Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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die­sem Scha­kal, der von sei­ner Schnüf­fel­na­se lebt, der die Ka­da­ver riecht und als Ers­ter her­bei­ge­lau­fen kommt, um sich den größ­ten Kno­chen zu si­chern. Stellt euch nur ein­mal bei­de Män­ner vor: der eine hat einen spit­zen Kat­zen­kopf, er ist ma­ger, ge­wandt; der an­de­re ist mas­sig und fett, plump wie ein Sack, be­harr­lich wie ein Di­plo­mat. Nu­cin­gen hat eine schwe­re Hand und den to­ten Blick des Bör­sen­spe­ku­lan­ten; sei­ne Kampf­me­tho­de ist nicht ein Drauf­ge­hen, son­dern ein stil­les Über­lis­ten; er ist nie zu durch­schau­en, man weiß nichts von sei­nem Kom­men, wäh­rend die Schlau­heit je­nes du Til­let nur zu ver­glei­chen ist mit ei­nem zu dün­nen Fa­den: er reißt, wie Na­po­le­on ein­mal von ir­gend­wem ge­sagt hat.«

      »Ich sehe ei­gent­lich kei­ne an­de­re Über­le­gen­heit Nu­cin­gens über du Til­let, als die, her­aus­ge­fun­den zu ha­ben, daß ein Finanz­mann nur Baron zu sein braucht, wäh­rend du Til­let sich in Ita­li­en zum Gra­fen er­he­ben las­sen will,« sag­te Blon­det. »Blon­det … ein Wort, mein Jun­ge,« sag­te Cou­ture. »Zu­nächst hat Nu­cin­gen aus­zu­spre­chen ge­wagt, daß es nur schein­bar Ehren­män­ner gibt; fer­ner muß man, um ihn gut zu ken­nen, mit sei­nen Ge­schäf­ten ver­traut sein. Die Bank ist bei ihm das we­nigs­te. Er hat die Lie­fe­run­gen für die Re­gie­rung, die Wei­ne, die Wä­sche, den In­di­go, kurz­um al­les, was ir­gend­ei­nen Ge­winn ab­wirft. Al­les, was ihm Vor­teil bringt, weiß er sich zu ver­schaf­fen. Die­ser Finanz­rie­se wür­de dem Mi­nis­te­ri­um De­pu­tier­te ver­kau­fen und den Tür­ken die Grie­chen. ›Der Han­del ist für ihn‹, wür­de Cou­sin sa­gen, ›die Ge­samt­heit der Ein­zel­hei­ten, die Ein­heit der Viel­hei­ten.‹ Wenn man die Bank aus die­sem Ge­sichts­punkt be­trach­tet, so wird sie ein gan­zes Staats­we­sen, sie ver­langt einen über­le­ge­nen Kopf und kann einen Mann wohl dazu brin­gen, sich über die Ge­set­ze der Red­lich­keit, die ihn be­en­gen, zu er­he­ben.«

      »Du hast recht, mein Sohn,« sag­te Blon­det. »Aber wir al­lein sind es, die be­grei­fen, daß das der Krieg ist. Der Ban­kier ist ein Ero­be­rer, der sei­ne Hee­res­mas­sen op­fert, um ver­bor­ge­ne Zwe­cke zu er­rei­chen; sei­ne Sol­da­ten – das sind die An­tei­le des Ein­zel­nen. Er hat sei­ne Schlacht­ord­nung zu ent­wer­fen, Hin­ter­hal­te zu le­gen, An­füh­rer zu wäh­len, Städ­te ein­zu­neh­men. Die meis­ten die­ser Män­ner ha­ben so viel mit Po­li­tik zu tun, daß sie schließ­lich auch hier mit­re­den wol­len und ihr Ver­mö­gen da­bei ver­lie­ren. Auf sol­che Wei­se ist das Haus Ne­cker zu­grun­de ge­gan­gen, und der be­kann­te Sa­mu­el Ber­nard ist fast dar­über zu­sam­men­ge­bro­chen. Fast je­des Jahr­hun­dert hat sei­nen un­ge­heu­er rei­chen Ban­kier, der schließ­lich we­der Geld noch Er­ben hin­ter­läßt. Die Brü­der Pâris, die dazu bei­tru­gen, Law zu stür­zen, und Law sel­ber, ne­ben de­nen alle an­dern Pyg­mä­en sind, Bou­ret und Beau­jon – alle sind da­hin, ohne Fa­mi­lie zu hin­ter­las­sen. Wie die Zeit, so frißt auch die Bank ihre Kin­der. Um be­ste­hen zu kön­nen, müs­sen die Ban­kiers ad­lig wer­den, eine Dy­nas­tie be­grün­den, wie die Gläu­bi­ger Karls V., die Fug­ger, die zu Fürs­ten von Ba­ben­hau­sen er­nannt wur­den und die noch im­mer be­ste­hen … im Go­tha­er Al­ma­nach. Die Bank sucht le­dig­lich aus Er­hal­tungs­trieb und viel­leicht so­gar ohne es zu wis­sen, nach dem Adels­ti­tel. Jac­ques Coeur hat ein großes Adels­ge­schlecht be­grün­det, das Ge­schlecht der Noirm­ou­tier, das un­ter Lud­wig XIII. er­losch. Welch eine Ener­gie be­wies der Mann, der sich zu­grun­de rich­te­te, um einen recht­mä­ßi­gen Kö­nig zu schaf­fen! Er starb als Be­herr­scher ir­gend­ei­ner In­sel im Archi­pel, wo er eine herr­li­che Ka­the­dra­le er­bau­te.«

      »Ja, wenn ihr auf ge­schicht­li­che Er­eig­nis­se zu­rück­greift, so ver­lie­ren wir uns aus der Ge­gen­wart; in un­se­rer Zeit ist die Kro­ne des Rech­tes be­raubt, den Adels­ti­tel zu er­tei­len, und man macht die Gra­fen und Baro­ne nur bei ge­schlos­se­nen Tü­ren, wie scha­de!« sag­te Fi­not. »Du hast ganz recht, wenn es dir leid tut, daß man den Adels­ti­tel nicht ver­kau­fen kann,« sag­te Bi­xiou. »Ich kom­me auf un­se­re Leu­te zu­rück. Kennt ihr Beau­den­ord? Nein? Gut! So hört, wie al­les zu­ging! Der arme Jun­ge war vor zehn Jah­ren die Blü­te des Dan­dy­tums. Aber er ist so gründ­lich un­ter­ge­gan­gen, daß ihr ihn eben­so­we­nig kennt, wie Fi­not jetzt den Ur­sprung des ›Coup de Jar­nac‹ kennt. (Das ist als Re­dens­art ge­meint und nicht, um dich zu fop­pen, Fi­not!) Tat­säch­lich, er ge­hör­te zum Fau­bourg Saint-Ger­main. Also Beau­den­ord ist der ers­te Ham­mel, den ich euch vor­füh­ren will. Zu­nächst müßt ihr wis­sen, daß er sich Go­de­fro­id von Beau­den­ord nann­te. We­der Fi­not noch Blon­det noch Cou­ture noch ich wür­den einen sol­chen Vor­teil nicht zu schät­zen wis­sen. Es schmei­chel­te der Ei­gen­lie­be des Bur­schen nicht we­nig, wenn nach ei­nem Ball sei­ne Die­ner nach sei­nem Wa­gen rie­fen und drei­ßig schö­ne, von ih­ren Gat­ten und An­be­tern um­ring­te Frau­en den stol­zen Na­men hör­ten. Fer­ner er­freu­te er sich al­ler gu­ten Ga­ben, mit de­nen Gott den Men­schen aus­ge­stat­tet: er war ge­sund und kräf­tig, hat­te we­der ein kran­kes Auge noch einen falschen Schopf oder falsche Wa­den; er war we­der x- noch o-bei­nig, hat­te kei­ne her­vor­tre­ten­den Knie, ein ge­ra­des Rück­grat, eine schlan­ke Ge­stalt, hüb­sche wei­ße Hän­de und schwar­ze Haa­re; sei­ne Ge­sichts­far­be war we­der zu ro­sig wie bei ei­nem Dro­gis­ten, noch zu braun wie bei ei­nem Kala­bre­ser. Also die Haupt­sa­che: Beau­den­ord war nicht all­zu hübsch, war kei­ner von de­nen, die aus­se­hen, als sei ihre Schön­heit ihr ein­zi­ges Gut; aber las­sen wir das, es ist schon ab­ge­spro­chen! Er wuß­te eine Pis­to­le zu hand­ha­ben und ein Pferd zu rei­ten, er hat­te sich we­gen ei­ner un­be­deu­ten­den Sa­che ge­schla­gen und sei­nen Geg­ner nicht ge­tö­tet. Wißt ihr auch, daß man, um zu wis­sen, was im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert in Pa­ris das Glück ei­nes Sechs­und­zwan­zig­jäh­ri­gen aus­macht, alle die un­zäh­li­gen Klei­nig­kei­ten und Ne­ben­säch­lich­kei­ten ken­nen muß, aus de­nen das Le­ben sich zu­sam­men­setzt? Der Schuh­ma­cher, der Beau­den­ords Fuß er­wi­scht hat­te, fer­tig­te ihm gut­sit­zen­de Schu­he, sein Schnei­der freu­te sich, ihm schö­ne An­zü­ge zu ma­chen. Go­de­fro­id setz­te kein über­flüs­si­ges Fett an, er prahl­te nicht und sprach kei­nen un­an­ge­neh­men Dia­lekt, son­dern re­de­te rein und feh­ler­frei und trug sei­ne Kra­wat­te so hübsch ge­bun­den wie Fi­not. Er hat­te fer­ner das Glück, dop­pelt ver­waist und der Vet­ter sei­nes Vor­mun­des, des Mar­quis d’Ai­gle­mont, zu sein; er ging bei den Finanz­leu­ten ein und aus, ohne daß der Fau­bourg Saint-Ger­main dar­über spöt­tel­te, denn glück­li­cher­wei­se hat ein jun­ger Mann das Recht, das Ver­gnü­gen zu sei­nem ein­zi­gen Ge­setz zu ma­chen, dort hin­zu­lau­fen, wo man die Freu­de liebt, und die düs­tern Win­kel zu flie­hen, in de­nen Sor­ge und Gram er­blü­hen. Trotz al­ler die­ser Ga­ben hät­te er sich recht un­glück­lich füh­len kön­nen. Ach, lei­der hat das Glück das Un­glück, als et­was Un­be­ding­tes zu er­schei­nen, was so vie­le Nar­ren zu der Fra­ge ver­an­laßt: ›Was ist das Glück?‹ Eine sehr geist­vol­le Frau sag­te ein­mal: ›Das Glück ist da, wo man es hin­träg­t‹.«

      »Da sprach sie eine trau­ri­ge Wahr­heit aus,« sag­te Blon­det. »Und eine sehr ab­strak­te,« füg­te Fi­not hin­zu. »Er­z­ab­strakt! Das Glück, die Tu­gend, das Böse – das sind al­les ganz re­la­ti­ve Be­grif­fe,« er­wi­der­te Blon­det. »So konn­te La­fon­taine zum Bei­spiel hof­fen, daß die Ver­damm­ten sich mit der Zeit an ih­ren Zu­stand ge­wöh­nen und schließ­lich da­hin kom­men wür­den, sich in der Höl­le so wohl­zu­füh­len