Rainer Maria Rilke

Gedichte


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Gott bleibt über seinem Willen weit:

      da liebt er ihn mit seinem hohen Hasse

      für diese Unerreichbarkeit.

      Der Ast vom Baume Gott, der über Italien reicht,

      hat schon geblüht.

      Er hätte vielleicht

      sich schon gerne, mit Früchten gefüllt, verfrüht,

      doch er wurde mitten im Blühen müd,

      und er wird keine Früchte haben.

      Nur der Frühling Gottes war dort,

      nur sein Sohn, das Wort,

      vollendete sich.

      Es wendete sich

      alle Kraft zu dem strahlenden Knaben.

      Alle kamen mit Gaben

      zu ihm;

      alle sangen wie Cherubim

      seinen Preis.

      Und er duftete leis

      als Rose der Rosen.

      Er war ein Kreis

      um die Heimatlosen.

      Er ging in Mänteln und Metamorphosen

      durch alle steigenden Stimmen der Zeit.

      Da ward auch die zur Frucht Erweckte,

      die schüchterne und schönerschreckte,

      die heimgesuchte Magd geliebt.

      Die Blühende, die Unentdeckte,

      in der es hundert Wege giebt.

      Da ließen sie sie gehn und schweben

      und treiben mit dem jungen Jahr;

      ihr dienendes Marien-Leben

      ward königlich und wunderbar.

      Wie feiertägliches Geläute

      ging es durch alle Häuser groß;

      und die einst mädchenhaft Zerstreute

      war so versenkt in ihren Schooß

      und so erfüllt von jenem Einen

      und so für Tausende genug,

      daß alles schien, sie zu bescheinen,

      die wie ein Weinberg war und trug.

      Aber als hätte die Last der Fruchtgehänge

      und der Verfall der Säulen und Bogengänge

      und der Abgesang der Gesänge

      sie beschwert,

      hat die Jungfrau sich in anderen Stunden,

      wie von Größerem noch unentbunden,

      kommenden Wunden

      zugekehrt.

      Ihre Hände, die sich lautlos lösten,

      liegen leer.

      Wehe, sie gebar noch nicht den Größten.

      Und die Engel, die nicht trösten,

      stehen fremd und furchtbar um sie her.

      So hat man sie gemalt; vor allem Einer,

      der seine Sehnsucht aus der Sonne trug.

      Ihm reifte sie aus allen Rätseln reiner,

      aber im Leiden immer allgemeiner:

      sein ganzes Leben war er wie ein Weiner,

      dem sich das Weinen in die Hände schlug.

      Er ist der schönste Schleier ihrer Schmerzen,

      der sich an ihre wehen Lippen schmiegt,

      sich über ihnen fast zum Lächeln biegt –

      und von dem Licht aus sieben Engelskerzen

      wird sein Geheimnis nicht besiegt.

      Mit einem Ast, der jenem niemals glich,

      wird Gott, der Baum, auch einmal sommerlich

      verkündend werden und aus Reife rauschen;

      in einem Lande, wo die Menschen lauschen,

      wo jeder ähnlich einsam ist wie ich.

      Denn nur dem Einsamen wird offenbart,

      und vielen Einsamen der gleichen Art

      wird mehr gegeben als dem schmalen Einen.

      Denn jedem wird ein andrer Gott erscheinen,

      bis sie erkennen, nah am Weinen,

      daß durch ihr meilenweites Meinen,

      durch ihr Vernehmen und Verneinen,

      verschieden nur in hundert Seinen

      ein Gott wie eine Welle geht.

      Das ist das endlichste Gebet,

      das dann die Sehenden sich sagen:

      Die Wurzel Gott hat Frucht getragen,

      geht hin, die Glocken zu zerschlagen;

      wir kommen zu den stillern Tagen,

      in denen reif die Stunde steht.

      Die Wurzel Gott hat Frucht getragen.

      Seid ernst und seht.

      Ich kann nicht glauben, daß der kleine Tod,

      dem wir doch täglich übern Scheitel schauen,

      uns eine Sorge bleibt und eine Not.

      Ich kann nicht glauben, daß er ernsthaft droht;

      ich lebe noch, ich habe Zeit zu bauen:

      mein Blut ist länger als die Rosen rot.

      Mein Sinn ist tiefer als das witzige Spiel

      mit unsrer Furcht, darin er sich gefällt.

      Ich bin die Welt,

      aus der er irrend fiel.

      Wie er

      kreisende Mönche wandern so umher;

      man fürchtet sich vor ihrer Wiederkehr,

      man weiß nicht: ist es jedesmal derselbe,

      sinds zwei, sinds zehn, sinds tausend oder mehr?

      Man kennt nur diese fremde gelbe Hand,

      die sich ausstreckt so nackt und nah –

      da da:

      als käm sie aus dem eigenen Gewand.

      Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?

      Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?)

      Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?)

      Bin dein Gewand und dein Gewerbe,

      mit mir verlierst du deinen Sinn.

      Nach mir hast du kein Haus, darin

      dich Worte, nah und warm, begrüßen.

      Es fällt von deinen müden Füßen

      die Samtsandale, die ich bin.

      Dein