eine den Gesetzen der Natur so widersprechende Entscheidung erörtern kann. Im Vergleich zu anderen Vertreterinnen Ihres Geschlechts sind Sie ein Phänomen. Nun denn, suchen wir einmal gemeinsam unvoreingenommen die Ursache dieser psychologischen Anomalie. Lebt in Ihnen, wie in vielen Frauen, die auf sich stolz und in ihre Vollkommenheit verliebt sind, ein Gefühl von raffiniertem Egoismus, das Ihren Abscheu erregt bei dem Gedanken, einem Manne anzugehören, sich Ihres Willens zu entäußern und einer konventionellen Überlegenheit, die Sie verletzt, unterworfen zu werden? Mir würden Sie tausendmal schöner erscheinen! Oder wurden Sie von einer ersten Liebe schnöde enttäuscht? Vielleicht läßt Sie der Wert, den Sie der Eleganz Ihrer Taille, Ihrer entzückenden Büste beilegen, die Verunstaltungen der Mutterschaft befürchten: wäre dies am Ende einer Ihrer stärksten geheimen Gründe, daß Sie es ablehnen, zu sehr geliebt zu werden? Oder haben Sie Unvollkommenheiten zu verbergen, die Sie gegen Ihren Willen tugendhaft machen? Werden Sie nicht böse, ich erörtere nur das Problem, ich studiere, ich bin tausend Meilen von der Leidenschaft entfernt. Die Natur, die Blinde zur Welt kommen läßt, kann ebensogut Frauen hervorbringen, die in der Liebe stumm, taub und blind sind. Wahrhaftig, Sie sind ein kostbares Objekt für die medizinische Forschung! Sie wissen gar nicht, was Sie wert sind. Ihr Ekel vor den Männern mag im übrigen höchst berechtigt sein; ich pflichte Ihnen bei, sie erscheinen mir alle sehr häßlich und unangenehm. Sie haben recht«, schloß ich, da ich fühlte, daß mir das Herz schwoll.
»Sie müssen uns verachten. Es gibt keinen Mann, der Ihrer würdig wäre!« Ich werde dir nicht alle sarkastischen Reden wiederholen, die ich ihr lachend herbetete. Indessen, das ätzendste Wort, die beißendste Ironie entlockten ihr weder eine Bewegung noch eine Gebärde des Unwillens. Sie hörte mir mit ihrem gewohnten Lächeln auf den Lippen und in den Augen zu, diesem Lächeln, das sie anlegte wie ein Kleidungsstück und das für ihre Freunde, ihre flüchtigen Bekannten und Fremde stets und ständig das gleiche war. – »Ist es nicht sehr gutmütig von mir, mich von Ihnen hier sezieren zu lassen?« sagte sie, einen Augenblick nutzend, in dem ich sie schweigend ansah. »Sie sehen«, fuhr sie lachend fort, »ich habe keine dummen Empfindlichkeiten in der Freundschaft. Viele Frauen würden Ihre Unverschämtheit strafen, indem sie Ihnen die Tür wiesen.« – »Sie können mich aus Ihrem Haus verbannen, ohne Rechenschaft für Ihre Strenge zu geben.« Während ich dies sagte, fühlte ich mich nahe daran, sie umzubringen, wenn sie mir den Abschied geben würde. – »Sie sind verrückt!« rief sie mit einem Lächeln. – »Haben Sie jemals daran gedacht«, fing ich wieder an, »welche Wirkung eine heftige Liebe haben könnte? Oft hat ein Mann aus Verzweiflung seine Geliebte umgebracht.« – »Besser tot als unglücklich« erwiderte sie kalt; »ein derart leidenschaftlicher Mann wird eines Tages seine Frau bettelarm im Stich lassen, nachdem er ihr Vermögen durchgebracht hat.« Diese Arithmetik machte mich sprachlos. Ein Abgrund tat sich zwischen mir und dieser Frau auf. Wir würden uns niemals verstehen können. »Adieu« sagte ich kühl. – »Adieu!« antwortete sie mit einem freundschaftlichen Nicken. »Auf morgen!« Ich sah sie mit einem Blick an, der ihr die ganze Liebe, der ich entsagte, vor sie hin schleuderte. Sie stand da und zeigte mir ihr banales Lächeln, das abscheuliche Lächeln einer Marmorstatue, das Liebe auszudrücken scheint und empfindungslos ist. Kannst du dir vorstellen, mein Lieber, welche Qualen in mir wüteten, als ich in Schnee und Regen über die eisglatten Quais eine Meile Wegs nach Hause ging, nachdem ich alles verloren hatte? Oh! zu wissen, daß sie an mein Elend nicht einmal dachte und mich reich wähnte wie sich und in einem weich gepolsterten Wagen sitzend! – Wie viele Trümmer, wie viele Enttäuschungen! Nicht um Geld handelte es sich mehr, sondern um alle Güter meiner Seele. Ich schritt aufs Geratewohl dahin, indem ich die Reden dieser seltsamen Unterhaltung hin und her drehte und mich so sehr in meinen Auslegungen verwickelte, daß ich schließlich an der wörtlichen Bedeutung der Worte und Begriffe zweifelte. Und ich liebte noch immer, liebte diese kalte Frau, deren Herz in jedem Augenblick neu erobert werden wollte, die an jedem Tage die Versprechungen des vorigen Tages auslöschte und sich am nächsten Tag wie eine neue Geliebte zeigte. Als ich an den Portalen des Instituts vorbeikam, befiel mich ein fiebriges Schauern. Es fiel mir ein, daß ich noch nichts gegessen hatte. Ich besaß keinen Heller. Um mein Unglück vollzumachen, brachte der Regen meinen Hut aus der Fasson. Wie sollte ich jemals ohne einen brauchbaren Hut vor eine elegante Frau hintreten und mich in einem Salon präsentieren! Längst verfluchte ich die dumme alberne Mode, die uns verdammt, durch beständiges In-der-Hand-Halten des Hutes das Hutfutter den Blicken preiszugeben; doch war es mir bisher durch äußerste Sorgfalt gelungen, den meinen in einem erträglichen Zustand zu erhalten. Ohne daß er auffallend neu oder abgenutzt alt, sehr seidig oder ganz ohne allen Glanz gewesen wäre, konnte er für den Hut eines sorgfältig gekleideten Menschen gelten; aber seine künstliche Existenz langte nun bei ihrer letzten Periode an; er war verbogen, zerbeult, fertig, ein wahrer Lumpen, würdiger Repräsentant seines Herrn. Wegen fehlender 30 Sous ging ich meiner mühsamen Eleganz verlustig. Oh! Wie viele Opfer hatte ich Fœdora seit drei Monaten gebracht, von denen sie nichts wußte! Oft gab ich das Geld für eine Woche Brot dahin, um sie einen Augenblick zu sehen. Meine Arbeit liegenlassen und hungern, das war nichts! – aber durch die Straßen von Paris eilen, ohne sich bespritzen zu lassen, rennen, um nicht in den Regen zu kommen, in ebenso tadelloser Kleidung vor ihr zu erscheinen wie die Stutzer, die sie umgaben –, ja, diese Aufgabe barg für einen verliebten und zerstreuten Poeten unzählige Schwierigkeiten! Mein Glück, meine Liebe hing von einem Spritzerchen Straßenschmutz auf meiner einzigen weißen Weste ab! Darauf verzichten zu müssen, sie zu sehen, wenn ich schmutzig oder naß wurde! Nicht fünf Sous zu besitzen, um von einem Stiefelputzer die Kotspritzer auf meinen Stiefeln entfernen zu lassen! Und trotz aller dieser kleinen unbekannten Martern, die für einen reizbaren Menschen ungeheuer waren, war meine Leidenschaft gewachsen. Die Unglücklichen müssen Opfer bringen, über die sie mit den Frauen, die in einer Sphäre des Luxus und der Eleganz leben, nicht sprechen dürfen; jene sehen die Welt durch ein Prisma, das Menschen und Dinge vergoldet. Optimistisch aus Egoismus, grausam aus gutem Ton, schenken sich diese Frauen das Nachdenken um des Genießens willen und sprechen sich von ihrer Gleichgültigkeit gegen das Unglück damit frei, daß sie vom Vergnügen zu sehr in Anspruch genommen sind. Für sie ist ein Heller eine Million, die Million scheint ihnen ein Heller. Wenn die Liebe ihre Sache mit großen Opfern verfechten muß, so muß sie diese auch zartfühlend mit einem Schleier verhüllen, sie im Stillschweigen begraben. Den reichen Männern aber kommen, wenn sie sich aufopfern und ihr Vermögen und ihr Leben