Kleinod jeden Wunsch. Emmas vollkommene Schönheit bildete eher einen Schmuck des Hofes, als daß sie von diesem Glanz empfing. Wenn sie politischen Ehrgeiz besaß, so nutzte sie ihn nur zum Vorteil der Königin. Allezeit war England Neapels opferbereiter Freund, Maria Carolinas zuverlässigste Stütze in ihrem Kampfe gegen die Revolution gewesen, die sich näher und näher heranwälzte, ihren Thron und das Erbe ihrer Kinder bedrohend.
Auch war Emma verschwiegen, voll Takt. Vorsichtig angestellte Proben hatten es bewiesen. Niemals hatte sie Anvertrautes weitergetragen, niemals in Gegenwart anderer die Ehrerbietung verletzt, die sie der Majestät schuldete. Und endlich — diese schöne, uneigennützige, verschwiegene Frau hatte Schweres erlebt, besaß eine zärtliche, schmerzerfahrene Seele. In sie konnte Maria Carolina alle ihre Sorgen, all ihr Leid ergießen, ohne Mißdeutung oder Verrat fürchten zu müssen. Was für Marie Antoinette in ihren glücklichen Tagen Luise Lamballe gewesen war, das war Emma für Marie Carolina: eine Freundin ohne Eigennutz, ohne Arglist, wie Königinnen sie nur ganz selten einmal auf ihrem Dornenwege fanden ...
Wenn Maria Carolina so sprach, in jenen stillen Abendstunden, die sie allein mit Emma verbrachte, war sie ganz Frau, ganz Offenheit und zärtliche Hingebung. Voll mütterlicher Sorge machte sie Pläne für die Zukunft ihrer sieben Kinder, die ihr von achtzehn geblieben waren und deren Erbe bei dem bescheidenen Vermögen der Familie nur gering sein konnte; beklagte sich voll zorniger Scham über die niederen Leidenschaften des Königs, die das Gefühl der gebildeten Frau und die Würde der Königin verletzten; erinnerte sich voll Wehmut an die spärlichen Stunden des Glücks, die ihr das Elend einer kalten Vernunftehe gelassen. Sie hatte den jungen Fürsten Caramanico geliebt. Mit jener Königinnenliebe, deren Los früher Untergang war. Den ehernen Forderungen der Staatsräson hatte sie den Geliebten geopfert. Wie sie selbst sich täglich, stündlich opferte.
Wenn Maria Carolina von diesem kurzen Frühling ihres Herzens sprach, lag ein blasser Schein auf ihrem kraftvollen Gesicht, die starke Unterlippe der Habsburgerin zitterte, ihre Stimme klang verschleiert. Und Emma war es, als steige aus den müden Worten etwas empor, wie der herbe Duft verwelkter Rosen ...
***
Am sechzehnten Oktober fiel das Haupt der Marie Antoinette unter dem Messer der Guillotine. Fünf Tage später erhielt Sir William durch einen Kurier die Nachricht.
Niemand wagte der Königin das Schicksal der vergötterten Schwester mitzuteilen. Ferdinand floh feige auf eines seiner Jagdschlösser, alles dem Premierminister überlassend; Sir John Acton schob Sir William als den Empfänger der Botschaft vor; Sir William aber zitterte vor den unberechenbaren Zornesausbrüchen Maria Carolinas. Fast flehend wandte er sich um Hilfe an Emma.
Mit einem Blick des Spottes auf den ‚lächelnden Philosophen‘ willigte sie ein.
Aber als sie dann am Abend der Ahnungslosen gegenübersaß, als Maria Carolina ihrer Neigung zu kleinen Liebesdiensten folgend für sie die schönsten Früchte aus einer vor ihr stehenden Schale wählte und selbst zu schälen begann, fiel ihr das Traurige ihrer Aufgabe schwer aufs Herz. Aus ihrem Munde sollte die unter das Leid ihres eigenen Lebens Gebeugte diesen neuen Schlag erfahren, der sie bis ins Innerste erschüttern mußte ...
Zaghaft begann sie. Näherte sich auf weiten Umwegen zwei-, dreimal ihrem Ziele. Um dann doch jedesmal vor dem entscheidenden Worte zurückzubeben.
Endlich schien Maria Carolina aufmerksam zu werden. Das Schälmesser fortlegend, richtete sie ihre Augen ungeduldig forschend auf Emmas Gesicht.
„Sie scheinen mit anderen Dingen, beschäftigt, Mylady!“ sagte sie, ihr den Titel gebend, mit leichter Schärfe im Ton. „Was ist es? Haben Sie Nachrichten aus Paris? Schon zweimal haben Sie den Namen der Königin erwähnt!“
Bei dem ersten strengen Worte war Emma aufgestanden.
„Die Zukunft Euerer Majestät erlauchter Schwester ängstigt mich,“ erwiderte sie ehrerbietig. „Ich weiß nicht, warum, aber in den letzten Tagen ... fortwährend mußte ich an die Blutgier denken, mit der die Jakobiner sich an der geheiligten Person ihres Königs vergriffen haben ...“
Maria Carolina blickte verwundert auf.
„Und Ludwigs Schicksal bringen Sie in Verbindung mit dem meiner Schwester? Ich verstehe nicht, weshalb. Glauben Sie, die Schänder der Menschenwürde werden vergessen, daß. Marie Antoinette Österreicherin ist? Man hat ihr das Wort als Beschimpfung ins Gesicht geschleudert. Trotzdem ist es jetzt ihr Schutz. Man wird sich hüten, es mit dem Kaiser zu verderben. Wenn sich der Blutrausch des Pöbels gelegt hat, wird man froh sein, sie und ihre Kinder nach Wien ausliefern zu dürfen. Sie schütteln den Kopf? Sprechen Sie, Mylady! Was denken Sie?“
Traurig sah Emma auf.
„Blutrausch, Majestät? Der Pöbel mag ja darin befangen sein. Die Führer aber ... Ich habe Robespierres Reden gelesen. Mir aus ihnen ein Bild des Menschen zu machen gesucht. Er spricht ohne Leidenschaft, ohne Haß. Aber das Königtum scheint ihm ein Prinzip, das seinem Prinzip, Herrschaft des Volkes, feindlich gegenübersteht.
Darum strebt er, den Thron zu stürzen, den König und alles zu vernichten, was zu diesem gehört. Glauben Majestät, daß dieser kalte Rechner Österreich fürchtet? Er, der bereit ist, sich und sein ganzes Volk seinen Ideen zu opfern?“
Erregt stand Maria Carolina auf.
„Mylady! Sie sprechen, als ob Sie diese Ideen billigten!“
„Ich verabscheue sie, wie alle Menschen von Herz und Gefühl es tun. Aber trotzdem, wenn ich mich in die Lage jener Leute versetze ... dieses Volk, das so weit ging, seinen schuldlosen König aufs Schafott zu schleppen, kann es noch zurück? Wenn es die Königin freigibt, muß es nicht fürchten, daß sie an der Spitze eines Heeres zurückkehrt, um Vergeltung zu üben?“
Aus Maria Carolinas Augen brach eine Flamme.
„Eine wehrlose Frau! Unschuldige Kinder! Wenn sie es wagen! Wenn sie es wagen!“ Heftig ging sie hin und her. Plötzlich blieb sie vor Emma stehen. Mit gerunzelter Stirn, mißtrauischem Blick. „Warum sagen Sie mir das alles, Lady Hamilton? Sie sprechen wie Acton, Sir William, Fürst Castelcicala, Marchese Vanni, der Prokurator Guidobaldi. Die jakobinischen Ideen nennen sie eine Seuche, von Paris über ganz Europa verbreitet. Auch Neapel soll angesteckt sein. Durch Admiral Latouche-Trevilles Offiziere, die heimlich an Land gegangen seien, um unsere Jugend zu vergiften. Schon soll ich mich auf meinen eigenen Hof nicht mehr verlassen können. Adel, Beamte, Bürger, Heer, Flotte — das ganze Volk habe sich gegen den Thron verschworen. So redet man ohne Unterlaß auf mich ein. Und nun auch Sie, Mylady! Die paar Augenblicke der Erholung, die man mir gönnt, benutzen Sie, um mir Ludwigs blutiges Gespenst an die Wand zu malen. Was bezweckt man damit? Soll ich die Besinnung verlieren? Zu etwas gedrängt werden, das man offen nicht von mir zu verlangen wagt?“
Ihre Stimme klang scharf und drohend, ihr Auge wich nicht von Emma. Erriet sie die stille Arbeit Actons und Sir Williams, aus dem Mißtrauen zwischen der Königin und ihrem Volke für England Nutzen zu ziehen?
Mit Mühe verbarg Emma ihre Unruhe. Zu der in Sir Williams Schule geübten Kunst der Verstellung greifend, richtete sie sich auf und maß die Königin mit sprühendem Blick.
„Majestät befahlen mir zu sagen, was ich denke. Wenn meine Worte mißfallen ... Ich bin die Gesandtin Englands. Majestät wollen mir allergnädigst gestatten, mich zurückzuziehen.“
Maria Carolina biß die Zähne zusammen, wandte sich schroff ab.
„Wie es Ihnen beliebt, Mylady!“
Emma verneigte sich tief und ging. Aber als sie an der Tür war, eilte die Königin ihr nach, hielt sie am Kleide zurück.
„Du gehst wirklich? Siehst du denn nicht, daß ich krank bin, am Ende meiner Kräfte?“
„Majestät ...“
„Ach, laß doch die Majestät! Wenn wir unter uns sind ... Nun ja, ich habe dich beleidigt. Mein heißes Blut ... Ich bitte dich um Verzeihung. Bist du nun zufrieden?“
Emma mit ihren Armen umschlingend ging sie mit ihr zum Tisch zurück,