Stephen England

TAG DER ABRECHNUNG (Shadow Warriors 2)


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amerikanischen Botschafters überfielen – und James Holbrook, der Chief of Station der CIA, dabei ebenfalls ins Kreuzfeuer geriet. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Denn das hier war nicht Italien.

      Der Abstand zwischen ihnen hatte sich inzwischen verringert. »Die Polizei?«, fragte Carol, deren Stimme wie von weit her zu ihm drang.

      Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf die aktuelle Bedrohung. »Nein, das sind keine Cops. Und für Verfolger fahren sie viel zu aggressiv.«

      »Wieso folgen Sie uns dann?« Ihr Tonfall verriet ihm, dass sie die Antwort auf die Frage bereits ahnte.

      »Hat man schon mal auf Sie geschossen?«, fragte er und drängelte sich an einem Sattelschlepper vorbei. Der Drang, einfach das Gaspedal durchzutreten, nagte an ihm, aber er kämpfte gegen den Impuls an. Noch nicht.

      »Nein.«

      Harry sah, wie sie in ihrer Handtasche nach der Kahr griff. Sie war blass geworden, aber er erkannte auch einen Funken Entschlossenheit in ihren Augen, als sich ihre Hand um die Halbautomatik schloss. Die Tochter ihres Vaters eben.

      Der kalte Wind zerrte an Pavel Nevaschkins Körper, als dieser sich tief über sein Motorrad beugte und die Maschine immer mehr beschleunigte. Ihr Ziel war nun auf der Flucht. Man hatte sie bemerkt. Jetzt ging es nur noch darum, zuzuschlagen.

      Er hörte das Kreischen der Luftdruckbremsen, als er vor dem Sattelschlepper einscherte und seine Beute verfolgte. Auf so viele Arten war ihre Aufgabe durch den Fakt erleichtert worden, dass ihr Ziel nun einen gestohlenen Wagen fuhr. Sein eigenes Fahrzeug hätte möglicherweise über eine Panzerung verfügt. Doch das ließ sich jetzt ausschließen.

      Pavel nahm eine Hand vom Lenker, streckte sie hinter sich und tippte seinem Partner auf dessen Knie. Halt dich bereit.

      Harry warf einen weiteren verstohlenen Blick in den Rückspiegel. Das Motorrad kam nun schnell näher, da bestand kein Zweifel mehr. Das waren keine Cops. Und sie waren auch nicht losgeschickt worden, um Carol nur zu beschatten. Das war ein Killerkommando. »Stecken Sie die weg«, wies er Carol an und deutete auf die Kahr in ihrer Hand.

      Anders, als in vielen Filmen gezeigt, war der Versuch, auf einen kampferfahrenen Motorradfahrer zu schießen, eher eine Frage von Glück als von Talent.

      Und sie hatten keine Zeit, nur auf ihr Glück zu hoffen. Nicht jetzt.

      Nun tauchte das Motorrad im Seitenspiegel auf der Fahrerseite auf, brachte sich auf einen geeigneten Winkel heran, um von der Seite auf sie zu schießen. Auf ihn.

      War er das Ziel? Er grübelte einen Moment lang darüber nach, aber dann verwarf er die Frage. Es spielte keine Rolle. Nicht jetzt.

      Noch hatten die Attentäter das Feuer nicht eröffnet. Und das bereitete ihm weitaus größere Sorgen. Denn es bedeutete, dass diese Kerle Profis waren.

      Er zog den Wagen auf den Mittelstreifen und schoss im Handumdrehen über zwei Fahrspuren hinweg. Harry zuckte kurz zusammen, als hinter ihm ein Auto auf die Bremsen stieg und beinahe im selben Augenblick ein SUV von hinten auf ihn auffuhr.

       Nichts spielt eine Rolle. Nichts, außer dem Überleben der zu schützenden Person.

      Das Motorrad kam näher, nun noch schneller, bahnte sich seinen Weg durch das Chaos hinter ihnen, doch er fuhr jetzt dicht am Mittelstreifen entlang und seine linke Flanke war somit gesichert. Die Suzuki war auf Geschwindigkeit ausgelegt, aber nicht fürs Gelände.

      »Gehen Sie in Deckung«, befahl er, ohne seine Augen von der Straße zu nehmen, »und machen Sie sich bereit.«

      Jetzt, da der Impala am Rand des Mittelstreifens immer mehr an Tempo gewann, konnte sich das Tötungskommando ihnen nur noch von Carols Seite aus nähern. Hohlmantelgeschosse würden die Plastikkarosse des Wagens zwar mühelos durchdringen können, aber wenn sie blindlings auf sie hätten schießen wollen, hätten sie das bereits getan.

      Manchmal ließ sich selbst die Professionalität eines Gegners gegen ihn verwenden.

      »Sie werden jetzt an Ihrer Seite auftauchen«, erklärte er langsam und ruhig. Keine Situation war so ernst, als das man sie mit mangelhafter Kommunikation nicht noch hätte schlimmer machen können. »Und sie werden auf uns schießen.«

      Carol, die im Fußraum kauerte, nickte. Ihre Lippen waren zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammengepresst. »Auf mein Signal hin müssen Sie Ihre Tür aufstoßen, so stark und schnell Sie nur können. Schaffen Sie das?«

      Wieder ein Nicken. Man musste ihr hoch anrechnen, dass sie ihn nicht nach einer Erklärung fragte. Dafür blieb keine Zeit.

      Ein Fluch brach durch Pavels Lippen, als der Wagen vor ihm dicht an den Mittelstreifen heranfuhr und ihn damit zwang, abzubremsen, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Auch wollte er es nicht riskieren, Zeit zu verlieren, wenn er mit der Suzuki auf den Grasstreifen wechselte.

      Also blieb ihnen nur noch eine Möglichkeit; die Beifahrerseite. Zweimal tippte er auf Grigoris Knie. Es geht los.

      Er konnte nicht hören, wie die Glock hinter ihm aus der Satteltasche gezogen wurde, aber er wusste, dass sie da war, in der Hand seines Partners.

      Da. Der Mann, den sie umbringen sollten, saß hinter dem Steuer, immer noch relativ aufrecht in seinem Sitz. Die Frau war nirgendwo zu sehen, war aber zweifellos in Deckung gegangen.

      Pavel drehte die Maschine auf und brachte sich auf eine Höhe mit dem Impala. Der Moment war gekommen, es zu Ende zu bringen.

      Das Brüllen der Glock dröhnte Harry fast zeitgleich wie das Geräusch zersplitternden Glases in den Ohren. Er hörte, wie die Kugel an seinem Ohr vorbeisauste und neben seinem Kopf durch das Seitenfenster wieder austrat.

      Die Zeit schien stehenzubleiben, als er einen letzten, prüfenden Blick nach rechts warf. Alles, was er sah, war die kalte, schwarze Mündung einer Glock, die ihn anstarrte.

       »Jetzt!«

      Pavel versuchte die Maschine ruhig zu halten, und fuhr noch näher an den Impala heran, damit sein Partner besser zielen konnte, als plötzlich die Tür der Limousine aufflog und gegen sein linkes Knie krachte.

      Der Lenker der Maschine wurde herumgerissen und das Motorrad kam vom Kurs ab, drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Beinahe blind vor Schmerzen versuchte der Ex-Speznas-Söldner wieder die Kontrolle über das Motorrad zu gewinnen, während dieses über zwei Fahrspuren hinweg schlingerte. Er sah den SUV gerade noch rechtzeitig, um zu schreien …

      »Alles okay?«, fragte Harry und sah zu Carol hinunter, die noch immer den Türgriff umklammert hielt. Am Rand des Mittelstreifens brachte er den Impala zum Stehen.

      Sie nickte und schien von dem, was sich eben ereignet hatte, noch ganz benommen zu sein. Er schnallte sich ab und streckte ihr die Hand entgegen. »Kommen Sie, kommen Sie, wir müssen weiter.«

      Der Chevy Tahoe, der das Motorrad der Attentäter gerammt hatte, war am Straßenrand stehengeblieben. Der Verkehr begann sich zurückzustauen. Mit einem Blick zurück, um sicherzugehen, dass Carol ihm folgte, schritt Harry zielgerichtet über den Highway, auf mögliche weitere Gefahren gefasst. Die Colt befand sich in seiner rechten Hand, schussbereit.

      Die Fahrerin des Tahoe, eine dickliche Frau mittleren Alters, war bereits aus dem Wagen gestiegen und schluchzte hysterisch in ihr Telefon.

      »… die kamen einfach aus dem Nichts. Ich hatte überhaupt keine Zeit, um zu … du lieber Gott, vielleicht sind sie tot.«

      »Ma’am«, begann Harry, der um die Vorderseite des Tahoe lief. »Ich muss Sie bitten, aufzulegen.«

      Beim Anblick der Pistole, die er fest umklammert hielt, bekam sie große Augen und begann mit der Dame der Notrufleitstelle am anderen Ende zu sprechen. Mit einer geschmeidigen Bewegung riss Harry ihr das Handy aus der Hand und warf es über die Straße.

      »Was tun Sie da?«, hörte er Carol fragen, aber er ignorierte sie und konzentrierte sich auf die verängstigte Frau