liebt, gehört sich nicht mehr und kann sich nicht einmal töten. Die Liebe verleiht uns eine Art Verehrung unseres eigenen Ich, wir achten in uns ein anderes Leben; sie wird dann zum schrecklichsten Unglück, zu einem Unglück, das Hoffnung in sich trägt, eine Hoffnung, die uns Folterqualen willig ertragen läßt. Ich schlief mit der Absicht ein, am nächsten Tage Rastignac den eigentümlichen Entschluß von Fœdora anzuvertrauen. »Aha!« sagte Rastignac, als er mich um neun Uhr morgens bei sich eintreten sah, »ich weiß, was dich herführt, gewiß hat dir Fœdora den Abschied gegeben. Ein paar gute Seelchen, die auf deine Machtstellung bei der Comtesse neidisch waren, haben eure Heirat angekündigt. Gott weiß, welche Torheiten dir deine Nebenbuhler angedichtet haben und welche Verleumdungen über dich im Schwange waren.« – »Nun wird mir alles klar!« rief ich aus. Ich rief mir alle meine Unverschämtheiten ins Gedächtnis zurück und fand die Comtesse erhaben. Nach meiner Meinung war ich ein Schuft, der noch nicht genug gelitten hatte, und ich erblickte in ihrer Nachsicht jetzt nur noch die barmherzige Geduld der Liebe.
»Nur nicht so rasch!« sagte der kluge Gascogner. »Fœdora besitzt den natürlichen Scharfblick der zutiefst egoistischen Frauen; sie hat ihr Urteil über dich vermutlich schon zu dem Zeitpunkt gefällt, als du nur ihr Vermögen und ihren Luxus in ihr sahst; trotz deines geschickten Auftretens wird sie dich durchschaut haben. Sie verstellt sich selbst so sehr, daß die Verstellungskünste eines anderen keine Gnade mehr vor ihr finden. Ich fürchte«, sagte er, »daß ich dich auf einen schlechten Weg gebracht habe. Trotz der Feinheit ihres Geistes und ihrer Manieren scheint mir dieses Wesen sehr herrisch, wie alle Frauen, deren Vergnügen nur durch den Kopf geht. Das Glück liegt für sie einzig im Wohlstand, in gesellschaftlichen Vergnügungen, bei ihr ist das Gefühl eine Rolle, die sie spielt; sie würde dich unglücklich machen, und du wärst nur ihr erster Lakai.« Rastignac predigte tauben Ohren. Ich unterbrach ihn und schilderte ihm mit vorgetäuschter Leichtfertigkeit meine finanzielle Lage. »Gestern abend«, sagte er, »hat eine Pechsträhne meine ganze Barschaft dahingerafft. Ohne dieses gemeine Mißgeschick hätte ich gern meine Börse mit dir geteilt. Aber laß uns frühstücken gehen, vielleicht geben uns die Austern einen guten Rat.« Er kleidete sich an und ließ sein Tilbury anspannen. Wie zwei Millionäre langten wir im Café de Paris an, mit der Dreistigkeit jener kühnen Spekulanten, die von imaginären Kapitalien leben. Der verteufelte Gascogner verblüffte mich durch die Ungezwungenheit seiner Manieren und sein unerschütterlich sicheres Auftreten. In dem Augenblick, da wir nach einer höchst delikaten und trefflich zusammengestellten Mahlzeit den Kaffee einnahmen, sagte Rastignac, der mittlerweile eine ganze Anzahl junger Leute mit einem Kopfnicken begrüßt hatte, die durch ihr Benehmen und die Eleganz ihrer Kleidung bestachen, als er einen dieser Dandys eintreten sah: »Das ist dein Mann!« Und er gab einem feinen, mit einer prächtigen Krawatte ausstaffierten Herrn, der einen passenden Tisch zu suchen schien, ein Zeichen, daß er ihn sprechen wolle. »Dieser Bursche«, flüsterte Rastignac mir ins Ohr, »hat Orden dafür bekommen, daß er Werke veröffentlicht, die er nicht versteht. Er ist Chemiker, Historiker, Romanschriftsteller, Publizist. Er ist zu Vierteln, zu Dritteln, zur Hälfte an den Bezügen aus soundsovielen Theaterstücken beteiligt und dennoch so dumm wie der Maulesel von Don Miguel. Das ist kein Mensch, es ist ein Name, ein dem Publikum vertrautes Etikett. Er würde sich wohl hüten, in eins jener Kabinette einzutreten, wo drübersteht: »Hier kann man selbst schreiben.« Er ist gewitzt genug, einen ganzen Kongreß hinters Licht zu führen. Mit einem Wort, er ist ein Mischling der Moral, weder ganz ehrlich noch ganz Spitzbube. Aber still darüber! Er hat sich schon geschlagen, mehr verlangt die Welt nicht und heißt ihn: Ehrenmann!« – »Nun, mein vortrefflicher Freund, mein verehrter Freund, wie befinden sich Eure Intelligenz?« begrüßte Rastignac den Unbekannten, als er sich an einen Nachbartisch setzte. »Weder gut noch schlecht. Ich bin mit Arbeit überhäuft. Ich habe das gesamte notwendige Material für sehr interessante historische Memoiren in den Händen, aber ich weiß nicht, wen ich damit betrauen soll. Das macht mir Sorge, Eile tut not, denn Memoiren kommen aus der Mode.« – »Sind es zeitgenössische, aus früherer Zeit, über den Hof, oder worüber?« – »Über die Halsbandaffäre.«34
»Ist es nicht ein Wunder!« sagte Rastignac lachend zu mir. Sich wieder an den Spekulanten wendend, fuhr er dann fort und deutete auf mich: »Monsieur de Valentin ist ein Freund von mir, den ich Ihnen als eine unserer zukünftigen literarischen Berühmtheiten vorstellen darf. Er hatte früher eine Tante, die bei Hofe sehr angesehen war, eine Marquise, und seit zwei Jahren arbeitet er an einer royalistischen Geschichte der Revolution.« Indem er sich dem Ohr dieses sonderbaren Handelsmannes näherte, sagte er noch: »Er hat Talent, aber er ist ein Habenichts, der Ihnen im Namen seiner Tante Ihre Memoiren verfassen kann, für 100 Taler pro Band.« – »Ich bin mit dem Handel einverstanden« antwortete der andere und schob seine Krawatte in die Höhe. »Kellner, meine Austern, rasch!« – »Aber Sie müßten mir 25 Louisdors Provision geben und ihm einen Band im voraus bezahlen«, sagte Rastignac. – »Nein, nein. Ich schieße nur 50 Taler vor, um sicher zu sein, daß ich bald mein Manuskript bekomme.« Rastignac wiederholte mir diese geschäftlichen Bedingungen mit leiser Stimme. Hierauf antwortete er ihm, ohne mich erst zu fragen: »Wir sind einverstanden. Wann dürfen wir zu Ihnen kommen, um das Geschäft abzuschließen?« – »Nun, kommen Sie morgen abend um sieben Uhr hierher zum Diner.« Wir erhoben uns. Rastignac warf dem Kellner ein Trinkgeld zu, schob die Rechnung in seine Tasche, und wir gingen fort. Ich war höchst erstaunt über die Leichtfertigkeit und Unbekümmertheit, mit der er meine hochachtbare Tante, die Marquise de Montbauron, verkauft hatte. – »Ich will mich lieber nach Brasilien einschiffen und dort den Indianern Algebra beibringen, wovon ich keinen Deut verstehe, als den Namen meiner Familie in den Schmutz zu ziehen!« Rastignac antwortete mir mit lautem Gelächter. – »Bist du ein Esel! Nimm erst mal die 50 Taler und verfasse die Memoiren. Wenn sie fertig sind, weigerst du dich, den Namen deiner Tante darunterzusetzen, Dummkopf! Die Reifröcke, das hohe Ansehen, die Schönheit, die Schminke, die Pantöffelchen der Madame de Montbauron, die noch dazu auf dem Schafott gestorben ist, sind viel mehr wert als 600 Francs. Wird der Buchhändler dann nicht für deine Tante zahlen, was sie wert ist, wird er schon noch einen alten Betrüger oder irgendeine obskure Comtesse finden, die ihm seine Memoiren zeichnete – »Oh!« rief ich aus, warum habe ich meine tugendhafte Mansarde verlassen? Wie sind die Kehrseiten der Welt doch abscheulich gemein!« – »Gut, das war Poesie, hier dreht’s sich aber um Geschäfte«, sagte Rastignac. »Du bist ein Kind. Höre: Was die Memoiren angeht, so wird das Publikum