Rainer Maria Rilke

Gedichte


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lagert er und wird nicht matt

      und wird nicht weniger und schwächer

      und schickt nicht Droher und Versprecher

      und Überreder in die Stadt.

      Er ist der große Mauerbrecher,

      der eine stumme Arbeit hat.

      Ich komme aus meinen Schwingen heim,

      mit denen ich mich verlor.

      Ich war Gesang, und Gott, der Reim,

      rauscht noch in meinem Ohr.

      Ich werde wieder still und schlicht,

      und meine Stimme steht;

      es senkte sich mein Angesicht

      zu besserem Gebet.

      Den andern war ich wie ein Wind,

      da ich sie rüttelnd rief.

      Weit war ich, wo die Engel sind,

      hoch, wo das Licht in Nichts zerrinnt –

      Gott aber dunkelt tief.

      Die Engel sind das letzte Wehn

      an seines Wipfels Saum;

      daß sie aus seinen Ästen gehn,

      ist ihnen wie ein Traum.

      Sie glauben dort dem Lichte mehr

      als Gottes schwarzer Kraft,

      es flüchtete sich Lucifer

      in ihre Nachbarschaft.

      Er ist der Fürst im Land des Lichts,

      und seine Stirne steht

      so steil am großen Glanz des Nichts,

      daß er, versengten Angesichts,

      nach Finsternissen fleht.

      Er ist der helle Gott der Zeit,

      zu dem sie laut erwacht,

      und weil er oft in Schmerzen schreit

      und oft in Schmerzen lacht,

      glaubt sie an seine Seligkeit

      und hangt an seiner Macht.

      Die Zeit ist wie ein welker Rand

      an einem Buchenblatt.

      Sie ist das glänzende Gewand,

      das Gott verworfen hat,

      als Er, der immer Tiefe war,

      ermüdete des Flugs

      und sich verbarg vor jedem Jahr,

      bis ihm sein wurzelhaftes Haar

      durch alle Dinge wuchs.

      Du wirst nur mit der Tat erfaßt,

      mit Händen nur erhellt;

      ein jeder Sinn ist nur ein Gast

      und sehnt sich aus der Welt.

      Ersonnen ist ein jeder Sinn,

      man fühlt den feinen Saum darin

      und daß ihn einer spann:

      Du aber kommst und giebst dich hin

      und fällst den Flüchtling an.

      Ich will nicht wissen, wo du bist,

      sprich mir aus überall.

      Dein williger Euangelist

      verzeichnet alles und vergißt

      zu schauen nach dem Schall.

      Ich geh doch immer auf dich zu

      mit meinem ganzen Gehn;

      denn wer bin ich und wer bist du,

      wenn wir uns nicht verstehn?

      Mein Leben hat das gleiche Kleid und Haar

      wie aller alten Zaren Sterbestunde.

      Die Macht entfremdete nur meinem Munde,

      doch meine Reiche, die ich schweigend runde,

      versammeln sich in meinem Hintergrunde

      und meine Sinne sind noch Gossudar.

      Für sie ist beten immer noch: Erbauen,

      aus allen Maßen bauen, daß das Grauen

      fast wie die Größe wird und schön, –

      und: jedes Hinknien und Vertrauen

      (daß es die andern nicht beschauen)

      mit vielen goldenen und blauen

      und bunten Kuppeln überhöhn.

      Denn was sind Kirchen und sind Klöster

      in ihrem Steigen und Erstehn

      als Harfen, tönende Vertröster,

      durch die die Hände Halberlöster

      vor Königen und Jungfraun gehn.

      Und Gott befiehlt mir, daß ich schriebe:

      Den Königen sei Grausamkeit.

      Sie ist der Engel vor der Liebe,

      und ohne diesen Bogen bliebe

      mir keine Brücke in die Zeit.

      Und Gott befiehlt mir, daß ich male:

      Die Zeit ist mir mein tiefstes Weh,

      so legte ich in ihre Schale:

      das wache Weib, die Wundenmale,

      den reichen Tod (daß er sie zahle),

      der Städte bange Bacchanale,

      den Wahnsinn und die Könige.

      Und Gott befiehlt mir, daß ich baue:

      Denn König bin ich von der Zeit.

      Dir aber bin ich nur der graue

      Mitwisser deiner Einsamkeit.

      Und bin das Auge mit der Braue ...

      Das über meine Schulter schaue

      von Ewigkeit zu Ewigkeit.

      Es tauchten tausend Theologen

      in deines Namens alte Nacht.

      Jungfrauen sind zu dir erwacht,

      und Jünglinge in Silber zogen

      und schimmerten in dir, du Schlacht.

      In deinen langen Bogengängen

      begegneten die Dichter sich

      und waren Könige von Klängen

      und mild und tief und meisterlich.

      Du bist die sanfte Abendstunde,

      die alle Dichter ähnlich macht;

      du drängst dich dunkel in die Munde,

      und im Gefühl von einem Funde

      umgiebt ein jeder dich mit Pracht.

      Dich heben hunderttausend Harfen

      wie Schwingen