Mama«, sagte Cäsarine. »Ach, was für einen Mut hat der Papa entwickelt! Alles, was ich mir wünsche, ist, daß ich einmal so geliebt werde, wie er dich liebt. Er hat nur an deinen Kummer gedacht.«
»So ist mein Traum doch in Erfüllung gegangen,« sagte die arme Frau und ließ sich auf ihren Sessel am Kamin fallen, bleich vor Schrecken. »Ich habe das alles kommen sehen. Ich habe es dir vorhergesagt in jener verhängnisvollen Nacht, in unserm alten Zimmer, das du hast abreißen lassen; ich habe dir gesagt, daß uns nichts mehr bleiben wird als unsre Augen zum Weinen. Meine arme Cäsarine! Ich …«
»Ja, so bist du nun!« rief Birotteau aus. »Du nimmst mir auch noch den Mut, den ich so nötig brauche.«
»Verzeih mir, Lieber,« sagte Konstanze und drückte Cäsar die Hand so zärtlich, daß es dem armen Mann zu Herzen ging. »Ich habe unrecht, das Unglück ist da, ich werde stumm sein und ergeben und werde alle Kräfte aufbieten. Nein, du sollst keine Klage mehr von mir hören.« Weinend warf sie sich Cäsar an die Brust und sagte: »Mut, Liebster, Mut. Wenn es nötig ist, werde ich Mut für zweie haben.«
»Mein Öl, liebes Kind, mein Öl wird uns retten.«
»Möge uns Gott beschützen«, sagte Konstanze.
»Und wird Anselm dem Vater nicht helfen?« sagte Cäsarine.
»Ich gehe zu ihm«, rief Cäsar, überwältigt von dem herzzerreißenden Ton seiner Frau, den er selbst nach neunzehn Jahren so noch nicht vernommen hatte. »Du brauchst gar keine Angst zu haben, Konstanze. Hier, lies du Tillets Brief an Herrn von Nucingen, wir bekommen den Kredit sicher. Und meinen Prozeß werde ich bald gewonnen haben. Und,« fügte er mit einer Notlüge hinzu, »außerdem haben wir doch noch Onkel Pillerault, es kommt nur darauf an, daß wir den Mut nicht verlieren.«
»Oh, wenn es sich nur darum handelt«, sagte Konstanze lächelnd.
Von einer großen Last befreit, entfernte sich Birotteau, wie ein in Freiheit gesetzter Gefangener, obwohl er innerlich jene unerklärbare Erschöpfung verspürte, die auf übermäßige innere Kämpfe zu folgen pflegt, bei denen man mehr Nerven- und Willenskraft verbraucht hat, als man täglich zusetzen darf, und wo man sozusagen das Lebenskapital angegriffen hat. Birotteau war in dieser kurzen Zeit alt geworden.
5
Das Haus A. Popinot, Rue des Cinq-Diamants, hatte in den zwei Monaten ein anderes Aussehen bekommen. Der Laden war frisch gestrichen worden. Die neu gestrichenen Regale voller Flaschen mußten das Auge jedes Kaufmanns erfreuen, der einen Blick dafür hat, ob das Geschäft gut geht. Der Fußboden des Ladens lag voller Packpapier. Im Lagerraum standen kleine Tonnen verschiedener Öle, deren Bestellung der aufopfernde Gaudissart Popinot verschafft hatte. Das Bureau und die Kasse befanden sich über dem vorderen und hinteren Teil des Ladens. Eine alte Köchin führte für die drei Kommis und Popinot die Wirtschaft. Popinot hielt sich in einer Ecke des Ladens in einem mit Glasfenstern abgetrennten Kontor auf, mit einer Schürze aus Serge mit Überärmeln aus grüner Leinwand, die Feder hinterm Ohr, wenn er nicht in einen Haufen von Papieren vergraben war, wie jetzt, als Birotteau erschien, während er gerade seine Post öffnete, die lauter Tratten und Bestellungen enthielt. Auf die Worte seines allen Prinzipals: »Na, mein Junge?« erhob er den Kopf, schloß sein Kontor ab und erschien mit vergnügtem Gesicht, dessen Nasenspitze gerötet war. Der Laden, dessen Tür offen stand, war nicht geheizt.
»Ich fürchtete schon, Sie würden gar nicht mehr zu mir kommen«, erwiderte Popinot in respektvollem Tone.
Die Kommis traten herzu, um den großen Parfümeriemann, den dekorierten Beigeordneten, den Sozius ihres Chefs, anzustaunen. Diese stumme Achtungsbezeugung schmeichelte dem Parfümhändler. Birotteau, bei Kellers eben noch so klein, empfand das Bedürfnis, deren Benehmen nachzuahmen; er streichelte sein Kinn, wiegte sich stolz auf den Füßen und machte einige nichtssagende Redensarten.
»Na, mein Lieber, steht ihr auch zeitig auf?« fragte er.
»Nein, denn wir können manchmal überhaupt nicht schlafen gehen«, sagte Popinot; »man darf keinen Augenblick nachlassen, wenn man Erfolg haben will.«
»Nun, was habe ich gesagt? Mein Öl bedeutet ein Vermögen.«
»Gewiß, Herr Birotteau, aber es kommt auch auf die Art der Durchführung an; ich glaube, ich habe Ihrem Diamanten die richtige Fassung gegeben.«
»Aber zur Sache«, sagte der Parfümhändler; »wie weit sind wir? Wie steht es mit dem Gewinn?«
»Nach Verlauf eines Monats?« rief Popinot aus. »Wo denken Sie hin? Mein Freund Gaudissart ist erst fünfundzwanzig Tage unterwegs und hat, ohne mich vorher zu benachrichtigen, Extrapost genommen. Oh, er opfert sich für die Sache auf. Wir sind auch meinem Onkel sehr zu Dank verpflichtet! Die Zeitungen«, sagte er leise zu Birotteau, »kosten uns allein zwölftausend Franken.«
»Die Zeitungen? …« fragte der Beigeordnete.
»Haben Sie sie denn nicht gelesen?«
»Nein.«
»Dann wissen Sie also noch nichts«, sagte Popinot. »Zwanzigtausend Franken für Anschläge, Bilder und Drucksachen! … Hunderttausend Flaschen verkauft! … Aber vorläufig heißt es nur: Opfer bringen. Die Fabrikation vollzieht sich im großen Stil. Wenn Sie einmal den Fuß in die Fabrik gesetzt hätten, würden Sie einen kleinen Nußknacker meiner Erfindung dort gesehen haben, der nicht einrosten wird. Ich habe in den letzten fünf Tagen allein für Drogerieöle zehntausend Franken für meine Rechnung ausgegeben.«
»Was für ein tüchtiger Kopf«, sagte Birotteau und fuhr dem kleinen Popinot mit der Hand in die Haare, als ob Popinot ein kleiner Junge wäre, »ich habe ihn rechtzeitig erkannt.« Mehrere Leute traten jetzt ein. »Also auf Sonntag, wir essen bei deiner Tante Ragon«, sagte Birotteau und überließ Popinot seinen Geschäften, nachdem er sich überzeugt hatte, daß der Braten, den er gerochen hatte, noch nicht tranchiert war. »Merkwürdig! Binnen vierundzwanzig Stunden wird solch ein Kommis zum richtigen Kaufmann«, dachte Birotteau, der über Popinots Glückseligkeit und stolzes Auftreten ebenso erstaunt war, wie über du Tillets Luxus. »Anselm hat ein etwas beleidigtes Gesicht gemacht, als ich ihm in die Haare fuhr, ganz als ob er schon Franz Keller wäre.«
Birotteau hatte sich nicht überlegt, daß die Kommis zusahen, und daß der Chef des Hauses daheim seine Würde zu wahren hat. Hier, wie bei du Tillet, hatte der gute Mann aus Herzensgüte eine Dummheit begangen und hätte, weil er, bourgeoismäßig ausgedrückt,