Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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      Ge­gen die­ses An­sin­nen er­ho­ben Bris­set und Mau­gre­die leb­haf­ten Ein­spruch und lehn­ten es trotz der dring­li­chen Bit­ten des Kran­ken ab, in sei­ner An­we­sen­heit zu be­ra­ten. Ra­pha­el füg­te sich dem Brauch; er ge­dach­te aber, sich in einen klei­nen Gang zu schlei­chen, von dem aus er die me­di­zi­ni­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die zwi­schen den drei Pro­fes­so­ren ent­bren­nen wür­den, leicht ver­fol­gen konn­te.

      »Mes­sieurs«, sag­te Bris­set, als sie ein­ge­tre­ten wa­ren, »ge­stat­ten Sie mir, Ih­nen so­fort mei­ne Mei­nung dar­zu­le­gen. Ich will sie Ih­nen we­der auf­drän­gen noch sie be­strit­ten se­hen; ers­tens ist sie be­stimmt und si­cher; sie re­sul­tiert aus ei­ner völ­li­gen Ähn­lich­keit zwi­schen ei­nem mei­ner Kran­ken und dem Pa­ti­en­ten, zu des­sen Un­ter­su­chung wir hier­her ge­ru­fen wor­den sind; zwei­tens er­war­tet man mich in mei­ner Kli­nik. Der Fall, der mei­ne An­we­sen­heit dort er­for­der­lich macht, ist so wich­tig, daß Sie ent­schul­di­gen, wenn ich als ers­ter das Wort er­grei­fe. Das ›Sub­jek­t‹, mit dem wir es zu tun ha­ben, ist in glei­cher Wei­se von geis­ti­gen Ar­bei­ten er­schöpft … Was hat er denn ge­schrie­ben, Horace?« Da­mit wand­te er sich an den jun­gen Arzt.

      »Eine Theo­rie des Wil­lens!«

      »Don­ner­wet­ter! das ist frei­lich ein weit­rei­chen­des The­ma! Er ist, sage ich, durch über­mä­ßi­ge Geis­tes­ar­beit, durch eine un­ver­nünf­ti­ge Le­bens­wei­se, durch die wie­der­hol­te An­wen­dung zu star­ker Sti­mu­lan­ti­en er­schöpft. Die stän­di­ge Auf­peit­schung des Kör­pers wie des Ge­hirns hat die Tä­tig­keit des gan­zen Or­ga­nis­mus durch­ein­an­der­ge­bracht. Mes­sieurs, es ist leicht, in den Sym­pto­men des Ge­sichts­aus­drucks und des Kör­pers eine star­ke Rei­zung des Ma­gens, die Neu­ro­se des großen Sym­pa­thi­kus, die leb­haf­te Emp­find­lich­keit des Epi­ga­stri­ums und die Ve­ren­gung des Hy­po­chon­dri­ums zu er­ken­nen. Sie ha­ben die An­schwel­lung und das Her­vor­tre­ten der Le­ber be­merkt. Schließ­lich hat Mon­sieur Bian­chon die Ver­dau­ung sei­nes Pa­ti­en­ten stän­dig be­ob­ach­tet und uns mit­ge­teilt, daß sie schwer und müh­sam ist. Gen­au­ge­sagt ist kein Ma­gen mehr da; der ei­gent­li­che Mensch ist ver­schwun­den. Der In­tel­lekt ist ge­schwächt, weil der Mann nicht mehr ver­daut. Die fort­schrei­ten­de Ver­än­de­rung des Epi­ga­stri­ums, des Zen­trums des Le­bens, hat das gan­ze Sys­tem ge­stört. Von dort wer­den die dau­ern­den und un­be­streit­ba­ren Stö­run­gen aus­ge­strahlt; sie ha­ben durch das Ner­ven­ge­flecht auf das Hirn über­ge­grif­fen, da­her die au­ßer­or­dent­li­che Reiz­bar­keit die­ses Or­gans. Es liegt eine Mo­no­ma­nie vor. Der Kran­ke wird von ei­ner fi­xen Idee ver­folgt. Für ihn wird die­ses Stück Cha­grin­le­der wirk­lich klei­ner, viel­leicht ist es aber im­mer so groß ge­we­sen, wie wir es ge­se­hen ha­ben; aber ob es sich zu­sam­men­zieht oder nicht, die­ses Cha­grin­le­der ist für ihn die Mücke auf der Nase des Groß­we­sirs. Set­zen Sie un­ver­züg­lich Blut­egel an das Epi­ga­stri­um, be­ru­hi­gen Sie die Rei­zung die­ses Or­gans, in dem das mensch­li­che Le­ben sei­nen Sitz hat, sor­gen Sie für eine stren­ge Diät, und die Mo­no­ma­nie wird wei­chen. Ich brau­che Dok­tor Bian­chon nichts wei­ter zu sa­gen; er muß die Be­hand­lung vor­neh­men, im Gan­zen wie in den Ein­zel­hei­ten. Vi­el­leicht liegt ein Zu­sam­men­wir­ken von Krank­hei­ten vor, viel­leicht sind die Atem­we­ge gleich­falls in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen; aber ich hal­te die Be­hand­lung des Ver­dau­ungs­ap­pa­ra­tes für weitaus wich­ti­ger, not­wen­di­ger, dring­li­cher als die der Lun­gen. Die an­ge­spann­te Be­schäf­ti­gung des Geis­tes mit ab­strak­ten Ge­gen­stän­den und hef­ti­ge Lei­den­schaf­ten ha­ben in die­sem le­bens­not­wen­di­gen Mecha­nis­mus erns­te Stö­run­gen her­vor­ge­ru­fen; aber es ist noch nicht zu spät, des­sen Trieb­kräf­te wie­der­her­zu­stel­len; es ist noch nichts zu ein­grei­fend ver­än­dert. Sie kön­nen also Ihren Freund mü­he­los ret­ten«, wand­te er sich ab­schlie­ßend an Bian­chon.