Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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Schlag mit dem Tür­klop­fer ließ sich jetzt im Hofe hö­ren, der am Sonn­tag, wo die Hand­wer­ker fort­ge­gan­gen sind und ihre Werk­stät­ten ver­las­sen ha­ben, ein­sam dalag und je­den Ton wi­der­hal­len ließ.

      »Da kommt mein Ge­treu­er aus der Rue de la Po­te­rie. Also nicht bloß ›ich ha­be‹, son­dern ›ich habe ge­hab­t‹«, füg­te der be­rühm­te Gau­diss­art hin­zu. In der Tat brach­te ein Auf­wär­ter in Beglei­tung von zwei Kü­chen­jun­gen in drei Kör­ben ein Di­ner nebst sechs mit Ken­ner­schaft aus­ge­wähl­ten Fla­schen.

      »Aber, wie kön­nen wir denn so viel es­sen?« sag­te Po­pi­not.

      »Und der Schrift­stel­ler?« rief Gau­diss­art. »Fi­not ver­steht sich auf Fest­lich­kei­ten und auf die Ei­tel­kei­ten die­ser Welt, er wird schon er­schei­nen, du harm­lo­ser Jun­ge, und zwar be­waff­net mit ei­nem fa­bel­haf­ten Pro­spekt. Ein hüb­scher Aus­druck, was? Pro­spek­te ha­ben im­mer Durst. Man muß den Sa­men be­gie­ßen, wenn man Blu­men ha­ben will. Fort mit euch, Skla­ven,« sag­te er zu den Kü­chen­jun­gen und warf sich in die Brust, »hier habt ihr Geld.«

      Er gab ih­nen zehn Sous mit ei­ner Ge­bär­de, die Na­po­le­ons, sei­nes Idols, wür­dig war.

      »Dan­ke schön, Herr Gau­diss­art«, ant­wor­te­ten die Kü­chen­jun­gen, die sich mehr über den Spaß als über das Geld freu­ten.

      »Und du, mein Sohn,« sag­te er zu dem Auf­wär­ter, der zu­rück­ge­blie­ben war, um zu be­die­nen, »höre, es gibt hier eine Por­tier­frau, die in den Tie­fen ei­ner Höh­le haust, wo sie manch­mal kocht, so wie einst­mals Nau­si­kaa wusch, rein zu ih­rem Ver­gnü­gen. Be­gib dich zu ihr, wen­de dich an ihre Gut­her­zig­keit, jun­ger Mensch, und in­ter­es­sie­re sie für das Heiß­ma­chen die­ser Ge­rich­te. Sage ihr, daß sie da­für ge­seg­net und be­son­ders ge­ach­tet, sehr ge­ach­tet wer­den wird von Fe­lix Gau­diss­art, dem Sohn von Jean-François Gau­diss­art, dem En­kel der Gau­diss­arts, sehr al­ter, elen­der Pro­le­ta­ri­er, sei­ner Ahn­her­ren. Vor­wärts und sor­ge da­für, daß al­les or­dent­lich ist, oder ich haue dir eins in dei­ne Vi­sa­ge!«

      Jetzt ließ sich ein zwei­ter Schlag mit dem Tür­klop­fer hö­ren.

      »Das ist der geist­vol­le An­do­che«, sag­te Gau­diss­art.

      Ein ziem­lich paus­bä­cki­ger, di­cker, jun­ger Mann von mitt­ler­er Grö­ße er­schi­en plötz­lich, der von Kopf bis Fuß wie der Sohn ei­nes Hut­ma­chers aus­sah, mit ei­nem Ge­sicht, des­sen fei­ne Züge durch ein stei­fes We­sen wie er­starrt schie­nen. Sein Ant­litz, das trü­be aus­sah, wie bei ei­nem vom Elend be­drück­ten Men­schen, er­hei­ter­te sich, als er den ge­deck­ten Tisch und die Fla­schen mit ver­hei­ßungs­vol­len Köp­fen er­blick­te. Bei Gau­diss­arts Aus­ruf fun­kel­ten sei­ne blaß­blau­en Au­gen, sein di­cker Kopf mit dem Kal­mücken­ge­sicht be­weg­te sich nach rechts und nach links, er be­grüß­te Po­pi­not in ei­gen­ar­ti­ger Wei­se, we­der un­ter­tä­nig, noch ach­tungs­voll, son­dern wie ein Mann, der sich hier nicht am Plat­ze fühlt, aber es nicht zu­ge­ste­hen will. Er be­gann da­mals ein­zu­se­hen, daß er gar kei­ne li­te­ra­ri­sche Be­ga­bung be­saß; er woll­te aber die Li­te­ra­tur aus­schlach­ten, sich auf die Schul­tern geist­vol­ler Leu­te stel­len und mit ihr lie­ber Ge­schäf­te als schlecht be­zahl­te Wer­ke ma­chen. Au­gen­blick­lich fing er an, nach­dem er die Er­nied­ri­gung und De­mü­ti­gung ver­geb­li­cher Schrit­te und Be­mü­hun­gen aus­ge­kos­tet hat­te, wie die Män­ner der Hoch­fi­nanz eine Wen­dung zu voll­zie­hen und eine ge­woll­te Un­ver­schämt­heit zur Schau zu tra­gen. Er brauch­te aber hier­für eine ers­te Grund­la­ge, und Gau­diss­art hat ihn dazu auf das Ins­ze­ne­set­zen von Po­pi­nots Öl hin­ge­wie­sen.

      »Sie sol­len für sei­ne Rech­nung mit den Zei­tun­gen ver­han­deln, aber be­trü­gen Sie ihn nicht, sonst gibt es zwi­schen uns bei­den ein Duell auf Le­ben und Tod; er soll für sein Geld auch et­was ha­ben!« Po­pi­not blick­te den »Au­tor« mit un­ru­hi­ger Mie­ne an. Die rich­ti­gen Kauf­leu­te be­trach­ten einen Au­tor mit ei­nem Ge­fühl, das aus Schreck, Mit­leid und Neu­gier­de zu­sam­men­ge­setzt ist. Ob­wohl Po­pi­not eine gute Er­zie­hung zu­teil ge­wor­den war, hat­ten die Ge­wohn­hei­ten sei­ner Ver­wand­ten, ihre An­schau­un­gen, die ver­dum­men­den Ar­bei­ten im La­den und an der Kas­se sei­ne In­tel­li­genz, die sich den Bräu­chen und der Hand­lungs­wei­se sei­nes Be­rufs an­pas­sen muß­te, be­ein­träch­tigt, ein Phä­no­men, das man gut be­ob­ach­ten kann, wenn man auf die Wand­lun­gen ach­tet, die sich in zehn Jah­ren bei hun­dert Ka­me­ra­den voll­zo­gen ha­ben, die als an­nä­hernd die glei­chen die Schu­le oder die Pen­si­on ver­las­sen ha­ben. An­do­che nahm die­ses Er­stau­nen für tie­fe Be­wun­de­rung.

      »Vor­wärts, wir wol­len den Pro­spekt vor dem Es­sen in den Grund boh­ren, dann kön­nen wir ohne Hin­ter­ge­dan­ken trin­ken«, sag­te Gau­diss­art. »Nach dem Di­ner liest es sich schlecht. Auch die Zun­ge will in Ruhe ver­dau­en.«

      »Herr Fi­not,« sag­te Po­pi­not, »ein Pro­spekt be­deu­tet häu­fig ein Ver­mö­gen.«

      »Und für klei­ne Leu­te wie mich ist das Ver­mö­gen häu­fig nur ein Pro­spekt«, be­merk­te An­do­che.

      »Sehr hübsch ge­sagt«, mein­te Gau­diss­art. »Die­ser Spaß­vo­gel von An­do­che hat Geist wie die vier­zig Uns­terb­li­chen.«

      »Wie hun­dert«, sag­te Po­pi­not, der über die­sen Ge­dan­ken staun­te.

      Der un­ge­dul­di­ge Gau­diss­art er­griff das Ma­nu­skript und las mit lau­ter Stim­me und em­pha­ti­scher Be­to­nung:

      »Hui­le Cé­pha­li­que!«

      »Ich hät­te es lie­ber ›Hui­le Césa­ri­en­ne‹ ge­nannt«, sag­te Po­pi­not.

      »Lie­ber Freund,« sag­te Gau­diss­art, »du kennst die Leu­te in der Pro­vinz nicht; es gibt eine chir­ur­gi­sche Ope­ra­ti­on, die die­se Be­zeich­nung hat, und sie sind so dumm, daß sie glau­ben wür­den, dein Öl wäre gut für eine leich­te­re Ent­bin­dung; sie von da auf die Haa­re zu brin­gen, dazu müß­te man sich die Lun­ge aus dem Hal­se re­den.«

      »Ich will mei­ne Be­nen­nung nicht ver­tei­di­gen,« sag­te der Au­tor, »aber ich gebe Ih­nen zu be­den­ken, daß Hui­le Cé­pha­li­que Öl für den Kopf be­deu­tet und da­mit Ihre Ide­en zu­sam­men­faßt.«

      »Also wei­ter!« sag­te Po­pi­not un­ge­dul­dig.

      Der Wort­laut des Pro­spek­tes, so wie er noch heu­te in Tau­sen­den von Exem­pla­ren im Han­del ver­brei­tet wird, ist fol­gen­der (Zwei­tes Be­lags-Do­ku­ment):

      Gol­de­ne Me­dail­le auf der Aus­s­tel­lung von 1819.

       Hui­le Cé­pha­li­que

       Pa­tent­amt­lich ge­schützt.

      Kein Kos­me­ti­kum kann be­wir­ken, daß die Haa­re wach­sen, eben­so wie kein che­mi­sches Mit­tel sie fär­ben kann, ohne Ge­fahr für den Sitz des Ver­stan­des. Die Wis­sen­schaft hat erst kürz­lich fest­ge­stellt, daß das Haar eine ab­ge­stor­be­ne Sub­stanz ist, und daß kein Mit­tel ihr Aus­fal­len oder ihr Er­grau­en ver­hin­dern kann. Um dem Dünn­wer­den des Haa­res und der Kahl­köp­fig­keit vor­zu­beu­gen, ge­nügt es, die Haar­z­wie­bel, aus der es her­aus­wächst, ge­gen je­den äu­ße­ren at­mo­sphä­ri­schen Ein­fluß