zu sehen. Wir können sie sogar leugnen, wie wir Gott leugnen. Wo ist sie? Wo ist sie nicht? Wo beginnt sie? Wo ist ihr Ursprung? Wo ist ihr Ende? Sie umgibt uns, drängt uns und entweicht uns. Sie ist klar wie eine Tatsache, dunkel wie eine Abstraktion, ist Ursache und Wirkung in einem. Sie braucht wie wir den Raum, und was ist der Raum? Die Bewegung allein erklärt ihn uns; ohne die Bewegung ist er nichts mehr als ein leeres Wort ohne Sinn. Die Bewegung ist wie der leere Raum, wie die Schöpfung, wie das Unendliche ein unlösbares Problem, sie verwirrt das menschliche Denken, und alles, was der Mensch zu begreifen vermag, ist, daß er sie niemals begreifen wird. Zwischen jedem der Punkte, die diese Kugel nacheinander im Raum einnimmt, klafft für die menschliche Vernunft ein Abgrund, der Abgrund, in den Pascal gestürzt ist. Um nun auf den unbekannten Stoff, den Sie einer unbekannten Kraft unterwerfen wollen, einzuwirken, müssen wir zuerst diesen Stoff untersuchen; nach seiner Natur wird er entweder unter einem Stoß zerbrechen oder wird ihm widerstehen; wenn er in Stücke bricht und es nicht in Ihrer Absicht liegt, ihn zu teilen, so können wir das gesetzte Ziel nicht erreichen. Wollen Sie ihn komprimieren, so muß auf alle Teile des Stoffes eine gleiche Bewegung derart übertragen werden, daß der Raum zwischen den Teilen gleichmäßig vermindert wird. Wollen Sie ihn ausdehnen, so müssen wir versuchen, auf jedes Molekül eine gleiche exzentrische Kraft auszuüben; denn ohne genaue Anwendung dieses Gesetzes würden wir den Zusammenhang des Stoffes vernichten. Sie müssen bedenken, die Bewegung kennt unendliche Modalitäten, zahllose Kombinationen. Zu welcher Wirkung wollen Sie sich entschließen?«
»Monsieur«, versetzte Raphael ungeduldig, »ich wünsche irgendeinen Druck, der stark genug ist, um dieses Leder beliebig zu dehnen …«
»Da die Substanz nicht beliebig groß, sondern begrenzt ist«, erwiderte der Mathematiker, »kann sie nicht beliebig oder unbegrenzt gedehnt werden; der Druck wird mit Notwendigkeit den Umfang auf Kosten der Dicke vergrößern; die Substanz wird dünner werden, bis es an Materie zu fehlen beginnt …«
»Wenn Sie dieses Resultat erreichen«, rief Raphael, »so haben Sie Millionen verdient!«
»Ich würde Ihnen Ihr Geld stehlen«, erwiderte der Professor mit dem Phlegma eines Holländers. »Ich will Ihnen mit zwei Worten eine Maschine beschreiben, unter der sogar Gott selber wie eine Fliege zerquetscht würde. Sie ist imstande, einen Menschen samt Stiefeln, Sporen, Krawatte, Hut, Geld, Schmuck, kurz, mit allem in ein Blatt Löschpapier zu verwandeln …«
»Was für eine furchtbare Maschine!«
»Anstatt ihre Kinder ins Wasser zu werfen, sollten die Chinesen sie sich lieber auf diese Weise nutzbar machen«, fuhr der Gelehrte fort, ohne daran zu denken, daß ein Mensch seinen Nachkommen eine gewisse Achtung zollen sollte.
Planchette war ganz von seiner Idee erfüllt, nahm einen leeren Blumentopf, der ein Loch im Boden hatte, und stellte ihn auf die Scheibe der Sonnenuhr; dann holte er aus einem Winkel des Gartens etwas Ton. Raphael stand gespannt da wie ein Kind, dem seine Amme ein Märchen erzählt. Planchette legte seinen Ton auf die Scheibe, zog dann ein Gartenmesser aus der Tasche, schnitt zwei Holunderzweige ab und begann, das Mark herauszudrücken, dabei pfiff er vor sich hin, als ob Raphael gar nicht da wäre.
»Da haben wir die einzelnen Bestandteile der Maschine«, sagte er.
Mit Hilfe eines aus dem Ton geformten Knies befestigte er eine der Holzröhren am Boden des Topfes, so daß die Öffnung des Holunders mit dem Loch des Topfes verbunden war. Es sah wie eine unförmige Pfeife aus. Auf der Scheibe breitete er eine Schicht des Tons aus, daß die Form einer Schaufel entstand, setzte den Blumentopf auf den breitesten Teil und drückte den Holunderzweig auf dem Teil, der den Griff vorstellte, fest. Schließlich klebte er etwas Ton um das äußere Ende des Holunderrohrs, steckte den zweiten hohlen Zweig aufrecht hinein, formte den Ton zu einem zweiten Kniestück, das ihn mit dem horizontalen Zweig verband, so daß die Luft oder eine beliebige Flüssigkeit in dieser improvisierten Maschine von der Mündung des vertikalen Rohres durch den Verbindungskanal bis zu dem leeren Blumentopf fließen konnte.
»Dieser Apparat, Monsieur«, sagte er nun zu Raphael mit dem Ernst eines Akademikers, der seine Antrittsvorlesung hält, »ist eine der wunderbarsten Erfindungen des großen Pascal.«
»Ich verstehe nicht.«
Der Gelehrte lächelte. Er nahm von einem Obstbaum ein Fläschchen, in der sein Apotheker ihm eine Flüssigkeit zum Fangen der Ameisen geschickt hatte; er schlug den Boden ab, so daß ein Trichter entstand, hielt ihn sorgfältig auf die Öffnung des hohlen Zweiges, den er vertikal gegenüber dem großen Reservoir, das der Blumentopf bildete, in den Ton gesteckt hatte; dann goß er aus einer Gießkanne so viel Wasser in den Trichter, daß es in dem großen Topf und in dem kleinen kreisrunden Mundstück des Holunderzweiges gleich hoch stand. Raphael dachte an sein Chagrinleder.
»Das Wasser«, dozierte der Mechaniker, »gilt heute noch als ein Körper, der nicht komprimiert werden kann; beachten Sie dieses fundamentale Prinzip; es kann allerdings komprimiert werden, aber nur so gering, daß wir seine Kontraktionsfähigkeit gleich Null setzen dürfen. Sehen Sie die Oberfläche des Wassers, das in den Blumentopf gelangt ist?«
»Ja, Monsieur«.
»Nun nehmen Sie an, diese Oberfläche wäre tausendmal größer als das Mundstück des Holunderrohrs, durch das ich die Flüssigkeit eingegossen habe. Sehen Sie, ich nehme den Trichter weg.«
»Ganz recht.«
»Wenn ich nun irgendwie das Volumen dieser Masse vergrößere, indem ich durch das Mundstück des kleinen Rohrs noch Wasser einführe, so wird die Flüssigkeit darin hinuntergetrieben und in dem Reservoir, das der Blumentopf bildet, steigen, bis die Flüssigkeit in beiden gleich hoch steht …«
»Das ist einleuchtend!« rief Raphael.
»Aber der Unterschied ist der«, fuhr der Gelehrte fort, »daß, wenn die dünne Wassersäule, die in das kleine Vertikalrohr eingeführt wird, dort eine Kraft darstellt, die beispielsweise etwa dem Gewicht eines Pfundes entspricht, daß sich dann in dem Blumentopf, da die Leistung des Wassers sich getreu auf die flüssige Masse überträgt und auf alle Punkte der Wasseroberfläche im Blumentopf einwirkt, tausend Wassersäulen befinden, die alle die Tendenz haben, zu steigen, als wären sie von einer Kraft getrieben, die derjenigen gleich ist, welche die Flüssigkeit in dem vertikalen Holunderzweig herabtreibt, und also mit Notwendigkeit hier« – er deutete auf die Öffnung des Blumentopfes – »eine Leistung hervorbringen, die tausendmal beträchtlicher