sich daran erinnerte, dass er ein Freund desjenigen Mannes war, der ihr das Porträt weggeschnappt hatte? Schließlich hatten Leonid und er bei
der Auktion zusammengesessen und …
Die Türglocke bimmelte schon wieder, rasch trat er einen Schritt zurück. Als er sich vorsichtig vorbeugte, stellte er fest, dass sie den Laden schloss. Johannes kniff sich in den Arm und gratulierte sich zu seinem Glück. Jetzt konnte er ihr folgen und fand vielleicht noch mehr heraus. Sein Jagdinstinkt war erwacht. Dieses Porträt barg ein Geheimnis, das hatte er sofort gespürt, und jetzt bot sich ihm unter Umständen die Möglichkeit, es aufzudecken.
Sie fuhr zügig, er folgte ihr in gebührendem Abstand. Schließlich stellte sie den Wagen ab und steuerte auf einen sehr schönen Altbau zu – er erinnerte sich an die aufwendige Sanierung des Hauses, in dem einige Luxuswohnungen entstanden waren. Sie klingelte, danach wartete sie.
Wenige Minuten später kam eine Frau aus dem Haus, bei deren Anblick Johannes der Atem stockte: Es war eindeutig die auf dem Gemälde abgebildete Frau. Sie war älter geworden, ihre Haare waren nicht mehr tiefschwarz, und auch die Frisur hatte sich verändert, aber es war dieselbe Frau. Sie umarmte ihre Besucherin liebevoll, dann machten sie sich zu Fuß auf den Weg Richtung Ortsmitte.
Johannes blieb noch einige Sekunden, wo er war, bevor er aus dem Auto stieg und den beiden folgte. Er kam sich ein wenig lächerlich vor bei diesem Detektivspiel, andererseits trieb ihn die Neugier an. Er war gespannt, was am Ende bei seiner Schnüffelei herauskommen würde.
*
»Schön, dass Sie so früh kommen konnten«, freute sich Baron Friedrich am Freitagnachmittag, nachdem er Leonid begrüßt hatte.
Dieser sah sich staunend um. »Ich hatte mir das Sternberger Schloss nicht so groß vorgestellt«, gestand er, »und das umgebende Gelände auch nicht. Das ist ja ein riesiges Areal.«
»Das ist es«, gab der Baron zu. »Möchten Sie gleich eine Führung haben oder soll Ihnen Herr Hagedorn zuerst Ihre Suite zeigen?«
Eberhard Hagedorn hielt sich im Hintergrund und wartete auf ein Zeichen des Barons.
»Wenn Sie bereit sind, mich gleich herumzuführen, wäre mir das am liebsten«, erklärte Leonid.
Friedrich nickte dem Butler zu, der sich daraufhin zurückzog. »Dann kommen Sie«, bat er. »Fangen wir mit den Pferdeställen an?«
»Gern, ja.«
Bevor sie die Ställe erreichten, sagte Friedrich: »Es hat eine kleine Kommunikationspanne zwischen mir und meiner Frau gegeben – aber da wir, um sie zu beheben, entweder Sie oder unseren anderen Gast hätten wieder ausladen müssen, haben wir beschlossen, es darauf ankommen zu lassen. Im Klartext: Während ich Sie eingeladen habe bei der Auktion, hat meine Frau ebenfalls eine Einladung ausgesprochen – an Clara von Bethmann.«
Leonid reagierte erst nach einigen Sekunden – und zwar mit schallendem Gelächter. »Sie wird nicht begeistert sein, lieber Herr von Kant!«
»Davon gehen wir auch aus, meine Frau und ich«, musste Friedrich zugeben.
Leonid lachte noch immer. »Wahrscheinlich fährt sie gleich zurück nach Hause«, vermutete er. Dann wurde er ernst. »Na ja, vielleicht auch nicht. Sie wirkte durchaus kampflustig.«
»Ich hoffe natürlich, dass es hier nicht zu einem Kampf kommt«, erklärte der Baron schmunzelnd.
Leonids dunkle Augen funkelten jetzt vor Vergnügen. »Warten wir es ab, Herr von Kant.«
Danach wandte sich das Gespräch den Pferden zu, denn sie betraten den ersten Stall. Aber obwohl sie sich lebhaft unterhielten, bemerkte Friedrich doch, dass sein junger Gast nicht ganz bei der Sache war. Ob das mit Claras bevorstehender Ankunft zu tun hatte?
Er war mittlerweile aufrichtig gespannt auf den Augenblick, da diese beiden eigensinnigen Menschen erneut aufeinandertreffen würden.
Während Baron Friedrich diesen Überlegungen nachhing, stellte Leonid zu seiner Überraschung fest, dass er sich auf Clara von Bethmanns Kommen freute. Sie hatte ihm ihren Zorn ungefiltert entgegengeschleudert, das hatte ihm imponiert. Und sie war zweifellos eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte.
Nur leider konnte er ihr nicht die Wahrheit sagen, um ihren Zorn zu besänftigen – und das fand er nun fast ein wenig bedauerlich.
*
Clara sann auf der Fahrt nach Sternberg dem Gespräch mit Irina Mahler nach, mit der sie vor ihrer Abreise noch einen Spaziergang gemacht hatte. Ihre ältere Freundin hatte ihr einiges zu erzählen gehabt. Offenbar unterrichtete sie seit einigen Tagen die Geschwister ihrer Haushaltshilfe, damit sie besser in der Schule mitkamen. »Aber warum tun Sie das, Frau Mahler?«
Die überraschende Antwort hatte gelautet: »Weil es mir Freude bereitet – und weil es den Kindern und vor allem meiner Lili hilft.«
Lili hatte Clara schon bei einigen Besuchen gesehen: ein schüchternes junges Mädchen, das sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte – das zumindest war Claras Eindruck von ihr gewesen. Dass sie ausgezeichnete Arbeit leistete, hatte Irina Mahler schon öfter erwähnt, und man sah es der Wohnung auch an. Alles blitzte vor Sauberkeit, wann immer Clara dort gewesen war.
Sie war noch zu keinem abschließenden Urteil über Irina Mahlers Handlungsweise gekommen, als Schloss Sternberg vor ihr auftauchte. Dieser erste Blick auf das Schloss, das majestätisch auf seinem Hügel thronte, war immer wieder erhebend und verscheuchte alle anderen Gedanken aus ihrem Kopf. Wenige Minuten später stellte sie ihren Wagen ab und stieg aus.
Im selben Moment wurde die große Flügeltür geöffnet, und die Baronin erschien, um sie zu begrüßen. »Es ist jedes Mal überwältigend, Sofia«, sagte Clara, »wenn man Schloss Sternberg nach längerer Zeit wiedersieht. Ich vergesse immer, wie groß und prächtig es ist.«
Sofia umarmte die junge Besucherin, dann veränderte sich plötzlich ihr Gesichtsausdruck, und Clara fragte: »Was ist denn?«
Da die Baronin nicht antwortete, sondern in einer Mischung aus Verlegenheit und Unbehagen auf einen Punkt hinter Claras Rücken starrte, drehte sie sich schließlich um. Die beiden Männer, die direkt auf sie zukamen, waren Baron Friedrich von Kant und Graf Leonid von Zydar.
Clara schnappte nach Luft. Hastig drehte sie sich wieder zu Sofia um. »Was soll das?«, fragte sie. »Wieso ist dieser Mensch hier?«
»Es war ein Versehen«, murmelte die Baronin, weiter kam sie jedoch nicht mit ihren Erklärungen, denn Friedrich und Leonid hatten sie nun erreicht.
»Willkommen auf Sternberg, Clara«, sagte der Baron.
Sie erwiderte den Gruß kühl, gleich darauf bohrte sich ihr Blick in den des russischen Grafen. »Wenn ich gewusst hätte, dass ich Sie hier treffe«, sagte sie kalt, »wäre ich nicht gekommen.«
»Das tut mir sehr leid«, erwiderte Leonid mit formvollendeter Höflichkeit. »Ich hatte gehofft, Ihr Zorn auf mich hätte sich in der Zwischenzeit ein wenig gelegt.«
»Keinesfalls.« Sie wandte sich an Sofia und Friedrich. »Und von euch hätte ich erwartet, dass ihr mich informiert, denn ihr hättet wissen können, dass ich auf dieses Zusammentreffen keinen Wert lege. Ich dachte, wir seien Freunde. Geht man so mit Freunden um?«
»Clara«, sagte die Baronin bittend, »wir wollten weder dich noch Graf Leonid wieder ausladen – wir hatten uns auf euch beide gefreut. Und da ich dich eingeladen hatte und Fritz den Grafen, ohne uns abzusprechen, mussten wir eine Entscheidung treffen. Wir haben also beschlossen, es darauf ankommen zu lassen, ob ihr euch die Augen auskratzt oder nicht.«
»Ich werde mit Sicherheit nichts dergleichen tun«, erklärte Leonid mit seinem charmantesten Lächeln. »Das verspreche ich hiermit hoch und heilig. Ich werde mich außerdem bemühen, Ihren Zorn nicht von neuem auf mich zu ziehen, Frau von Bethmann.«
Am liebsten hätte Clara ihm die Augen tatsächlich ausgekratzt, denn wenn sie sich nach diesen Worten wieder in ihr Auto setzte und zurückfuhr, war sie diejenige, die sich