Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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glänz­te. Ein jun­ges Kätz­chen hock­te, vom Duft der Milch an­ge­lockt, auf dem Tisch und ließ sich von Pau­li­ne mit Kaf­fee be­spren­keln; Pau­li­ne neck­te es, zog ihm die Sah­ne weg, an der es ge­ra­de mal schnup­pern durf­te, um es in Ge­duld zu üben und das mut­wil­li­ge Spiel fort­zu­set­zen; sie brach bei je­dem sei­ner pos­sier­li­chen Be­we­gun­gen in La­chen aus und ver­fiel auf tau­sen­der­lei Scher­ze, um Ra­pha­el am Le­sen der Zei­tung zu hin­dern, die ihm wohl schon zehn­mal aus den Hän­den ge­fal­len war. Es lag in die­ser Mor­gen­sze­ne eine Fül­le un­aus­sprech­li­chen Glücks, wie in al­lem, was na­tür­lich und wahr ist. Ra­pha­el tat im­mer so, als läse er sein Blatt, be­ob­ach­te­te in­des ver­stoh­len Pau­li­ne bei ih­ren Ne­cke­rei­en mit der Kat­ze, sei­ne Pau­li­ne, in einen lan­gen Mor­gen­man­tel gehüllt, der sie sei­nen Bli­cken nicht völ­lig ver­barg, sei­ne Pau­li­ne mit ih­rem noch un­ge­ord­ne­ten Haar und dem klei­nen wei­ßen, blau­ge­äder­ten Fuß, der in ei­nem schwar­zen Samt­pan­tof­fel steck­te. In ih­rem Nég­ligé war sie ent­zückend an­zu­se­hen, köst­lich wie die phan­tas­ti­schen Ge­stal­ten von We­stall,16 schi­en sie Mäd­chen und Frau zu­gleich zu sein; mehr Mäd­chen viel­leicht als Frau, ge­noß sie ein un­ge­trüb­tes Glück und kann­te von der Lie­be nur die ers­ten Won­nen. Kaum hat­te Ra­pha­el über sei­ner sü­ßen Träu­me­rei sei­ne Zei­tung ver­ges­sen, als Pau­li­ne nach ihr griff, sie zu­sam­men­knüll­te, eine Ku­gel aus ihr ball­te und sie in den Gar­ten warf; die Kat­ze sprang der Po­li­tik hin­ter­her, die sich wie im­mer um sich selbst dreh­te. Als Ra­pha­el, von die­ser kind­li­chen Sze­ne er­hei­tert, sei­ne Lek­tü­re fort­set­zen und das ent­schwun­de­ne Blatt auf­he­ben woll­te, brach fri­sches, fröh­li­ches La­chen los, das wie der Ge­sang ei­nes Vo­gels sich selbst im­mer von neu­em er­zeugt.

      »Ich bin ei­fer­süch­tig auf die Zei­tung«, sag­te sie und trock­ne­te die Trä­nen, die bei ih­rem kind­li­chen Ge­läch­ter her­vor­ge­schos­sen wa­ren. »Ist es nicht ein fre­vel­haf­ter Treu­bruch«, fuhr sie, plötz­lich die Frau her­vor­keh­rend, fort, »daß du in mei­ner Ge­gen­wart rus­si­sche Pro­kla­ma­tio­nen liest und daß du die Pro­sa des Za­ren Ni­ko­laus mei­nen Wor­ten und Bli­cken der Lie­be vor­ziehst?«

      »Ich habe nicht ge­le­sen, ge­lieb­ter En­gel, ich habe dich an­ge­se­hen.«

      In die­sem Au­gen­blick hör­te man den schwe­ren Schritt des Gärt­ners her­an­kom­men, un­ter des­sen nä­gel­be­schla­ge­nen Stie­feln der Sand der Gar­ten­we­ge knirsch­te:

      »Ent­schul­di­gen Sie, Mon­sieur le Mar­quis, wenn ich Sie und Ma­da­me stö­re, aber ich brin­ge ein Ding, das so selt­sam ist, wie ich noch keins ge­se­hen habe. Zieh ich doch eben, mit Re­spekt zu sa­gen, einen Ei­mer Was­ser hoch und brin­ge da die­se ku­rio­se Was­ser­pflan­ze mit her­auf! Hier ist sie! Das Ding muß ganz gut ans Was­ser ge­wöhnt sein, denn es war gar nicht auf­ge­weicht und nicht ein­mal feucht. Tro­cken wie ein Stück Holz und da­bei kein biß­chen Fett dran. Mon­sieur le Mar­quis sind si­cher ge­lehr­ter als ich, und da dach­te ich, ich will es Ih­nen brin­gen, das wird Sie in­ter­es­sie­ren.«

      Da­mit zeig­te der Gärt­ner Ra­pha­el das un­er­bitt­li­che Cha­grin­le­der, das kei­ne sechs Zoll im Qua­drat mehr maß.

      »Dan­ke, Va­niè­re«, sag­te Ra­pha­el; »das Ding ist sehr merk­wür­dig.«

      »Was hast du, mein En­gel? Du wirst blaß!« rief Pau­li­ne.

      »Es ist gut. Ge­hen Sie, Va­niè­re!«

      »Dei­ne Stim­me ängs­tigt mich«, fing das jun­ge Mäd­chen wie­der an, »sie ist selt­sam ver­än­dert. Was hast du? Wie fühlst du dich? Wo tut es dir weh? Dir ist nicht wohl! – Ein Arzt!« rief sie; »Jo­na­thas, zu Hil­fe!«

      »Sei still, lie­be Pau­li­ne!« er­wi­der­te Ra­pha­el, der sich wie­der ge­faßt hat­te; »wir wol­len hin­aus­ge­hen. Hier in der Nähe muß eine Blu­me sein, de­ren Duft mir Übel­keit er­regt. Vi­el­leicht ist es die­ses Ei­sen­kraut?«

      Pau­li­ne stürz­te sich auf den un­schul­di­gen Strauch, riß ihn her­aus und warf ihn in den Gar­ten.

      »O mein Al­les!« rief sie, um­schlang Ra­pha­el fest und stark wie ihre Lie­be und bot ihm mit be­se­li­gen­der Hin­ga­be ihre glü­hen­den Lip­pen zum Kuß; »als ich dich er­blei­chen sah, wuß­te ich, daß ich dich nicht über­le­ben wür­de: dein Le­ben ist mein Le­ben! Ra­pha­el, mein Ra­pha­el, leg dei­ne Hand auf mei­nen Rücken! Ich spü­re noch den fros­ti­gen Schau­er dort, noch die Käl­te. Dei­ne Lip­pen glü­hen. Und dei­ne Hand? … Sie ist eis­kalt.«

      »När­ri­sches Kind!« rief Ra­pha­el.

      »Was soll die­se Trä­ne?« frag­te sie. »Laß mich sie trin­ken.«

      »O Pau­li­ne, Pau­li­ne, du liebst mich zu sehr!«

      »Es geht et­was Au­ßer­or­dent­li­ches mit dir vor, Ra­pha­el. Sag mir die Wahr­heit, ich wer­de dein Ge­heim­nis doch bald er­fah­ren. Gib mir das!« Da­mit griff sie nach dem Cha­grin­le­der.

      »Du bist mein Hen­ker!« rief der jun­ge Mann und warf einen grau­en­vol­len Blick auf den Ta­lis­man.

      »Wie ver­än­dert dei­ne Stim­me ist!« er­wi­der­te Pau­li­ne und ließ den ver­häng­nis­vol­len Schick­sals­kün­der fal­len.

      »Hast du mich lieb?« frag­te er.

      »Ob ich dich lie­be, ist das eine Fra­ge?«

      »Nun, dann laß mich, geh!«

      Das arme Kind ging.

      »Da ist Mon­sieur La­vril­le«, sag­te ei­ner der Wär­ter zu Ra­pha­el, der nach die­sem Ho­he­pries­ter der Zoo­lo­gie ge­fragt hat­te.

      Der Mar­quis sah ein klei­nes Männ­chen, das beim An­blick zwei­er En­ten tief in wei­se Be­trach­tun­gen ver­sun­ken schi­en. Der Ge­lehr­te stand in mitt­le­ren