte ...

      Nun begriff sie die stille Seligkeit jener Maria Magdalena, die dem Heiland der Welt die Füße waschen durfte. Wunschlos, in Demut dienend. Um lieben zu dürfen. Um wie die Priesterinnen der Vesta anbetend vor dem heiligen Feuer des eigenen Herzens zu knien ...

      Wonnevolle Ekstasen hatte sie in ihren einsamen Nächten, wenn sie des Fernen gedachte. Körperlos nahte er ihr, losgelöst von der niederen Hülle des Fleisches. Seine Stimme hörte sie, sah den Blick seiner Augen. Aus ihnen sprach seine Seele zu ihr, tauchte sie in ein tönendes Meer von Musik, durchschauerte sie mit sanfter, rieselnder Wärme. Auf singenden Strahlenwellen schwebte sie empor, höher und höher. Bis sich ihr ganzes Wesen auflöste. In einen einzigen, weichen, zitternden Akkord. Der in goldenen Sonnenwölkchen flüsternd zerrann ...

      Während ihre Tage angefüllt waren mit den schmutzigen Geschäften des Lebens. Unaufhörlich galt es, neue Intrigen spinnen, neue Händel abschließen, neue Lügen ersinnen. In einem Meer von Blut watete die Zeit und durch die Mauern des Palazzo Sessa drang der Brandgeruch der geopferten Hekatomben.

      ***

      Seit Emma als Gesandtin zum ersten Male das Parkett des Hofes betreten hatte, war sie Maria Carolinas Vertraute geworden. Aus den Ursachen machte die Königin vor Emma selbst kein Hehl. Emmas Schönheit hatte sie bezaubert, und ihre offene, schlichte, natürliche Art, die Maria Carolina an ihre Jugend unter Maria Theresias mütterlicher Obhut, an das ungekünstelte, von munterer Fröhlichkeit bewegte Leben am Wiener Hofe erinnerte. Während in Neapel alles Mißtrauen, List und Intrige war, mühsam verhüllt durch die starren Formen der spanischen Etikette. Von allen Seiten belauert konnte Maria Carolina nichts tun, kein harmloses Wort aussprechen, das nicht verdreht und entstellt von ihren Gegnern benutzt wurde, das Ansehen der ,Österreicherin‘ im Volke zu untergraben. Beim Könige keinen Schutz gegen die Verleumdungen, keine Hilfe in den schwierigen Fragen der Regierung findend, die der Geistesträge ihr allein überließ, hatte sich Maria Carolinas Gemüt in den fünfundzwanzig Jahren einer freudelosen Ehe verbittert. Einsam stand sie inmitten eines fremden Volkes, mit Mißtrauen und Verachtung den Haß erwidernd, den man