Ludwig Thoma

Andreas Vöst


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junge Herr trat in die Stube. Ein Blick auf die Alte zeigte ihm, daß hier nur mehr die Seele, nicht aber der Körper zu retten sei, und er ging berufsfreudig an sein Werk.

      »Warum habt Ihr so lange gewartet?« fragte er die Schullerin. »Ich fürchte, sie versteht meine Worte nicht mehr.«

      »Es is so schnell ganga, Hochwürden. Aba sie is no beim Vastand; sie hört no ganz guat, bloß müad is sie halt.«

      »Dann laßt uns jetzt allein!«

      Die Bäuerin ging hinaus, und der junge Mann setzte sich vor die Kranke hin. Er zog ein dickes Gebetbuch aus der Tasche und fragte mit lauter Stimme: »Hört Ihr meine Worte?«

      Zwei müde Augen schauten ihn an; es lag darin mit dem Aufbieten der letzten Kraft der Ausdruck von Ehrerbietung, und die Alte versuchte mit zitternder Hand das Zeichen des Kreuzes zu machen. Ein minder frommer Mensch wäre gerührt worden durch diese schlichte Ergebung und hätte sich demütig gebeugt vor der Würde der sterbenden Greisin. Aber Herrn Sitzberger konnte nichts Irdisches überwältigen; er fühlte sich nicht klein in dieser Stunde, sondern es erhob ihn der Besitz der geistlichen Gewalt über diese Seele.

      Und er sprach wieder so laut, daß ihn die Alte hören mußte: »Anastasia Vöst, Ihr seid nun an das Kreuz geheftet, und Ihr sehet der bitteren Todesstunde entgegen. Ihr müßt bedenken, daß der liebreichste Jesus für Euch ebenfalls Krankheiten getragen und Schmerzen auf sich geladen hat.

      Bittet ihn, daß er Euch wahre Geduld verleihe, und opfert ihm alle Glieder Eures Leibes auf, daß er sie strafen möge nach seinem göttlichen Wohlgefallen!«

      Die Alte verstand nicht alle Worte, aber sie fühlte dunkel, daß sie die Tröstungen der Religion bildeten, in welcher sie lange und gläubig gelebt hatte. Darum hob sie mühsam den Kopf und versuchte kurze Zeit, ihre Augen offenzuhalten.

      Herr Sitzberger fuhr eifrig weiter.

      »Ihr sollt nicht mehr an dieser Welt hängen und Euch das Scheiden von derselben schwer fallen lassen. Ihr sollt im Gegenteil von einem innigen Verlangen nach den Wohnungen des Himmels erfüllt sein. Ihr sollt sagen, daß Eure Seele dürstet und seufzt nach den Vorhöfen des Herrn. Wenn auch immerhin die Furcht vor dem Gerichte die Vorstellungskraft beängstigt und der Anblick Eurer Sünden Euren Geist in tödliche Traurigkeit versenkt.«

      Die Kranke bewegte die Lippen, und der Kooperator fragte:

      »Was wollet Ihr sagen?«

      Sie sprach kaum vernehmbar vor sich hin:

      »I hab allawei gern g'arbet. Es is mir it leicht an Arbet z'viel g'wen.«

      Dabei hielt die Alte die mageren Hände vor sich hin, als wollte sie die Ehrenmale der Arbeit zeigen; und ein freundliches Lächeln ging über ihr verwelktes Gesicht. Ja, wäre der liebe Gott in der Stube gesessen, dann wären ihm vielleicht die Augen naß geworden, und er hätte gesagt: »Das sind zwei ehrliche Hände, Anastasia Vöst, die du aufweisen kannst, und sie erzählen von nützlicher Arbeit. Die haben Gutes gewirkt im Leben, und mehr braucht es nicht für den Himmel.«

      So hätte der liebe Gott reden müssen, aber sein Stellvertreter meinte es anders. Er zeigte Ungeduld, oder größeren Eifer, und verstärkte die Stimme. »Ihr müßt Eure Gedanken gänzlich vom Irdischen abwenden, indem die sinnliche Welt Euch bald verschwunden sein wird. Und wenn Ihr in den Bedrängnissen des Todeskampfes erseufzet, müßt Ihr Gott bitten, daß er diese Seufzer als Wirkungen einer heiligen Ungeduld, zu ihm zu gelangen, aufnimmt. Versteht Ihr meine Worte?«

      Anastasia Vöst verstand sie nicht, sie hielt noch immer ihre Hände vor sich ausgestreckt und schaute sie lächelnd an. Da stand Herr Sitzberger auf und zuckte die Achseln.

      Er sagte zur Schullerin, welche still hereintrat: »Ihr hättet mich früher rufen sollen, so lange sie noch bei vollem Verstande war. Ich fürchte sehr, sie hat meine Worte nicht mehr erfaßt.«

      »Sie fallt so schnell z'samm, daß 's gar it zum glauben is, Hochwürden. Vor an anderthalb Stunden is sie no viel frischer g'wen. Mir wer'n Zeit hamm, daß ma s' no ins Bett einitragen. Und wann i bitten durft, daß Sie 's versehg'n, Hochwürden.«

      »Ich werde gleich zurückkommen, mit den heiligen Sakramenten,« sagte der Kooperator und ging schnell aus dem Hause.

      Der Xaverl stand noch immer am Fenster, aber er sollte doch nicht sehen, wie es ist, wenn ein Mensch stirbt.

      Denn die Schullerin und die Ursula trugen die Alte behutsam in ihr Austragszimmer und schlossen die Fensterläden. Darauf zündeten sie zu Häupten des Bettes zwei Kerzen an und begannen zu beten.

      In der Dorfgasse wurde es lebhaft; es war Feierabend. Die Leute kamen heim vom Acker; da blieb ein Nachbar beim andern stehen und redete davon, was man diesen Tag geschafft hatte, und was man vom nächsten erwarte.

      Beim Schmied wurde noch fleißig gehämmert; ein Gaul vom Bartlbauer brauchte neue Eisen, und der Weßbrunner ließ seinen Pflug schärfen. Einige Leute standen vor der Werkstätte und schauten zu; sie lobten das Pferd und sagten, der Bartlbauer hätte beim Kaufen eine glückliche Hand gehabt.

      Da kam der Mesner um das Eck herum, hinterdrein der Kooperator mit dem Allerheiligsten. Alle zogen den Hut, und der Schmied hielt mit der Arbeit ein.

      »Wer werd denn versehg'n?« fragte einer.

      »An Schuller sei Muatta.«

      »De alt Vöstin? Um de is schad,« sagte der Zwerger und schaute dem Kooperator nach.

      Einige Weiber schlossen sich dem traurigen Zug an.

      Als der Priester beim Schuller angekommen war, wandte er sich um und hob den Kelch mit der heiligen Wegzehrung in die Höhe.

      Die Leute knieten nieder und bekreuzten sich andächtig. Und die Bäcker Ulrich Marie betete mit lauter Stimme das Vaterunser vor.

      Viertes Kapitel

      Lieber Josepf!

      Ich deile Dir zum wiesen mit, das mir vor acht Dag die Muder eingraben ham. Mir haben nichts gemeint, indem es so schnell gangen ist. Aber der Vadder ist anderst zornig, weil die Muder ein Desdament gmacht hat und schenkt der Kirch finfhundert March fier den neien Durm. Beim Notari is das Desdament gwest und mir ham nichts gewußd.

      Lieber Josepf, wie get es Dir? Hofendlich get es Dir gut und darfst auf Weinachd heraus. Dem Brückl sein Fux hat umgschmiesen und eine Haksen brochen und hat ihn stechen müsen.

      Beim Elfinger und der Haslinger ham Schtraf zalen müsen, weil die Schaf reidig warn und habens nicht angezeichd. Es kost jeden dreisig March und is der Tirarzd nicht dabei. Da kost es noch mer. Das ist fiel Geld.

      Unsere Scheck hat die voring Woch ein Kalb kriegt; es ist siebsich Fund schwer und gesund. Der Woaz is gut hereinkomen, aber der Vadder schimbft wegen das Desdament.

      Lieber Josepf, hofendlich get es Dir gut und schreib bald.

      Es grießt Dich Deine Muther

      Diesen Brief erhielt der Soldat Josef Vöst vom 12. Infanterieregiment, und er konnte daraus sehen, daß sich daheim Gutes und Böses begab.

      Er dachte über beides nicht lange nach und war so wenig bekümmert wie andere junge Leute.

      Aber