Ludwig Thoma

Andreas Vöst


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      »Es ist die Vorschrift unserer heiligen Religion.«

      »So, heilig is dös?«

      »Werdet nicht heftig!« sagte der Pfarrer und sah auf seine gefalteten Hände nieder, »ich bin doch heute morgen bei Euch gewesen und habe Euch alles auseinandergesetzt.«

      »Ja, aba i hab gmoant, es kunnt no anderst wer'n. Jetzt hat da Kaspar scho 's Loch aufgraben. Mei Knecht hat'n g'sehg'n.«

      »Wir dürfen über die Gesetze unserer Kirche nicht murren; wir müssen bedenken, daß sie unsere Mutter ist und unser Bestes will ...«

      »Und mi müaßten ins no bedanka ...«

      »Unterbrecht mich nicht! Es geht Euch wie dem Sohne, der die Strenge der Mutter fühlt, aber nicht sieht, daß sie heilsam ist.«

      »Also is jetzt da gar nix mehr z'macha?«

      »Wir wollen hoffen, daß Gott dieses Kindlein in den Vorhof der Seligkeiten gelangen läßt; wir wollen darum beten, aber es steht nicht in unserer Macht, dasselbe in geweihter Erde zu begraben.«

      »Aba sinscht grabt's an jeden ei, und bal oana köpft werd, nacha grabt's 'n aa 'r ei, und bal ...«

      »Ihr versündigt Euch, aber ich will es verzeihen, weil Ihr schmerzlich bewegt seid.«

      »I hab koan Schmerz durchaus gar net,« sagte der Schuller und zog seinen ledernen Geldbeutel aus der Tasche. »I hab durchaus koan Schmerz net. Was koscht's, bal 's Kind in Freithof a richtig's Grab kriagt?«

      »Es sind Worte genug geredet, Vöst. Geht jetzt heim!«

      Die Stimme des Pfarrers klang noch immer sanft, aber seine Augen waren zornig.

      Der Schullerbauer achtete es nicht.

      »Wos?« sagte er, »ös mögt's mei Geld aa net? Dös muaß des erscht Mal sei, daß a Bauernmensch sei Geld net o'bringt.«

      »Geht heim, Vöst! Ich sage es zum letztenmal. Eure Gesinnung ist mir nicht unbekannt; ich weiß wohl, in welchem Hause die schlechtesten Reden geführt werden, und wo der Geist der Auflehnung waltet.«

      Der geistliche Hirte war heftig geworden, und er hatte alle Sanftmut verloren. Er hielt seine Hände nicht mehr gefaltet, sondern streckte die Rechte gebieterisch gegen die Türe aus. Der Schuller blickte ihn an.

      Nicht ängstlich und nicht zornig. Die Ruhe kam über ihn; gerade, als wäre er zufrieden damit, daß die geistliche Milde verschwunden war.

      Und er redete ohne Aufregung.

      »I geh' scho, Herr Pfarra. Sie hamm g'sagt, daß S' mi kenna. I kenn Eahna 'r aa, recht guat kenn i Eahna. Und i woaß aa, warum's g'rad bei mein Kind so hoakli is mit da Tauf.«

      Er ging zur Türe und hatte schon die Klinke in der Hand. Da drehte er sich noch einmal um.

      »Dös möcht' i no sag'n, Herr Pfarra. I bin net z'wegen meiner da herganga. Es is g'rad weg'n der Bäurin g'wen. Sinscht hätt'n S' mi wohl net g'sehg'n.«

      Und nach diesen Worten ging er. Als er auf den Gang hinaustrat, stand der Kooperator wenige Schritte entfernt, und Fräulein Lechner huschte eilig in ein Zimmer.

      Vöst merkte es nicht, weil ihm zuviel im Kopfe herumging. Und so entging ihm leider auch die Frömmigkeit des Herrn Kooperators, welcher eifrig in seinem Gebetbüchlein las und mit halblauter Stimme den Inhalt vor sich hin sagte.

      »Beschämung meiner selbst ... Unglückseliges Gedächtnis! Wie viele boshafte Gedanken hast du zugelassen! Unglückseliger Wille! Wie viele unordentliche Begierden hast du ausgekocht! O Sünde! Wie lieblich scheinest du, da man dich begeht! Wie bitter und abscheulich bist du, nachdem du geschehen ... Ja ... ich schäme mich ...«

      Den anderen Tag in aller Frühe wurde das Heidenkind begraben. Keine Glocke läutete, und kein Priester sprach ein Gebet.

      Die Hebamme trug den kleinen Sarg; hinterdrein gingen der Schullerbauer, der alte Weiß und der Haberlschneider.

      Sonst war niemand dabei.

      Der Totengräber Kaspar legte den Sarg ohne viele Umstände in die Grube und warf Erde und Gras darauf.

      »Koa Kreuz derf ma net hi'stecken?« fragte der Schuller.

      »Na,« sagte der Kaspar, »dös geht gar it. Was moanst denn?«

      »Nacha net. Jetzt is scho gleich. Geath's zua! Mi hamm da nix mehr z'toa.« Vöß drehte sich um und ging. Die anderen, folgten ihm.

      In Erlbach redete man ohne große Aufregung über die Begebenheit. Die Weiber hatten Bedauernis mit der Schullerin, weil ihr das Kind so unversehens weggestorben war, und bloß ein paar recht Fromme wußten es zu tadeln.

      Am ärgsten die Bäcker Ulrich Marie; aber die konnte sich nie genug tun mit der Frömmigkeit. Sie war bei der Bruderschaft vom blauen Skapulier und beim Verein der heiligen Kindheit, und machte jeden Montag den heldenmütigen Liebesakt für die armen Seelen. Da mußte ihr das Heidnische weh tun.

      Die Männer in der Gemeinde dachten nicht viel darüber nach, wie es mit dem Kinde im Jenseits bestellt sei.

      Ihnen lag das Weltliche im Sinn, und sie meinten, daß es zuwider sei für einen achtbaren Mann, wenn eines so ohne Sang und Klang und neben hinaus begraben wird. Mancher glaubte, der Pfarrer hätte es nicht mit jedem so streng gemacht.

      Man wußte, daß er eine heimliche Feindschaft gegen den Schuller hatte. Die stammte von der Zeit her, wo der Pfarrer einen neuen Kirchturm bauen wollte. Er hatte den alten Linnersteffel und den Hanrieder überredet, daß sie etliche tausend Mark für den Bau ins Testament einsetzten. Aber es langte nicht, und da wollte er die Gemeinde überreden, daß sie Geld für den Bau hergebe. Selbiges Mal redete der Schuller dagegen; er sagte auch, dem Linnersteffel sein Sohn hätte das Geld wohl brauchen können, das der Alte auf dem Sterbbett herschenkte.

      Der Pfarrer wurde rot über das ganze Gesicht und wieder schneeweiß. Er sagte, daß es schlecht aussehen müsse in dem Herzen eines Mannes, der den Priesterstand verunehre. Aber er wolle es verzeihen, wenn nur das gute Werk gelinge.

      Das gelang jedoch nicht, denn durch den Einfluß des Schuller fiel der Antrag durch. Hernach probierte es der Pfarrer auf andere Weise. Er ließ keine Glocke mehr läuten, und schrieb an das Bezirksamt, daß er auf dem Verbot bestehen müsse, weil der alte Turm so baufällig wäre. Es gab eine lange Streiterei hin und her. Die Gemeinde blieb fest, und der Schuller führte das Wort. Er sagte, bei Lebzeiten des alten Pfarrers Held, der doch erst ein Jahr vorher gestorben sei, da habe nie etwas verlautet von der Baufälligkeit. Weil man aber einen neuen Turm wolle und die Mittel nicht gutwillig kriege, wäre der alte Turm auf einmal wacklig geworden.

      Wenn es jedem recht traurig vorkomme, daß keine Glocke mehr auf Mittag und Abend läute, wäre die Gemeinde leichter bereit, das viele Geld herzugeben. So meinte der Herr Pfarrer, aber die Erlbacher meinten es anders. Nach langen Schreibereien entschied das Bezirksamt, daß der alte Turm keinen Schaden aufweise und das Läuten ertragen könne.

      Der Pfarrer war geschlagen und mußte seine Angst überwinden. Er ließ sich den Zorn nicht ankennen, aber im geheimen hatte er sich seine Feinde gemerkt, und dem Schuller trug er es nach und freute sich, daß er Gelegenheit hatte, ihm eines auszuwischen.