aus dem Bett, stand strahlend schön in ihrem Musselin vor Raphael und setzte sich ihm auf den Schoß. »Von welchem Abgrund sprachst du denn, Liebster?« fragte sie, und ihre Stirn zeigte ihre Besorgnis.
»Vom Tode.«
»Du tust mir weh«, antwortete sie; »es gibt Vorstellungen, die wir armen Frauen nicht ertragen können; sie töten uns. Kommt es von unserer starken Liebe oder vom Mangel an Mut? Ich weiß es nicht. Der Tod schreckt mich nicht.« Dabei lachte sie schon wieder. »Mit dir morgen früh in einem letzten Kuß zu sterben wäre eine Wonne. Mir ist, als hätte ich schon mehr als 100 Jahre gelebt. Was liegt an der Zahl der Tage, wenn wir in einer Nacht, in einer Stunde ein ganzes Leben voller Frieden und Glück ausgeschöpft haben?«
»Du hast recht. Aus deinem holden Mund spricht der Himmel. Laßt ihn mich küssen, und dann wollen wir sterben.«
»Sterben wir also!« gab sie lachend zur Antwort.
Gegen neun Uhr morgens schien der Tag durch die Spalten der Jalousien; die Musselinvorhänge dämpften das Licht, aber schon konnte man die kräftigsten Farben des Teppichs und die seidenglänzenden Möbel des Zimmers erkennen, in dem die beiden Liebenden ruhten. Vereinzelt schimmerten Vergoldungen auf. Ein Strahl erstarb auf dem weichen Daunenkissen, das im Liebesspiel zu Boden gefallen war. Paulines Kleid, das an einem hohen Spiegel aufgehängt war, sah wie eine Geistergestalt aus. Die zierlichen Schuhe waren weit vom Bett entfernt liegengelassen worden. Eine Nachtigall hatte sich aufs Fensterbrett gesetzt; ihr helles Singen, ihr rascher Flügelschlag, als sie plötzlich davonflog, weckten Raphael auf.
»Wenn ich sterben soll«, sagte er sich und vollendete damit einen Gedanken seines Traumes, »muß mein Organismus, dieser Apparat von Fleisch und Knochen, der von meinem Willen beseelt ist und aus mir ein menschliches Individuum macht, eine beträchtliche Schädigung aufweisen. Die Ärzte müssen die Symptome der angegriffenen Lebenskraft erkennen und mir sagen können, ob ich gesund oder krank bin.«
Er betrachtete seine schlafende Frau, die seinen Kopf umschlungen hielt und ihn auch im Schlummer mit der zärtlichen Fürsorge der Liebe umgab. Zierlich ausgestreckt wie ein Kind, das Gesicht ihm zugewandt, schien Pauline ihn noch immer anzusehen, ihm den hübschen halbgeöffneten Mund darzubieten, aus dem ihr regelmäßiger, reiner Atem drang. Ihre kleinen schimmernden Zähne hoben das Rot ihrer frischen Lippen hervor, um die ein Lächeln schwebte; die rosige Färbung ihres Antlitzes war in diesem Augenblick lebhafter, sein Weiß gewissermaßen noch weißer als in den verliebtesten Stunden des Tages. Ihre anmutige Hingegebenheit, aus der so reines Vertrauen sprach, fügte dem Zauber der Liebe noch den wundervollen Reiz schlummernder Kindheit hinzu. Selbst die natürlichsten Frauen gehorchen während des Tages gewissen gesellschaftlichen Konventionen, die naive Gefühlsäußerungen hemmen, der Schlaf jedoch scheint ihnen jene unbefangene Natürlichkeit wiederzugeben, die die ersten Lebensjahre so köstlich schmückt: Pauline errötete über nichts, sie war eins der holden himmlischen Geschöpfe, denen die Vernunft noch keine Gedanken in die Bewegungen, keine Geheimnisse in die Blicke gemischt hat. Ihr Profil hob sich klar von dem feinen Batist der Kopfkissen ab; die breiten Spitzenrüschen, die sich in ihr gelöstes Haar mischten, gaben ihr ein leicht schelmisches Aussehen; aber sie war auch in Wonne eingeschlafen. Ihre langen Wimpern ruhten auf ihren Wangen, wie um die Augen vor grellem Licht zu schützen oder die Seele, wenn sie eine vollkommene, aber flüchtige Lust festzuhalten sucht, in ihrer Sammlung zu unterstützen; ihr zierliches, rosiges Ohr, das, von Haaren umlockt, aus Mechelner Spitzen hervorschaute, hätte einen Künstler, einen Maler, einen Greis vor Liebe den Verstand verlieren oder gar einen Wahnsinnigen wieder zu Verstand kommen lassen. Seine schlafende Geliebte zu sehen, wie sie unter dem Schutze des geliebten Mannes friedlich lächelnd schlummert, wie sie ihn noch im Traum, wo das Leben geschwunden zu sein scheint, liebt und ihm schweigend die Lippen darbietet, die noch im Schlafe vom letzten Kusse erzählen; eine Frau zu sehen, die arglos, halbnackt, aber in ihre Liebe wie in einen Mantel gehüllt und inmitten der Auflösung keusch daliegt, ihre da und dort verstreuten Kleidungsstücke zu bewundern, diesen Seidenstrumpf, der am Abend vorher dem Liebsten zu Gefallen rasch abgestreift wurde, den gelösten Gürtel, aus dem grenzenloses Vertrauen spricht – ist das nicht namenlose Freude? Dieser Gürtel ist ein ganzes Gedicht; die Frau, die er schützte, existiert nicht mehr; sie gehört dem Geliebten, ist eins geworden mit ihm; verrät er sie von nun an, verwundet er sich selbst. Raphael sah sich gerührt in diesem Zimmer um, das voller Liebe, voller Erinnerungen war, das der Tag in wollüstiges Licht tauchte, und wandte dann seinen Blick wieder der Frau mit ihren reinen, jungen Formen zu, die noch in der Liebe weilte, deren Gefühle mehr als alles andere ihm ungeteilt gehörten. Er wünschte, ewig zu leben. Als sein Blick auf Pauline fiel, schlug sie mit einem Mal die Augen auf, als hätte ein Sonnenstrahl sie getroffen.
»Guten Morgen, mein Freund«, begrüßte sie ihn lächelnd. »Wie schön du bist, Böser.«
Ihre beiden Köpfe, ganz von der Anmut verklärt, welche die Liebe, die Jugend, die Dämmerung und das Schweigen verliehen, zeigten eines jener göttlichen Bilder, deren flüchtiger Zauber nur den ersten Tagen der Leidenschaft gehört, wie Naivität und Unschuld die Attribute der Kindheit sind. Ach, diese Lenzfreuden der Liebe müssen entschwinden wie das Lachen unserer Kindertage und leben nur in unserer Erinnerung fort, um uns je nach den Launen der geheimen Vorgänge unseres Inneren entweder trostlos zu machen oder uns flüchtige Tröstung zu gewähren.
»Warum bist du erwacht?« sagte Raphael; »ich war so glücklich, dich schlafend zu sehen, daß ich weinte.«
»Auch ich habe heute nacht geweint«, erwiderte sie, »als ich deinen Schlummer bewachte, aber nicht vor Freude. Höre, mein Raphael, höre mich an! Wenn du schläfst, ist dein Atem nicht frei, es ist etwas Rasselndes in deiner Brust, das mir Angst gemacht hat. Während du schläfst, hast du so einen kurzen, trockenen Husten, der aufs Haar dem meines Vaters gleicht, der an der Schwindsucht dahinsiecht. An dem Geräusch deiner Lungen habe ich einige Symptome dieser Krankheit erkannt. Und du hattest Fieber, ich weiß es gewiß, deine Hand war feucht und glühend. Geliebter, du bist jung«, fügte sie hinzu und schauerte zusammen, »du könntest noch geheilt werden, wenn zum Unglück … Aber nein«, rief sie froh, »es ist kein Unglück, die Krankheit ist ansteckend, sagten die Ärzte.« Sie umschlang Raphael mit beiden Armen und sog seinen Atem mit einem Kuß ein, in den die ganze Seele strömte. »Ich will keine alte Frau werden. Wir wollen zusammen jung sterben und mit Blumen in den Händen gen Himmel pilgern.«
»Solche Pläne macht man leicht, wenn