Stephen England

TAG DER ABRECHNUNG (Shadow Warriors 2)


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erwiderte er knapp. Er durfte sich nicht erlaufen, darüber nachzudenken. Zu viele Variablen waren noch im Spiel.

      »Was zählt, ist, dass sie uns gefunden haben«, fuhr er fort, ohne ihr genügend Zeit zu geben, darüber nachzudenken. »Die waren viel zu schnell an uns dran. Besitzen Sie irgendetwas, dass Sie regelmäßig bei sich tragen?«

      Seine Frage schien Carol aus ihren Gedanken zu reißen. »Was?«

      »Schuhe, eine Handtasche – irgendetwas, dass Sie bei sich tragen, worüber man uns orten konnte.«

      Erst jetzt verstand sie, worauf er hinauswollte. »Ich … ich bin nicht sicher.«

      »Denken Sie nach«, drängte Harry. »Zehn zu Eins, dass Sie einen Tracker bei sich haben.«

      Er sah zu ihr hinüber und musterte sie von oben bis unten. »Diese Ohrringe kommen mir bekannt vor.«

      »Sie gehörten meiner Mutter«, antwortete sie abwehrend.

      »Und Sie tragen sie sicher beinahe jeden Tag, oder?«

       10:12 Uhr

       CIA-Hauptquartier

       Langley, Virginia

      In dem Telefonkonferenzzimmer war es nicht übermäßig warm, wurde Kranemeyer bewusst, als er an einer Seite des Tisches Platz nahm. Präsident Hancock hatte noch nicht in der guten alten Tradition von Jimmy Carter auf die wirtschaftliche Lage reagiert, indem er einen Pullover trug, von den restlichen Regierungsangestellten schien man es aber zu erwarten.

      »Director Haskel«, begann Michael Shapiro und eröffnete damit die Konferenz. »Ich befinde mich hier im Beisein des Direktors des Clandestine Service, Bernard Kranemeyer, sowie dessen leitendem Analysten, Ron Carter. Fahren Sie doch fort.«

      »Danke, Mike«, antwortete Eric Haskel über die Videoverbindung. »Ich bin sicher, die Herren sind alle schwer beschäftigt, also will ich Sie nicht lange aufhalten. Kurz gesagt haben wir den Fahrer des Wagens identifizieren können, der heute Morgen gegen Director Lays SUV krachte, und unsere Untersuchungsergebnisse schließen eine Verbindung mit der russischen Mafia aus, wie sie von unseren Leuten zuerst vermutet wurde.«

      Ein Archivfoto erschien auf dem Bildschirm, während der FBI-Direktor weiter ausführte: »Michael Fedorenko, eingebürgerter US-Staatsangehöriger, vormals Mikhail Fedorenko aus der UdSSR. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam er im Alter von vierzig Jahren in dieses Land. Als ehemaliger Sprengstoffexperte der Roten Armee verdiente sich Fedorenko Ende der Neunziger ein ansehnliches Vermögen im Baugewerbe, hauptsächlich mit privaten Bauvorhaben im nördlichen Virginia.«

      Auf dem Bildschirm erschienen weitere Daten, hauptsächlich Finanzberichte. »Dann schlug 2008 die Finanzkrise zu und seine Baufirma ging den Bach runter. Ohne Arbeit und knapp bei Kasse schien Fedorenko zunehmend desillusioniert zu werden, was dieses Land angeht. Im Frühjahr 2009 schloss er sich einer TEA-Party-Gruppierung in Alexandria an und startete den erfolglosen Versuch, Bezirksleiter zu werden.«

      Shapiro nickte. »Und wie brachte es dieser Mann vom TEA-Party-Kandidaten zum Bombenattentäter?«

      »Wir untersuchen noch die Verbindungen«, antwortete Haskel mit fester Stimme. »Zudem überprüfen wir mögliche Verbindungen zwischen Fedorenko und Ihrem flüchtigen Agenten. Im Moment wissen wir folgendes.« Weitere Bilder erschienen auf dem Bildschirm. Dieses Mal zeigten sie ein SWAT-Team während eines Einsatzes. »Vor dreißig Minuten autorisierte ich ein SWAT-Team, Fedorenkos Farm außerhalb von Manassas durchsuchen zu lassen. Die Farm war verlassen, aber in der Scheune entdeckten sie Sprengkapseln, Dynamit und dreihundert Pfund Ammoniumnitrat.«

      Shapiro blinzelte und rückte seine Brille zurecht, während er wieder auf den Bildschirm sah. »Irgendwelche elektronischen Aufzeichnungen?«

      In diesem Moment brachte eine eintreffende Textnachricht Ron Carters Handy mit einem nervigen Geklimper zum Klingeln.

      Kranemeyer warf ihm einen mürrischen und missbilligenden Blick zu.

      »Negativ«, antwortete Haskel, der die Störung nicht bemerkt zu haben schien. »Ausgehend von seiner Verbindung zu TEA-Party schien Fedorenko von der Idee besessen gewesen zu sein, von der Bildfläche verschwinden zu können. Offenbar besaß er nicht einmal ein Handy.«

      »Außer jenem, das verwendet wurde, um die Bombe zu zünden«, warf Kranemeyer dazwischen.

      »Das ist korrekt, wahrscheinlich hat er es nur für diesen Zweck erworben. Es scheint sich bei der ganzen Sache um eine kleinere Operation zu handeln, und ich bin optimistisch, dass wir, vorausgesetzt, er ist noch am Leben, sowohl Lay als auch seine Tochter sehr schnell wiederfinden werden.«

      Carter sah von seinem Telefon auf. »Ich weiß nicht, ob ich Ihren Optimismus teilen kann, Direktor. Ich wurde soeben von einer Quelle darüber informiert, dass vor zehn Minuten die State Trooper in Virginia zu einem Doppelmord auf der Route 211 in der Nähe von Warrenton gerufen wurden. Bei beiden Opfern scheint es sich um Russen zu handeln. Vielleicht sollten wir die Verbindungen zur Mafiya noch nicht ganz ausschließen.«

       10:31 Uhr

       Culpeper, Virginia

      Harry mochte Farmen schon immer. Ländliche, abgelegene Orte. Ein Minimum an Menschen, dafür ein Maximum an Fernsicht. Weniger Menschen, die dumme Fragen stellen konnten, und weniger Kollateralschäden, falls etwas schieflief.

      Der einzige Nachteil war, dass sich hier jeder kannte.

      Aus diesem Grund befand sich das Safehouse auch weit abseits der Straße, am Ende einer langen Auffahrt, die von achtzigjährigen Kiefern abgeschirmt wurde.

      Harry stieß die Tür auf und stieg aus dem im Leerlauf befindlichen Tahoe. Seine Augen suchten das umliegende Gelände ab, während er zu dem Briefkasten lief, der neben dem Eingang der Auffahrt stand.

      Der Briefkasten war leer. Was zu erwarten war – sie hatten nie eine Zeitung abonniert. Er strich mit seiner Hand über die Seite des Briefkastens, dann stieg er in den SUV zurück.

      »Was sollte das mit der Kreide?«, hörte er Carol fragen. Er setzte ein grimmiges Lächeln auf und sah noch einmal zu der dünnen gelben Kreidelinie zurück, die quer über die Seite des Briefkastens verlief. Sie mochte noch nie im Außeneinsatz gewesen sein, aber ihr entging nur sehr wenig.

      »Das ist für den Verwalter«, erklärte er und legte einen Gang ein. »Damit er weiß, dass er nicht nach dem Rechten sehen muss.«

      Die Perlenohrringe lagen auf dem Armaturenbrett, von dem Griff an Harrys Colt in tausend Stücke zertrümmert. Der GPS-Tracker, der sich im linken Ohrring befunden hatte, war weiter gen Süden unterwegs, in der Satteltasche einer Harley-Davidson, in der Harry ihn bei einem Zwischenstopp an einer Tankstelle entsorgt hatte.

      Der Biker hatte so ausgesehen, als könne er ganz gut auf sich selbst aufpassen.

      »Tut mir leid, dass ich sie zerstören musste«, sagte Harry sanft, als der SUV der Auffahrt folgte.

      Sie sah ihn nicht an. »Das muss es nicht«, antwortete sie erzwungen ruhig. »Es gab keinen anderen Weg. Manchmal müssen eben selbst Erinnerungen dran glauben …«

       10:39 Uhr

       CIA-Hauptquartier

       Langley, Virginia

      Freefall. Der DCS schloss die Tür zu seinem Büro und sann noch einmal über Nichols‘ letzte Worte nach.

      Sie enthielten eine Botschaft, da war er sicher. Entgegen seiner Aussage gegenüber Carter und Lasker handelte es sich bei Freefall um mehr als nur einen Notfallcode. Dieser Code war benutzt worden.

      Ein Phantomschmerz schoss durch Kranemeyers nicht mehr vorhandenes rechtes Bein, als er zu seinem Tisch humpelte.

      Ein Foto stand auf seinem Tisch, das ihn beim 5.000-km-Lauf in Chesapeake