als fünf Stunden Schlaf gönnen.«
»Daß Sie sich damit nur nicht schaden«, sagte Cäsarine mit unnachahmlicher Betonung und warf Popinot einen Blick zu, in dem er all ihr Empfinden lesen konnte.
»Liebe Frau,« sagte Cäsar, als sie von Tisch aufstanden, »ich glaube, die jungen Leute lieben sich.«
»Um so besser,« sagte Konstanze ernst, »dann wird meine Tochter die Frau eines klugen und energischen Mannes werden. Begabung ist die beste Mitgift, die ein Bräutigam mitbringt.«
Sie verließ den Salon schnell und ging in Frau Ragons Zimmer. Cäsar hatte während des Essens einige Redensarten losgelassen, über die Pillerault und der Richter lächeln mußten, eine solche Unwissenheit verrieten sie; und die unglückliche Frau empfand deutlich, wie gering die Fähigkeit ihres armen Mannes war, gegen das Unglück anzukämpfen. Konstanze konnte die Tränen kaum zurückhalten, instinktiv hatte sie Verdacht gegen du Tillet, denn alle Mütter kennen das Timeo Danaos et dona ferentes, auch ohne lateinisch zu verstehen. Sie weinte sich in ihrer Tochter und Frau Ragons Armen aus, ohne den Grund ihres Kummers zu verraten.
»Es sind die Nerven«, sagte sie.
Den Rest des Abends verbrachten die Alten mit Kartenspiel und die Jungen mit jenen reizenden kleinen Gesellschaftsspielen, die unschuldige genannt werden, weil sich hinter unschuldigen Späßen die Liebesangelegenheiten der Bourgeoisie-Kreise verstecken. Die Matifats beteiligten sich an den Gesellschaftsspielen.
»Cäsar,« sagte Konstanze, als sie nach Hause fuhren, »geh schon am achten zu dem Baron von Nucingen, damit du schon vorher sicher weißt, daß du den Wechsel am fünfzehnten einlösen kannst. Sollte irgendein Zwischenfall eintreten, wie willst du dann von einem Tag zum andern Geld auftreiben?«
»Ich gehe hin, meine Liebe«, antwortete Cäsar und drückte seiner Frau und seiner Tochter die Hand, indem er hinzufügte: »Ach, ihr armen Lämmer, was für ein trauriges Neujahr habe ich euch bereitet!«
In der Dunkelheit des Wagens fühlten die beiden Frauen, die das Gesicht des armen Parfümhändlers nicht unterscheiden konnten, wie heiße Tränen auf ihre Hände fielen.
»Gib die Hoffnung nicht auf, Lieber«, sagte Konstanze.
»Alles wird gut werden, Papa, Herr Anselm Popinot hat zu mir gesagt, daß er gerne sein Blut für dich vergießen würde.«
»Für mich«, erwiderte Cäsar, »und auch noch für andere Mitglieder der Familie, nicht wahr?« fügte er in heiterem Tone hinzu.
Cäsarine gab ihrem Vater mit einem Händedruck zu verstehen, daß Anselm ihr Verlobter war.
6
Während der drei ersten Tage des neuen Jahres wurden zweihundert Gratulationskarten an Birotteau gesandt. Solch ein Zustrom falscher Freundschafts- und Gewogenheits-Bezeugungen ist fürchterlich für Leute, die vom Unglück verfolgt werden. Dreimal sprach Birotteau vergeblich in dem Palais des berühmten Bankiers, des Barons von Nucingen, vor. Der Beginn des neuen Jahres und die damit verbundenen Festlichkeiten machten die Abwesenheit des Finanzmanns begreiflich. Beim letzten Mal konnte der Parfümhändler bis zum Arbeitszimmer des Bankiers vordringen, wo der erste Buchhalter, ein Deutscher, ihm sagte, daß Herr von Nucingen erst um fünf Uhr morgens von einem Ball bei den Kellers nach Hause gekommen sei und nicht vor einhalb zehn Uhr sichtbar sein würde. Es gelang Birotteau, den ersten Buchhalter für seine Angelegenheit zu interessieren, und er unterhielt sich fast eine halbe Stunde mit ihm. Noch am selben Tage schrieb ihm dieser Minister des Hauses Nucingen, daß ihn der Baron am nächsten Tage, dem dreizehnten, um zwölf Uhr mittags empfangen wolle. Obwohl jede Stunde Cäsar einen Tropfen Wermut einflößte, verfloß der Tag doch mit rasender Geschwindigkeit. Der Parfümhändler kam im Fiaker vorgefahren, den er einige Schritte vor dem Eingang halten ließ, da der Vorhof mit Wagen überfüllt war. Das Herz des armen Menschen preßte sich zusammen, wenn er den Glanz dieses berühmten Hauses sehen mußte.
»Und dabei hat er zweimal Bankrott gemacht«, sagte er zu sich, während er die prachtvolle, mit Blumen geschmückte Treppe hinaufstieg und dann die kostbar ausgestatteten Räume durchschritt, durch die sich die Baronin Delphine von Nucingen berühmt gemacht hatte. Sie wollte durchaus mit den reichsten Häusern des Faubourg Saint-Germain, in denen sie keinen Zutritt hatte, konkurrieren. Der Baron frühstückte gerade mit seiner Frau. Trotzdem eine große Anzahl von Leuten in den Bureaus auf ihn wartete, hatte er erklärt, daß du Tillets Freunde jederzeit bei ihm Zutritt hätten. Birotteau war hoffnungsfreudig erregt, als er wahrnahm, welche Veränderung die Worte des Barons auf dem vorher so unverschämten Gesicht des Kammerdieners hervorgebracht hatten.
»Entschuldige, meine Liebe,« sagte der Baron zu seiner Frau, indem er sich erhob und Birotteau leicht zunickte, »der Herr hier is ein gutter Royalist un ein sehr intimer Freind von di Tillet. Un dazu is er Beiverordneter im zweiten Bezirk und gibt Bälle von asiatischer Prächtigkeit, du werst gewiß seine Bekanntschaft machen mit Vergniegen.«
»Oh, es wäre mir sehr schmeichelhaft, bei Frau Birotteau Unterricht zu nehmen, denn Ferdinand … (›Was,‹ dachte der Parfümhändler, ›sie nennt ihn ganz einfach Ferdinand?‹) hat uns von diesem Ball voller Bewunderung erzählt, die um so mehr ins Gewicht fällt, als er nicht leicht etwas anerkennt. Ferdinand ist ein strenger Kritiker, da muß schon alles vollkommen gewesen sein. Und werden Sie bald wieder einen geben?« fragte sie mit liebenswürdigstem Tone.
»Gnädige Frau, arme Leute wie wir können sich nur selten ein Vergnügen gönnen«, erwiderte der Parfümhändler, der sich nicht klar darüber war, ob das Spott oder ein banales Kompliment war. »Herr Grindot hat die Ausstattung von Ihre Zimmer gemacht«, sagte der Baron.
»Ah, Grindot, der nette kleine Architekt, der aus Rom zurückgekommen ist,« sagte Delphine von Nucingen, »ich bin begeistert von ihm, er macht mir entzückende Zeichnungen für mein Album.« Kein von einem venetianischen Henker mit der peinlichen Frage gefolterter Verschwörer hat sich je in den spanischen Stiefeln der Tortur schlimmer befunden als Birotteau in seinen Kleidern. Er machte zu all diesen Bemerkungen ein komisches Gesicht.
»Wir geben auch kleine Bälle,« sagte der Baron und warf einen forschenden Blick auf den Parfümhändler, »alle Leute geben welche, wie Sie sehn.«
»Würde Herr Birotteau nicht ohne Umstände mit uns frühstücken wollen?« sagte Delphine und wies auf den üppig besetzten