fuhr Harry fort und klappte seine Brieftasche auf. Der CIA-Ausweis war weitaus weniger protzig als eine FBI-Plakette, doch das fiel den wenigsten Leuten auf. »Ich brauche Ihren Wagen.«
»Was geht hier vor?«, fragte sie, eine Hand auf ihren Mund gepresst. Sie wich vor ihm zurück und ihre Angst stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Wer sind diese Leute?«
»Vertrauen Sie mir einfach, wenn ich Ihnen sage, dass Sie das nicht wissen wollen. Die Schlüssel?«
Sie ließ einen ängstlichen Blick zwischen seinem und Carols Gesicht hin und her huschen. »Sie stecken im Zündschloss.«
»Gut. Sie können mit den Rettungsdiensten mitfahren, wenn diese hier eintreffen. Bis dahin treten Sie bitte zurück.« Er deutete auf Carol. »Und Sie steigen ein.«
»Wo fahren wir hin?«, hörte er sie fragen. Harry zog einen dünnen Metallzylinder aus seiner Jackentasche und schraubte ihn auf das Mündungsgewinde seiner Colt. »Wir haben noch etwas zu erledigen.«
09:02 Uhr Ortszeit
Dan Ryan Expressway
Chicago, Illinois
Zu den Dingen, an die man sich in Amerika am schwersten gewöhnen konnte, gehörte, dass die Polizei hier tatsächlich einen ausreichenden Grund benötigte, um jemanden anzuhalten.
Tarik Abdul Muhammad faltete seine Hände und starrte von dem Rücksitz des SUV aus angestrengt auf den vorbeiziehenden dichten Verkehr hinaus. Um ihnen einen solchen Grund nicht zu geben, hatte er einen örtlichen Fahrer angefordert.
Selbst ein Schwarzer war für diese Aufgabe besser geeignet als die Männer, die er über die amerikanisch-mexikanische Grenze gebracht hatte. Obwohl es sich bei ihnen um erbitterte Kämpfer handelte, die bereit waren, für Allah ihr Leben zu lassen, sahen seine Pakistanis das Fahren von Autos als ultimativen Test ihrer Männlichkeit an. Ein Wettstreit, bei dem alle Mittel erlaubt waren.
In Peschawar mochte dies zu ihrem Vorteil gewesen sein, in einer eher zivilisierten Umgebung wie den Vereinigten Staaten hingegen hätten sie jedoch keine fünf Minuten überlebt.
Amerika. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und die Erinnerungen strömten auf ihn ein. Dem Land am nächsten gekommen war er bislang in Kuba. Die imperialistische Militärbasis mit Blick auf die Bucht von Guantanamo. Der Blick durch den Maschendrahtzaun.
Er beugte sich nach vorn und tippte dem Schwarzen auf die Schulter. »Wie lange noch, bis wir Dearborn erreichen?«
Sein Englisch hatte er auf diesem trostlosen Felsen in Kuba gelernt. Es war gut, wenn auch nicht fließend.
»Hey Mann, das hängt ganz allein vom Verkehr ab«, antwortete der schwarze Mann. »Sie wollen heute Nachmittag in der Moschee sein, nicht wahr?«
Tarik nickte. »Das wäre ideal.«
»Dann bringe ich Sie dahin, Bruder.«
Bruder? Tarik konzentrierte sich wieder auf den Verkehr draußen vor dem Fenster. Vielleicht …
10:03 Uhr
Der Highway
Virginia
Der Schütze war tot, sein Genick bei der Wucht des Aufpralls gebrochen. Wahrscheinlich hatte er davon nicht einmal etwas gespürt.
Harry erhob sich von der Stelle, wo der Attentäter wie eine kaputte Puppe auf dem Asphalt lag, und wendete sich dessen Partner zu.
Der Fahrer war von der Suzuki katapultiert worden und lag beinahe vier Meter entfernt. Er stöhnte, sein Helm war zur Hälfte abgerissen worden und ließ ein eindeutig slawisches Gesicht darunter erkennen. Sein rechtes Bein war unterhalb des Knies verdreht und stand in einem rechten Winkel von seinem Körper ab.
»Wer hat dich geschickt?«, fragte Harry auf Russisch und ließ sich neben dem Fahrer auf eines seiner Knie sinken.
Der Husten des Mannes war die einzige Antwort. Blut spritzte auf die Straße. Trotz funkelte in seinen Augen. Harry seufzte und sah sich um. Der Verkehr kam zum Erliegen. In wenigen Minuten würde die Polizei eintreffen.
Und auch er war jetzt ein gesuchter Mann. Nach einem kurzen Moment griff er nach unten, übte Druck auf das verletzte Bein des Russen aus und drehte es zur Seite.
»Ich will einen Namen«, flüsterte Harry, seine Lippen nur wenige Zentimeter von dem Ohr des mit dem Gesicht nach unten liegenden Mannes entfernt. »Nur ein Name und der Schmerz wird aufhören.«
Schweiß rann dem Russen übers Gesicht, kleine Tropfen, die in der kalten Winterluft gefroren. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, aber er gab keinen Laut von sich, biss die Zähne zusammen.
»Ein Name, das ist alles. Wer hat dich geschickt, mich umzubringen?«
Immer noch Schweigen. Nicht einmal ein Stöhnen drang über die Lippen des Fahrers. Ein weiterer Moment verging, dann ließ Harry das Bein los und stand auf.
»Wie du willst«, erklärte er und überprüfte noch einmal die Kammer seiner 1911, als wolle er sich überzeugen, ob sie geladen sei. »Du kannst Sergei Ivanovich eine Nachricht von mir überbringen.«
Und dann sah er es, genau in jenem letzten Moment, bevor er den Schalldämpfer seiner Colt zwischen die Augen des Russen presste und den Abzug drückte. Die Erkenntnis. Die Einsicht, dass er umsonst gestorben war.
Korsakov stand hinter diesem Anschlag.
10:06 Uhr
CIA-Hauptquartier
Langley, Virginia
»Wir bringen Einsatztrupps in Stellung – alles, was wir dafür noch brauchen, ist Ihre Unterschrift für die Autorisierung«, erklärte Kranemeyer und legte einen Aktenordner auf Shapiros Schreibtisch.
Der DD(I) setzte seine Brille auf, öffnete das Dossier und überprüfte die Akten. »Dafür braucht es nicht nur meine Unterschrift, Barney. Eine Operation dieser Größenordnung bedarf der grenzüberschreitenden Ermächtigung des Präsidenten.«
»Ich kenne die Standardvorgehensweise, Direktor«, antwortete Kranemeyer und beugte sich soweit nach vorn, bis seine Handflächen auf der glatten Glasfläche von Shapiros Schreibtisch ruhten. »Es bleibt jedoch der Umstand, dass der Präsident gerade zu einem G-8-Treffen in Paris weilt. Sein Augenmerk gilt derzeitig der unsicheren finanziellen Lage der EU und der jüngsten Debatte im Hinblick auf seine Wahlkampagne vor dem Supreme Court.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Barney?«
Kranemeyer stieß ein langes Seufzen aus. »Mein Punkt ist, dass uns nur wenige Stunden zum Handeln bleiben, sollte der DCIA kompromittiert worden sein. Der Präsident wird nicht schnell genug eine Entscheidung fällen, nicht bei all dem, was noch auf seinem Tisch liegt.«
Shapiro schien über das Argument für einen Moment nachzudenken, dann schloss er das Dossier. »Ich überlege es mir, Barney. In fünf Minuten habe ich eine Telefonkonferenz mit Direktor Haskel und dem Bureau. Wollen Sie mich begleiten?«
10:07 Uhr
Der Highway
Virginia
»Sie haben ihn umgebracht.« Das war eher eine Feststellung als eine Frage, aber in ihrer Stimme lag auch Zweifel.
Harry sah zu ihr hinüber und ihre Blicke trafen sich. Carols Gesicht war aschfahl und ihre Augen betrachteten ihn, als würden sie ihn zum ersten Mal ansehen.
»Sie hätten nicht zusehen sollen«, antwortete er und widmete seine Aufmerksamkeit wieder der Straße, während der Tahoe weiter in Richtung Culpeper dahinjagte. »Das ist nie besonders nett.«
»Nett?«, fragte sie ungläubig mit zitternder Stimme. »Wie konnten Sie so