Ludwig Thoma

Andreas Vöst


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      Die Dorfstraße von Erlbach lag still und verlassen; die Menschen hatten keine Zeit zum Spazierengehen, und die Hühner liefen als kluge Tiere um die Scheunen herum, wo sie manches Weizenkorn fanden.

      Einige Gänse saßen am Weiher, streckten die Hälse und stießen laute Schreie aus; das taten sie, weil sich die Türe eines kleinen Hauses öffnete und zwei Männer heraustraten.

      Der vordere trug einen Pickel auf der Schulter, der andere eine Schaufel, und sie gingen gegen die Kirche zu, in den Friedhof.

      Die eiserne Gittertür kreischte und fiel klirrend ins Schloß. Nun konnte es jeder wissen, daß die beiden Totengräber waren, und daß an diesem schönen Tage, mitten in dem emsigen Leben, ein Mensch gestorben war.

      Die zwei blieben nicht im Friedhof, sie stiegen über die niedrige Mauer und fingen neben derselben in einem verwahrlosten, kleinen Grasflecke zu graben an.

      Das war ungeweihte Erde, in die man Selbstmörder und ungetaufte Kinder legt. Es hatte sich aber kein Erlbacher selbst entleibt, sondern das neugeborene Kind des Schullerbauern Andreas Vöst war unter den Händen der Hebamme gestorben.

      Diese Person hatte nicht die Geistesgegenwart, sogleich die Nottaufe zu vollziehen; die Mutter war bewußtlos, und sonst war niemand anwesend, denn alle Hände waren zur Arbeit aufgeboten.

      So geschah es, daß die kleine Vöst nicht in den Schoß der heiligen Kirche gelangte und als Heidin nach einem viertelstündigen Leben verstarb.

      Ich weiß nicht, ob der liebe Gott den unchristlichen Zustand eines Kindleins so hart beurteilt wie seine Geistlichen, aber das eine ist gewiß, daß es nicht in geweihter Erde ruhen darf, worein nur Christen liegen; darunter manche sonderbare.

      Also deswegen warf der Totengräber Kaspar Tristl mit seinem Sohne neben der Kirchhofmauer die Grube auf.

      Er nahm den Hut ab; jedoch nicht aus Ehrfurcht, sondern weil es ihm warm wurde.

      Er wischte sich mit dem Hemdärmel über die Stirn und sagte:

      »Wenn er g'scheit g'wen woar, hätt er g'sagt, daß er eahm selm g'schwind d'Nottauf geben hat.« – Er meinte den Schuller.

      »Ja no,« sagte der Sohn und schaufelte gleichmütig weiter.

      Der Alte spuckte in die Hände und brummte:

      »Eigentli is 's dumm.«

      Dann arbeitete er wieder drauf los, und nach einer Weile war das Grab fertig. Es war klein und unansehnlich. Und da die Erde nicht sorgfältig daneben aufgeschichtet war, sondern mit Grasstücken untermengt herumlag, sah es recht jämmerlich aus.

      Tristl dachte wohl, daß es für ein Heidenkind schön genug sei, und er stieg bedächtig über die Mauer zurück. Es war spät geworden; die kleinen Holzkreuze der Armen lagen im Schatten, aber auf die hohen Grabsteine schien die Abendsonne, und die goldenen Buchstaben glänzten schier heller als am Tage.

      Die Reichen haben es überall besser.

      Der Totengräber ging mit seinem Sohne durch den Friedhof.

      Als er draußen war, sah er einen Mann mit raschen Schritten gegen den Pfarrhof zueilen.

      »Aha!« sagte er, »der Schuller geht zum Pfarrer. Dös werd eahm weng helfen.«

      Und er setzte hinzu: »Eigentli is 's dumm, daß a jeder Spitzbua drin liegen derf, und an unschuldig's Kind net.«

      Der Pfarrhof von Erlbach ist ein schönes, stattliches Gebäude, zwei Stockwerke hoch, jedes mit sechs Fenstern nach der Straße hinaus. An der hellgetünchten Mauer rankt üppige Klematis hinauf und gibt dem Hause ein freundliches Aussehen.

      Davor liegt ein Blumengarten; so bunt, wie es der Geschmack hierzulande liebt. Rote und gelbe Georginen, blasse Malven, dazu Astern in allen Farben sind in reichlicher Fülle da.

      Die Beete sind mit Reseden eingefaßt, und am Zaune bemerkt man auch eine Blume mit braunem Sammetkleide. Man heißt sie die schwäbische Hoffahrt.

      In der Mitte des Kiesweges, welcher zur Türe führt, ist ein Springbrunnen; daraus steigt ein Wasserstrahl in die Höhe, nicht dicker als eine Stricknadel, und fällt mit einem kaum vernehmlichen Plätschern nieder. Es ist ein Ort der Beschaulichkeit. Und darüber liegt eine Ruhe, welche dem heiligen Charakter des Hauses angemessen ist.

      Der Pfarrer wandelt hier mit ruhigen Schritten, während er im Gebete versunken ist; und der Kooperator geht so leise herum, daß man das Schmatzen seiner Lippen hört, wenn er sein Brevier liest. Ein gottseliges Wesen ist in der Luft und dringt durch die Fenster und Schlüssellöcher. Unsichtbare Englein fliegen herum, durch keinen rauhen Lärm verscheucht.

      Alle Türen klinken leise ein, und die fleischlichen Menschen schlürfen auf Pantoffeln durch den gewölbten Gang.

      An allen Wänden ist Frömmigkeit, nichts als Frömmigkeit.

      Hier hängt das Bild des Erlösers mit der Dornenkrone. Dicke, rotgemalte Blutstropfen stehen auf seiner Stirne und rinnen über den goldgestickten Krönungsmantel herab; dort ist Maria zu erblicken, die ihr Antlitz schmerzlich zum Himmel richtet. Aus ihren Augen fließen reichliche Tränen, und in ihre Brust sind spitzige Schwerter eingebohrt.

      Darunter steht: »Heilige Maria, Mutter des Weltheilands. Meines Herzens sehnlichster Wunsch und Gebet ist, daß mein Volk selig werde. Amen.« Über einer anderen Tür ist ein großes Herz gemalt, und wieder fallen Blutstropfen hernieder über die helle Wand. In großen Buchstaben liest man geschrieben: »Süßes Herz Jesu, sei meine Liebe!«

      Neben der Treppe ist ein kleiner Altar aufgebaut; davor leuchtet eine rote Ampel still und feierlich in dem Frieden dieses Hauses.

      Aber heute wurde es mit einem Male laut. Jemand riß heftig an der Glocke, daß sie durch den Gang schrillte, und als die Köchin Maria Lechner beim Öffnen der Türe den Ruhestörer zurechtweisen wollte, stapfte er schon an ihr vorbei auf genagelten Stiefeln.

      Die Schritte hallten an den Wänden wider, und bei dem ungewohnten Lärm zitterten die Heiligenbilder in ihren Rahmen, und die Englein flüchteten erschrocken durch das geöffnete Fenster.

      Auch Fräulein Lechner war aus ihrem Gleichmaße gebracht; während sie sonst, wenn Besuch kam, die Hände sittsam zum Gebete faltete, stemmte sie diesmal die Arme in die Seiten und fragte mit fetter Stimme: »Was ist denn das für ein Lümmel?«

      Es war Andreas Vöst, der Schullerbauer von Erlbach, und er stieß jetzt an alle Stufen an, daß die alte Stiege krachte und seufzte. Denn sie war an solche Tritte nicht gewöhnt.

      Oben unterbrach der Kooperator sein Gebet und schaute entsetzt auf den Gang hinaus. »Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er; der Schuller achtete nicht darauf und ging weiter bis zur vordersten Türe.

      Er hatte kein Empfinden für die Heiligkeit dieses Hauses, er klopfte mit groben Knöcheln an und wartete kaum auf das »Herein«. Und drinnen stand er breitbeinig vor seinem Seelsorger und sah ihn mit Blicken an, die keine Demut verrieten.

      Herr Georg Baustätter, Pfarrer in Erlbach und Kämmerer des Kapitels Berghofen, ging ihm entgegen und lächelte. Aber es lag Trauer in diesem Lächeln.

      Und er sagte: »Ich weiß, warum Ihr kommt, Vöst.«

      »Dös is net