sagte der Kandidat der Theologie und setzte sich mit linkischer Bescheidenheit nieder.
Er hatte ein hübsches Gesicht und lustige braune Augen; seine Bewegungen verrieten Kraft und Geschmeidigkeit, aber er war nicht frei von der angelernten Würde, die man für den geistlichen Beruf braucht. Dazu kam noch einige Schüchternheit im Verkehr mit Damen, und Fräulein Sporner war ein schönes Mädchen, vor dem ein junger Studiosus wohl erröten konnte.
Darum war es nicht verwunderlich, daß Sylvester Mang sich einige Male durch die Locken fuhr und keinen rechten Platz für die Hände fand, und daß er nach längerem Besinnen sagte, es sei heute ein schöner Herbsttag.
»Wundervoll,« meinte Fräulein Sporner, »es ist überhaupt so hübsch hier.«
»Fräulein sind noch nicht länger da?« – »Nein.«
»Wir haben gerade von Ihnen geredet, Herr Mang,« sagte der Lehrer von Aufhausen. »Am nächsten Sonntag haben wir ein Hochamt, und da könnten wir einen guten Tenor brauchen.«
»Wenn Sie wünschen, stehe ich gerne zu Diensten.«
»Sie tun mir einen großen Gefallen damit.«
»Sie sind Sänger?« fragte das Fräulein.
»Ja, das heißt, ein wenig. Natürlich nicht geschult.«
»Der Herr Mang hat einen prachtvollen Tenor,« unterbrach ihn Stegmüller. »Ich sag' Ihnen, Fräulein, da können Sie in der Stadt lang suchen, bis Sie einen solchen Tenor finden.«
»Da freue ich mich auf den Sonntag.«
»Wenn Sie nur nicht zu stark enttäuscht werden, Fräulein. Ich habe gar keine Übung mehr.«
»Er ist überhaupt ein musikalisches Genie,« rühmte Stegmüller. »Ein Künstler auf der Violine. Ja, wenn ich das gekonnt hätte, säß ich nicht als Schullehrer in Erlbach! Eigentlich is 's schad, daß Sie Geistlicher werden.«
»Es ist ein idealer Beruf,« sagte Sylvester.
Und er sah bei diesen Worten nicht weniger altklug aus, wie andere junge Leute, welche etwas Großes behaupten.
Fräulein Sporner nickte ernst und verständnisvoll zu seinen Worten.
»Die Kunst, das wär mein Fall gewesen,« seufzte Stegmüller. »Frei sein, wie ein Vogel in der Luft und auf niemand Obacht geben. Und leben können, wo man will.«
»Treiben Sie auch Musik, Fräulein?« fragte er.
»Klavier habe ich gelernt, aber ich hab's nicht sehr weit gebracht.«
»Sie sollten einmal den Herrn Mang begleiten.«
»Da kann ich nicht genug.«
Sylvester freute sich, daß ein Gespräch im Gange war, in dem er seinen Mann zu stellen wußte. Er stellte höfliche Fragen und rühmte alle Werke, welche das Fräulein hervorhob.
Und als sie sagte, kein Lied gefalle ihr besser, als das »Am Meer« von Schubert, fiel Sylvester leise ein:
»Das Meer erglänzte weit hinaus ...«
»Auch das Gedicht ist herrlich,« lobte das Mädchen.
»Von Heine,« sagte er. »Ich hab es einmal bei einem Maifest gesungen, am Gymnasium. Der Rektor sagte aber, ich hätt' es nicht tun sollen.«
»Wenn es so schön ist!«
»Er meinte, weil Heine doch ein Gottesleugner war.«
Fräulein Sporner mußte wieder den Ernst des jungen Mannes bewundern.
An allen Tischen wurde die Unterhaltung lebhafter. Die Frauen hatten sich vieles zu erzählen; die eine hatte ihren Mann pflegen müssen, der andern war ein Kind krank geworden. Die Fleischpreise gingen in die Höhe, Schmalz und Eier wurden nicht billiger. Manche führten Klage über die Mühen ihres Eheherrn, und als vom Tanzsaal herunter schrille Musik und Stampfen vernehmlich wurden, sagte die Frau Stationskommandant: »Es wird doch hoffentlich nicht schon wieder eine Rauferei geben. Mein Mann weiß so nicht mehr wo aus, vor lauter Arbeit, und mit den jungen Gendarmen, die wir jetzt haben, ist ihm nicht viel geholfen. Gelt, Karl?«
»Jawoll,« sagte der Kommandant, welcher Karten spielte, »und warum gehen S' denn nicht mit Ihrem Grasober drauf?« fragte er, »ich hab doch Trumpf ang'spielt; wenn Sie draufgehen, haben wir ein' Stich mehr. Das hamm Sie nicht gut g'spielt, Herr Hilfslehrer.«
»Jetzt kommt die Hofdam',« sagte der Förster von Pellheim, und warf die Schellenaß auf den Tisch. »Ham S' no a Schell'n? Macht siebenundsechzig; is schon g'wonnen.«
»Sie müssen doch mit dem Grasober draufgehen und Eichel nachbringen. Ich trumpf und bring noch den König heim. Was gibt's, Herr Wirt?«
»Es waar guat, wenn S' a bissel raufschaueten, Herr Kommandant. Mit de Hochazeller Burschen hat's des Recht' net.«
»Gleich komm ich,« sagte der Kommandant und schnallte das Seitengewehr um. »Vielleicht gehen Sie mit, Herr Verwalter, weil Sie die Burschen kennen?«
Sie hörten schon auf der Stiege schreiende Stimmen.
»Hoscht du net auf ins hertanzt?«
»Ös habt's überhaupts koa Recht! Mir ham zahlt!«
Im Tanzsaal drängten sich die Burschen zusammen; das Licht der Petroleumlampe glühte rötlich durch den Dunst, und der Kommandant konnte sich nicht gleich zurechtfinden. Mitten im Knäuel stand ein lang gewachsener Mensch, der auf den Hierangl Xaver einredete.
»Bischt du vo Hochazell? Hoscht du mitzahlt?«
»I tanz, bal i mag,« sagte Xaver.
»G'hörscht du zu die Hochazeller? Hoscht du vielleicht an anders Recht?«
»Du Hanswurscht, du Dappiger!« schrie ein anderer.
Der Lange packte den Hierangl beim Rockkragen, die Hintenstehenden drängten vor.
»Auslassen, sog i!« schrie Xaver und suchte nach der Messertasche.
»Nehmt's eahm 's Messa!«
Der Kommandant sprang dazwischen.
»Was gibt's da? Auseinander da! Lassen S' sofort los!«
»Daß er ma's Messa nei'rennt!« schrie der Lange.
»Nach'n Messa hat a g'langt!« wiederholten die Burschen.
»Das geben S' einmal sofort her, Hierangl!«
Xaver wehrte sich noch immer wütend gegen den Langen und wollte sich losreißen. Ein anderer packte seinen Arm, und der Kommandant zog ihm das Messer aus der Tasche.
»Im Griff feststehend,« sagte er; »das werden wir noch kriegen. Und jetzt stellen S' Ihnen ruhig hin, sonst verhaft ich Ihnen vom Platz weg! Was hat's denn geben?« fragte er den Langen.
»Mir Hochazella ham ins oan aufspiel'n lassen; da tanzet er mit, und glei waar er auf mi herg'rumpelt aa no und hätt mi ani g'stessen.«